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Wingenroth, Max; Kraus, Franz Xaver [Hrsg.]
Die Kunstdenkmäler des Grossherzogthums Baden (Band 7): Die Kunstdenkmäler des Kreises Offenburg — Tübingen, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.1370#0378

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264 KREIS OFFENBURG.

so ist sie neben der Stiftskirche in Lahr ein neues und man kann wohl sagen bisher
noch nicht gekanntes Beispiel für das Eindringen der Gotik am Oberrhein. Bestimmte
Beziehungen mit irgendwelchen oberrheinischen Bauten, etwa nach Straßburg oder Wimpfen
hin, sind nicht nachzuweisen. Höchstens ließe die eigenartige Querschnittbildung, aus
welcher das Quadrat und das gleichseitige Dreieck sich ergeben (Fig. 152 u. 156), auf
Verwandtschaft mit der Straßburger Bauhütte schließen. Gänzlich verfehlt aber ist der
Versuch F.J.Schmitts,1) Allerheiligen in irgendwelche Beziehungen mit Notre Dame
zu Laon zu bringen.2) Wie er das bei der unglaublichen Verschiedenheit in Grundriß
und Aufbau fertigbringen konnte, ist unbegreiflich. Denn die Kreuzesform, der Zentral-
turm über der Vierung, der gerade Chorschluß und die Apside am südlichen Querschiff
dürften gewiß hundert Kirchen gemeinsam sein. Dafür hat Notre Dame zu Laon einen
dreischiffigen Chor fast von der Länge des Langhauses, mit Ausnahme der Vierung
überall oblonge Gewölbejoche, auf ein oblonges Gewölbejoch im Langhaus ein quadra-
tisches im Seitenschiff, also in allem der direkte Gegensatz von Allerheiligen, von dem
Aufbau überhaupt zu schweigen! Auch mit dem Bausystem des Langhauses der Prä-
monstratenser-Abteikirche St. Martin zu Laon hat das Langhaus von Allerheiligen nicht
das mindeste zu tun. Dagegen ist ein Blick auf die Prämonstratenserkirche in Rüti im
Kanton Zürich in mancher Hinsicht interessant,3) deren Langhaussystem aber ebenfalls
gerade das umgekehrte gewesen ist. Wichtig ist aber, daß dieser Bau (1214 bis 1219,
beendigt ?) unter denen der Nordschweiz einer der ersten war, in welchen der Spitzbogen
zur praktischen Verwertung gelangte. Wir werden es daher leicht verstehen, wenn auch
in Allerheiligen verhältnismäßig früh die Gotik eindrang. In jener Kirche zu Rüti aber
legten sich den Seitenschiffen in westlicher Verlängerung zwei schmale, seitwärts ab-
geschlossene Räume vor und zwischen denselben eine große Vorhalle mit rundbogigem
Tonnengewölbe, während wir in Allerheiligen eine einheitliche Vorhalle anzunehmen
haben. — Die zweite kunstgeschichtliche Bedeutung unseres Baues liegt in dem Plane
einer frühgotischen Hallenkirche, der allerdings nicht zur Ausführung kam. Er reiht sich
damit den frühesten gotischen Hallenkirchen an, d. h. wenigstens in der kühnen Konzeption.
Ausgeführt, wäre bei diesem klaren Grundriß, den im Verhältnis zu dem Grundriß weiten
Bogenspannungen wohl ein sehr einheitlich wirkender Raum entstanden. So wenig aller-
dings als an den meisten frühen gotischen Hallenkirchen sind die konstruktiven Vorteile
des Systems verstanden, nämlich die dadurch mögliche Überleitung des Schubs der
Mittelschiffgewölbe auf die Seitenschiffgewölbe und ihre demgemäß entwickelten Strebe-
pfeiler; gerade das ist hier sogar direkt verkannt worden. Möglich, daß während des
Baues eben dieser Wölbungsschwierigkeiten halber von der Ausführung abgesehen wurde.
Die Prämonstratenser haben in der Geschichte der Baukunst nicht die Rolle
gespielt, wie die Cluniazenser und die Cisterzienser; immerhin aber waren auch sie
selbstverständlich Träger des französischen Einflusses und diejenigen, welche der Gotik
den Weg freigemacht haben. Man kann auch nicht sagen, daß sie ein besonderes
Kirchenschema ausgebildet haben; sie schlössen sich vielmehr eng an das der gleich-
strebenden Orden an. Und so treffen wir denn bei ihnen den gerade abgeschlossenen
Chor, der Kapellenumgang fehlt, östliche Kapellen am Querschiff kommen vor, die

*) Repertor. XVII, S. 440.

2) Viollet le Duc, Tafel 362.

8) Rahn, Die bild. Künste i. d. Schweiz, S. 385.
 
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