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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

DOI Heft:
1./2. Oktoberheft
DOI Artikel:
Gollob, Heinrich: Tizian's "Zwei Frauen am Brunnen"
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0078

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Tfetan’s „Biüet pcauen am Brunnen"

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H- QoUob

las glückliche Zusammentreffen zweier großer
Kunstkreise, die Giovanni Bellini und Giorgione
schufen, bildeten die Prämissen zur Ausbildung einer so
genialen Kraft, wie Tizian es war. Er erntete in seiner
Jugend, was jene beiden gesät und nützte es solange,
bis er sich selbst gefunden hatte. In seinen Jugend-
werken leuchtet die Schönheit und venezianische
Pracht Bellinis in die Romantik Giorgiones und gab sei-
nen Werken jene Eindrucksfähigkeit, daß sie allezeit
dem großen Kunstpublikum in starker Erinnerung blei-
ben. Doch wie manchem Bilde Giorgiones haftet ihrem
Inhalte ein Rätsel an, das man anscheinend kaum zur
Lösung bringen kann. Es ist, als ob dieses Lehrers
Wesen, das uns heute vielfach unerklärlich ist, aucli
auf den Schüler überging, wo jener in seinen Bahnen
zog. Tizians Gemälde,, Die himmlische und irdische
Liebe“, wie es noch heute genannt wird, obwolil man
weiß, daß dieser Name ganz irrig ist, hat dieses Schick-
sal erfahren. Ein starker Farbenakkord nimmt den Be-
schauer sofort derartig gefangen, daß man im ersten
Augenblicke iiber den Inhalt des dargestellten gar nicht
fragen will.

Eine wundervolle Landschaft, wie sie nur der dem
Norden so nahe stehende Venezianer schaffen kann, ist
hier als Folie genommen. Der Künstler fühlt die Größe
der Natur wie der Germane, empfindet sie aber doch
nicht in ihrer dem Menschen ferne stehenden Größe,
sondern durchzieht sie mit jener leichten farbigen Ro-
mantik, die den Italiener charakterisiert. Den größeren
Bildteil nimmt die Figurenkomposition ein: zwei Frauen
sitzen an einem Wasserbecken und halten Opfergefäße
in den Händen. Die schöne Frau links im herrlichen
Gewande trägt einen Kranz im Haare und Blumen in
der rechten Hand, die behandschuhte Linke liegt auf
dem Opfergefäß. Sie blickt leicht nach reclits gewen-
det her und hoheitsvoll uns entgegen. Ganz anders die
zweite nackte Frau. Sie hält ihr Opfergefäß offen, so
daß der Weihrauch emporsteigt und blickt mit leicht-
geöffnetem Munde zu der anderen herab. Eine Zu-
neigung, halb Demut, lialb Bitte spricht aus ihrer Bewe-
gung. Keine Blumen spielen in ihren Händen, doch
flattert ihr das Gewand vom Körper. In der Renaissance
mag uns dies Motiv vielleicht fremd sein, nicht aber in
der Antike. Um nur ein sehr bekanntes Beispiel zum
Vergleiche heranzuziehen: Sehen wir nicht das gleiche

Motiv in der Darstellung der aldobrandinischen Hoch-
zeit? Die Braut gekleidet und verschleiert tiefsinnig
vor sich hinstarrend und daneben die Göttin der Liebe
entkleidet, ihr liebevoll zuredend. Venus und die Braut
Könnte man Tizians Bild benennen, und dieser Gedanke
war wohl auch maßgebend, als Wickhoff sich bemühte,
diese dargestellten Figuren mit Venus und Medusa zu
identifizieren. Doch etwas mag uns Bedenken erregen.
Venus hält auf dem Bilde Tizians selbst ein Weihrauch-
gefäß in der Hand. Das wäre wohl ganz unantik em-
pfunden, daß Venus sich selbst ein Opfer brächte. Und
diese Opferbüchse bringt uns auch der wahren Lösung
dieses Rätsels näher. Die nackte Frau opfert selbst.
Sie ist also selbst nur eine Dienerin Aphroditens. Drückt
sich nicht auch in ihrem ganzen Wesen der Gedanke
aus, als wäre eine Abgesandte dieser Göttin vor uns.
Somit hätten wir hier zwei Dienerinnen Apliroditens,
und damit ist auch in antikem Sinne dieses Bild aufge-
löst. Sie sind die beiden uns aus der Antike wohl be-
kannten Figuren der beiden Venusdienerinnen: Die
Braut und die Hetäre, letztere in der Antike als die
Flötenspielerin bezeichnet. Die Hetäre, nackt mit rau-
chendem Opfergefäß; die Braut in vollem Hochzeits-
staate mit dem Brautkranze im Haar, edel in ihrem gan-
zen Wesen, der anderen nicht achtend, das Opfergefäß
zum Opfer selbst vorbereitet. Der Sarkophag mit dem
Wasser ist wohl leicht mit dem Loutron, dem Braut-
bade zu identifizieren, das bei antiken Hochzeitsdar-
stellungen eine große Rolle spielt. Es ist alles hier zu
einer wundervollen Harmonie verbunden. Die Land-
schaft neben der Braut zeigt eine Burg. Sie ist die
Hüterin des Hauses und der Fainilie. Die Szenerie
neben der Hetäre gibt eine Dorflandschaft mit einer
Hirtenidille. Der gleiche Gegensatz auf den Darstellun-
gen am Brunnenbecken. Das Relief neben der Braut
schildert, wie zwei Figuren zum Hochzeitsritte ein
Pferd ersteigen. Die Figuren neben der Hetäre zeigen
ein Bacchanal. Das Motiv so auszuspinnen, ist weniger
antike Idee, sondern deutet auf giorgionesk-romanti-
schen Geist. Die Hetäre als das Symbol der freien
Liebe in eine so dominierende Stellung emporzuheben,
imd den Akt so formvollendet zu gestalten, ist Renais-
sanceempfinden. Das Ganze erscheint uns als eine sehr
charakteristische oberitalienische Nachahmung antiken
Stoffes und Geistes.

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