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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

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1/2. Juniheft
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Bloch, Stella: Der Charakter Englands in seiner Kunst
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Paul, Natalie: Die finnischen Ryen
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0462

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Det? Cbataktee englands in fetnee

Kunff.

Man kann in nichts die Charaktereigenschaften eines Landes
besser erkennen als in seiner Kunst und in England ist man jetzt
dieser Frage im Vergleich zu anderen Nationen eingehend nach-
gegangen, mit dem Ergebnis, daß in der Neigung zum Sentimenta-
len, zum Grotesken, zur Landschaft sich das Wesen des Landes
deutlich offenbart.

In einer Rundfrage über dieses Problem kommt eine große
Londoner Tageszeitung zur unverrückbaren Feststellung, daß
Englands liauptbeitrag zur darstellenden Kunst in der Landschafts-
malerei verkörpert ist und nicht im Porträt, wie man bei ober-
flächlicher Untersuchung wohl annehmen könne. Ein Rundgang
durch die großen britischen Kunstinstitute, wie die National
Gallerie, das Victoria und Albert Museum, die Provinzgallerien
und Museen bestätigt diese Behauptung ohne weiteres. Gains-
borough, Rowlandson, Turner, Constable, Crome sind Exponenten
einer sehr großen Richtung, der sich auch die Porträtmaler an-
schlossen, die alle den Geist der englischen Landschaft begriffen
und das rollende, bliihende Land mit seltener Liebc und Treue
wiedergaben. Crome, der größten einer, hat seinen Hauptsitz in
seiner Vaterstadt Norwich, wo man die besten Werke des eigen-
sinnigen Könners vereinigt hat. Die Liebe zur Natur, die dem eng-
lischen Volk eigen ist, hat auch die Hauptrichtung seiner Kunst
bestimmt.

Mit dieser Neigung zusammen macht sich ein starker Hang
zur Grotesken bemerkbar, deren stärkster Vertreter Hogarth war.
Aber um das Fundament zu entdecken, auf dem dieser große, derbe
Satyriker aufwuchs, braucht man nur einen Streifzug durch die
alten Kirchen Englands zu unternehmen, deren Holzschnitzereien
auf Kanzeln, Betstühlen, Bänken oft sogar die Grenzen der Gro-
teske überschreiten und in Anlehnung an den damaligen Ge-
schmack auch den Anstand schwer beleidigen, vor allen Dingen,
an geheiligter Stätte! Für den Sucher und Studenten sind Sher-
borne Abtei und in London die Westminster Abtei, besonders in
der Kapelle Heinrich VII., eine schier unerschöpfliche Fundgrube
für das Derb-Groteske in der Kunst, während Wandgemälde,
Biicher, Fratzen an überraschendster Stelle als iiberlebende Bei-
spiele für diese Richtung Zeugnis geben. Eins der besten Beweise
für die derblustige Vorliebe der englischen Nation, die in der
Schrift durch Fielding und Smollett ihre ersten Repräsentanten
hat, ist das sehr gut erhaltene Manuskript aus dem dreizehnten
Jahrhunderts des Mönches Matthew Paris „Das Leben des Sankt
Alban“, das letzthin einen Neudruck durch die Oxforder Univer-
sitäts Presse erlebte. Die Freude an der Groteske ist hier be-
sonders scharf ausgeprägt, sowohl bei der Wiedergabe der teuf-
lischen Heerscharen wie der Menschen, die in das Leben dieses
merkwürdigen Streiters mit Gott, den Menschen und den Teufeln,
hineinspielen.

Ueber die Sentimentalität, die das englische Volksleben so
stark beeinflußt, trotzdem heute nach dem Krieg sich eine kräf-
tige Gegenströmung bemerkbar macht, braucht man in der Kunst
eigentlich wenig zu sagen. Das ganze neunzehnte Jahrhundert
ist ein eklatantes Beispiel dafür: die Museen im Inselreiche, vor
allem in der Provinz, sind noch vollgepfropft mit den weichen
Süßlichkeiten einer großen Geschmacksverirrung.

S t e 11 a B 1 o c h.

Die finnißben Ryen.

Die Arbeitsgemeinschaft fiir Deutsche Handwerks-
kultur veranstaltet eine Wanderausstellung: F i n n i s c h e
R y e n , die viele deutsche Städte berührt. Zur Zeit
hefindet sie sich im alten K u n s t g e w e r b e ni u s e u m
in der Prinz Albrechtstraße zu Berlin.

Dus finnische \\ ort ryiji kommt von dem schwedischen rya
Dieses fiihrt man auf das altmodische Wort ry, ruh-rauh-zottig zu-
rück, was vermuten läßt, daß die Webereien, um die es sich hier
handelt, nicht in Art unserer Gobelins, sondern eher wie die

Smyrna-Teppiche angefertigt wurden. So ist es auch, nur daß die
Ryen durchaus den Bedürfnissen des finnischen Volkes ange-
paßt sind.

Im Orient, wo der glutende Sand unter den Fiißen brannte,
war der Teppich gewissermaßen als Isolierschicht, eine auch auf
Reisen mitgeführte Annehmlichkeit. Als Teppich — ursprünglich
vielleicht ausschließlich fiir das Freie erfunden und nur über Nacht
in die Wohnräume gebracht — mußten die Gewebe, um zugleich
Uneben'heiten des Bodens zu überbrücken (man gebraucht ja noch
heute das Wort Brücke in Bezug auf Orientteppiche), so stabil wie
möglich sein. Anders lag der Fall in Finnland. Diese Teppiche,
wahrscheinlich durch Kreuzfahrer (ältere Ryen weisen das Kreuz-
Motiv auf, ohne daß die Ryen je zu kirchlichen Zwecken verwandt
wurden) nach dem Norden gebracht, wären in Finnland als Fuß-
matte Luxus gewesen. So wurden die Ryen zu diesem Zweck
nur bei der Trauung benutzt und dienten dann dem jungen Paar
als Bettdecke. Diese Art der Verwendung war für Finnland, wo
50 Grad Kälte keine Seltenheit sind, das Gegebene. So gehörte
eine Rye, Jahrhunderte lang, in jede Brautausstattung. Man begreift
nun auch die, im Gegensatz zu den Orientteppichen, fast einheitliche
Größe aller Ryen, 1 'AX2 Meter. Dies ist das jetzt wohl allerorts
iibliche Bettdecken-Format. Fiir diese neue Art der Verwendung
war aber das schwere starre System der Fußteppiche wenig ge-
eignet, doch haben die Finnen es meisterlich verstanden, ihre Ryen,
trotzdem sie oft doppelseitig sind, ungemein geschmeidig zu machen.
Dies geschieht durch die Art der Herstellung. Die Ryen wurden
auf Webstühlen, an denen zwei Weberinnen gleichzeitig arbeiteten,
angefertigt. Die Kette besteht aus Hanf oder Leinengarn. Aus
Schafwolle wurden dann die „Noppen“ reihenweise mit einem regel-
rechten Smyrnaknoten geknüpft. Man fügte jedoch nicht, wie im
Orient, Noppe so dicht wie möglich an Noppe, Reihe hart an Reihe,
sondern ließ zwischen diesen jedesmal 10 bis 20 Durchschußfäden
leer laufen, überschlug also gewissermaßen immer eine Reihe.
Hierdurch erreichte man, daß sich die Rye wie in Scharnieren zwi-
schen jeder Reihe biegen kann und von ungeahnter, fast unglaub-
licher Schmiegsamkeit wurde, dazu noch außerordentlich leicht,
denn statt einer Noppenzahl von 800 bis 2000, wie orientalische
Teppiche sie aufweisen, haben die Ryen nur ungefähr 60 bis 300.
Um die freien Reihen zu überdecken, konnten die Noppenfäden nicht
so kurz geschoren werden, wie dies bei den Teppichen geschieht,
sondern man ließ sie 2 bis 3 cm herabhängen, was den Ryen ihr
zottiges, fellartiges Aussehen gibt und ihre Eigenart ausmacht.
Allerdings erschweren die langen Noppenfäden die Darstellung run-
der Figuren und die Deutlichkeit der Muster wahren aber dagegen
die Großzügigkeit, da sie ein Uebermaß an Formgliederung aus-
schließen. Die ältesten Stücke weisen primitive geometrische
Muster auf, eckige Ornamente, Kreuze, Sterne, Vierecke, Zickzack-
linien, Jahreszahlen und Buchstaben, doch wagte man sich bald
auch an Figiirliches. Der Lebensbaum, anfangs sehr naiv darge-
stellt, spielt eine große Rolle. Herzen, Vögel, Renntiere, Braut und
Bräutigam, Tulpen, Löwen und ähnliches finden wir oft sehr ge-
schickt ausgeführt. Auch Kelch und Kruzifix kommen vor, da die
Ausiibung der Kunst von den Pfarrhöfen ausging, wo die Bäuerin-
nen dazu angeleitet wurderu Die Abstammung des Wortes voi,
dem schwedischen „rya“ beweist, daß die Kunst über Schweden
nach Finnland kam. Während man die Ryen aber dort nur in
schwarz und weiß, den Naturfarben der Schafwolle darstellte, ftihr-
ten die Finnen ihre Decken bald auch farbig aus. Anfangs hatten
sie nur gelb und rot. Erst später kam dann blau und grün hinzu.
Auch grau und braun wurde angewandt. Man möchte sagen, wie
im Orient Farbe und Musik conform gehen und den Volkscharakter
offenbaren, so auch in Finnland. Im Orient grelle Farben krass
neben einander prächtig und aufdringlich. Die finnischen Ryen
dagegen schlicht und klar, weisen wunderbar weiche, wohltuende
Farbwirkungen auf. Sie haben ein helles und ein dunkles unendlich
tiefes Blau — oft mit einern goldig schimmernden braungelb zu-
sammen. Ihr Rot ist nicht schreiend — es ist das bleiche Rosa-rot
des Nordlichts. Die Ryen reizen nicht auf wie Orientteppiche es
vermögen, nein, sie ziehen uns mit hinein in das Träumen und Sich-
sehnen, was iiber Finnland liegt. Man meint ganz lelse die Töne
der Cantele verklingen zu hören. Dabei sind die Ryen auf primi-

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