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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 14.1934

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Heft 8/9 - Utopie U.A.M
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Drei weitere Monographien von Blaustrümpfen
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https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0636

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wohl auch die besten ihrer vielen Romane sein, namentlich im
„Einsiedler“ wird viel dichterische Phantasie und eine große
Gabe malerischer, bewegter Schilderung der Ereignisse und
Lokale bemerkbar. Ein auffallend reiches Erfindungstalent
darf man der Frau Carlen schon als der fruchtbarsten aller
Romanschriftstellerinnen nicht absprechen. Auch besitzt sie
eine tüchtige Fähigkeit, zu verwickeln und den Knoten zu
lösen, sowie eine ziemlich scharfe und feine Beobachtung.
Trot} des Langgezogenen, Gedehnten ihrer Erzählung lassen
diese sich doch um obiger Eigenschaften willen recht angenehm
lesen. Charakteristisch ist für sie ein satirisches, aber nicht
unwahres Wort des schwedischen Kritikers Sturzenbecher: „Die
Helden und Heldinnen der Carlen lieben sich alle die Schwind-
sucht an den Hals, doch kommt irgendwo ein Liebhaber vor,
der ohne isländisches Moos und Caraghenkaramellen glücklich
die Probe besteht.“ In der Tat ist Frau Carlen von einer be-
trächtlichen Portion weibischer Empfindsamkeit ebensowenig
frei wie Friederike Bremer; bei beiden ist das aber mehr äußer-
lich angenommenes Wesen als Merkmal des Inneren und
Charakterzug. Im Gegenteil: Oft genug hat Frau Carlen in
Entwurf und Behandlung etwas Männliches, Keckes, Trotziges
und Freies an sich, was ihr, da sie darin immer Maß hält, gar
nicht so übel steht. Ihre Stoffe sind, wo sie dieselben am besten
bewältigt hat, fast stes den niederen Schichten der Gesellschaft
und dem eigentlichen Volke entnommen: Kleinbürger, Bauern,
Proletarier sind die Personen, welche sie am geschicktesten in
Szene sefit. Da sie so sehr viel und mehr, als nötig gewesen
wäre, schrieb, gibt es unter ihren Werken natürlich auch
manches, was Lobsprüche nicht verdient. Sie hat immer still
und zurückgezogen in Stockholm gelebt. Man möchte manch-
mal gerade das Gegenteil denken, da Haus und Familie nicht
so ausschließlich wie bei ihrer Kollegin das Thema bilden, son-
dern die Lokalitäten, die sie wählt, verschiedener Natur sind.
Ist doch eine ihrer gelungensten und eigentümlichsten Schöp-
fungen, der schon erwähnte „Einsiedler auf der Johannes-
klippe“, sogar ein rechter und echter „Küstenroman“, der
ebensogut von Cooper und Marryat herrühren könnte!
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