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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

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1/2. Aprilheft
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Sauerlandt, Max: Miscellen I.
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0351

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jviax Sauet^landt^Jiambut’g

1. E i n romanische.r Klappspiegel i n
Sigmarin'ge n.

J ie fürstlich-hohenzollernsche Sammlung: in Sig-
maringen besitzt unter ihren vielen Kostbarkeiten
ein hochromanisches in Bronze gegossenes Spiegelchen
mit glattem rundem, die polierte Spiegelfläche schützen-
dem Klappdeckel, der mit einer Oese in dem Lager des
Spiegelgriffansatzes um einen Qnerstift beweglich ruht.
Mit freundlicher Erlaubnis von Eierrn Hofrat J. Groeb-
bels bilden wir das einzigartige Stück, das Schärfe und
Schönheit des strengen Stils mit vortrefflicher Erhal-
tung vereinigt, von zwei Seiten in der Größe des Origi-
nales ab. (Abb. E) x)

Die Rückseite der runden Spiegelkapsel ist im Guß
reliefiert. In inniger Liebesumarmung, Wange an
Wange und Mund an Mund gepreßt, liegt ein Paar auf
dem Lager, dessen Laken und Decke mit ornamental
geschwungenen Säumen reich und verschiedenartig ge-
mustert sind. Des Mannes Linke ruht am Kinn der Ge-
liebten, deren Haar in zwei bequasteten Strähnen lang
herabhängt. Rechts, zu Lüßen des Paares, spielt ein
sitzender bärtiger Harfenist auf. Sein wie des gelager-
ten Mannes Haar ist durch einen dicht gekerbten Wulst
angedeutet. Hinter dem ruhenden Paar füllt den Raum
ein merkwürdig gestalteter Aufbau, der einer gedeckel-
ten Schale auf senkrecht geriefeltem Ständer gleicht,
vielleicht Andeutung oder Rudiment eines Betthimmels.

Den dünnen Griff des Spiegels bildet ein lang ge-
wandetes in Kuß und Umarmung zur Säule beinahe ver-
schmolzenes Paar. Wieder ruht eine Hand des Mannes,
diesmal ist es die Rechte, an Kinn und Wange des
Mädchens. Ihr Haar fällt in langen Strähnen breit über
den Rücken, sein Haar ist in merkwürdigem Plecht-
werkmuster gerillt. Senkrechte Gewandfalten sind an-
gedeutet, die Säume der weiten weiblichen Aermel zei-
gen ein Muster aus liegenden Kreuzen zwischen Quer-
stegen.

Die Entstehungszeit des köstlichen kleinen Kunst-
werkes kann kaum zweifelhaft sein. Der Vergleich mit
dem großen bronzenen Kerzenträger des Erfurter
Domes mit der Wolframus-Aufschrift oder mit den vier
holzgeschnitzten Trägerfiguren des Lesepultes in der
Stadtkirche von Preudenstadt in Württemberg fiihrt auf
das dritte Viertel des XII. Jahrhuuderts.

Sicher handelt es sich um einen Gegenstand pro-
fanen Gebrauches. Seine Reliefdarstellung aber ist,

a) I3as Spiegelchen wurde im Jahre 1900 erworben. Nach
dem Bericht des Pfarrers Schwägler in Offingen wurde es im
Frühjahr 1900 beim Pflanzen von Bäumen auf einer kahlen Stelle
in der Nähe der Bussenkirche gefunden. Es sollen an derselben
Stelle auch menschliche Gebeine ausgegraben sein. Der Bussen ist
ein freistehender Bergkegel bei dem Städtchen Riedlirrgen a. d.
Donau, 20 km ostnordöstlich von Sigmaringen, eine uralte Kultur-
stätte römischer und alemanischer Zeit.

trotzdem eiuer solchen Deutung zunächst nichts zu
widersprechen scheint, doch nicht aus dem profanen
Gedankenkreis zu erklären. Den Schlüssel der Deutung
gibt eine in Blei gegossene Pilgermuschel, deren Rand
zum Aufnähen des Zeichens der Pilgerschaft auf Ge-
wand oder Hut mit zwei Oesen besetzt ist. Hier er-
scheint auf der gewölbten Außenfläche der Muschel eine
dem Relief des Sigmaringer Spiegelchens ikonogra-
phisch nächst verwandte Darstellung, ein — freilich im
Gegensinne und mit Portlassen des Harfenspielers und
in weitaus vergröberter Form — in Liebesumarmung
gelagertes Paar innerhalb einer zinnenbesetzten, turm-
bekrönten Ummauerung. (Abb. 2.)

Mit einer Anzahl anderer in Blei gegossener Devo-
tionalien, Kruzifixfragmenten, einem Relief des nimbier-
ten Hauptes Christi, dem Reliefplättchen eines bischöf-
lichen Heiligen, allerlei Oesen und Klunkern, aber auch
mit profanen Warenmarken, zwei Bleisoldaten des
XVII. Jahrhunderts und einem „Alsenstein“, einer jener
seltenen zweischichtigen Glaspasten mit primitiver
Schnittverzierung durch menschliche Linienfiguren, die
man gemeinhiu dem Ende des ersten Jahrtausends zuzu-
weisen pflegt, ist die Pilgermuschel im Jahre 1922 in das
Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg gelangt. 0

Daß es sich bei dieser Muschel nicht um einen pro-
fanen Gegenstand, sondern um ein IVlgerzeichen han-
delt, wird außer durch die bei diesen Abzeichen öfter
vorkommende Form der Jacobus-Muschel dadurch be-
zeugt, daß die das Paar umschließende Mauer — seit
frühmittelalterlicier Zeit das Bild des „Himmlischen
Jerusalem“ —, an zwei Stellen mit Lilien besteckt ist.

Der Versuch einer Deutung führt auf das „Bett
Salomos“, den Lectulus Salomonis im dritten Kapitel des
Hohen Liedes. 2 3)

Die um das Jahr 106v5 abgeschlossene, Kaiser Hein-
rich IV. gewidmete Paraphrase des Canticum cantico-
rum von Williram — seit 1048, wahrscheinlich durcli
kaiserliche Berufung, Abt des Klosters Ebersberg in
Oberbayern —, das älteste und bedeutendste deutsche
Denkmal einer allegorischen Ausdeutung dieses „jü-
disch-hellenistischen Idyllenkranzes“, den Burdach „zu
Alexandria in der Ptolemäerzeit (3. Jahrh. v. Chr.) unter
dem Einfluß der Dichtungen Theokrits und vielleicht

2) Die Stiicke sind aus der kleinen Weser beim Stefanstor in
Brcmen, wohl einer alten Furt- oder Fährstelle, aufgefischt. Andere
früher an derselben Stelle gefundene Stiicke befinden sich im Focke-
Museum in Bremen. Der Gesamtfund verdient eine Veröffent-
lichung.

:1) Vgl. dazu Konrad Burdach „Nachleben des griechisch-
römischen Altertums in der mittelalterlichen Dichtung und Kunst
und deren wechselseitige Bezieliungen.“ Jetzt vollständig gedruckt
in Burdach „Vorspiel“ Band I, Teil 1. Halle a. S- 1925.
S. 49—100, besonders S. 59 ff.

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