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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

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1/2. Februarheft
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Donath, Adolph: Die Corinth-Gedächtnisausstellungen: Die Zeichnungen in der Berliner Sezession - Die Gemälde in der Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0274

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Die Eeicbnungcn tn det? BccUnct? ScEßffton. — Dte 6cmä(de in det? ]Naftona(ga(et?te.

Von den drei großen Berliner Gedächtnis-Ausstellungen für
Lovis Corinth sind bereits zwei eröffnet: die der Zeichnungen
in der Berliner Sezession und die der Gemälde und
Aquarelle in der N a t i o n a 1 g a 1 e r i e. Die Ausstellung seiner
Graphik, die die Akademie iibernahm, ist noch in Vorbereitung.
Diese Sammlung der 500 Zeichnungen (Berliner Sezession) hat den
einheitlichen Zug innerer Größe. Schon die ersten Versuche des
Jünglings sind ungewöhnlich. Der 14jährige setzt auf ein kleines
Blättchen zwei Köpfe hin, sich selbst offenbar, das Konterfei des
Knaben mit der Sehnsucht nach der Kunst. Ein paar Striche
sind es bloß, sehr zart aber ganz sicher empfunden, ohne infantile
Steifheit. So um 1872 wird das gewesen sein. Und in den Jahren
bis 1876, da er aus Tapiau an die Akademie in Königsberg kommt,
schlägt er sich mit allerhand Problemen herum. Ueberall wieder die
gleiche Sicherheit. Mitunter mit einem Anflug von Biedermeie-
rischen Hang, ob er Szenen des Lebens festhält wie in der Feder-
skizze „Verwitwet“ oder an landschaftliches herangeht, wie in dem
Blatte Thüringer Häuser. Königsberg nun erhöht in ihm die Be-
griffe von der Technik des Zeichnens. Noch ist ihm der Akt
fremd. Aber bei Loefftz in Mlinchen (1880) und bei Bouguerou und
Fleury in Paris (1884 bis 87) löst er, der junge Könner die zeich-
nerisch-plastischen Rätsel des menschlichen Körpers. Und in den
Köpfen-, die er sich vornimmt, erspäht sein Falkenauge die Regungen
seelischen Empfindens.

Nicht die Spur irgendwelcher Sprunghaftigkeit ist in diesen
ersten drei Jahrzehnten des Lebens von Lovis Corinth. Die Ent-
wicklung seiner Technik — denn den geborenen Künstler fiihlen wir
schon aus den ersten Versuchen — geht hier ihren geraden Weg.
So un-d nicht anders konnte er sein. Und niemals suchte er die
Motive. Er war kein Nascher, er zeichnete. Er zeichnete wo es
einen Wald gab, ein Dirndl, einen Soldaten, eine Waschküche, ein
paar Rosen. Und immer saß der Strich und immer blieb er, so wie
man es in den Sclmlen der Alten verlangte, ,,bei der Wahrheit“.
Doch in der Münchner Zeit 1890 bis 1900, in der ihn nach dem drei-
jährigen Königsberger Abstecher von 1887 bis 90, nach dieser Fort-
führung seiner Bildnis- und Akt-Reihe hauptsächlich die Komposi-
tion beschäftigt, rückt er selbst dort wo er einen Höllensturz wagt
oder eine Geburt der Venus nicht von der zeichnerischen Wahrheit
der Modelle ab. Er iibersteigert sich in Gedanken, nicht in der
Zeichnung.

Mit dem Jahre 1900 begann seine Tätigkeit in Berlin. Fast
dreiviertel der ausgestellten Zeichnungen fallen in diese an zeich-
r.erischen Wundern unvergleichliche Epoche Lovis Corinths. Berlin
gibt ihm die Liebe, gibt ihm die Frau seines Lebens, die Kunst-
gefährtin, die sein Schaffen iibergoldet, die Mutter seiner ange-
beteten Kinder und im Rausch seines Glückes, da er immer wieder
seine Charlotte Berend zeichnet, lüftet er die Maske des gott-
begnadeten Stimmungsmenschen, zeichnet er in einem Blatte ein
ganzes Heer von Exemplaren seines eigenen Kopfes, lachend,
neckend, witzelnd, stürmend, schmollend. In diesem Blatte ist
jenes gute treue und kindische Gemiit, das auch aus den vielen
Corinthschen Tierstudien spricht, die aucli rein künstlerisch ge-
nommen Hauptwerke impressionistischer Zeichnungskunst sindi
Und in Berlin reifen die Entwiirfe zu seinen biblischen Bildern und
Zyklen und die Studien zum Götz, zum Wallenstein, und in der
Berliner Epoche entstehen, nach der Krankheit, die den Riesen vor
dem Kriege niederwarf und die ihn zum Gltick fiir die Kunst nicht
bezwingen konnte, auch die visionären Selbstbildnisse der Alterszeit.
,,Man sieht“, sagt Paul Fechter in einem feinen Vorwort zum Aus-
stellungskatalog, ,,keine Bildnisse mehr; man sieht das Leben selbst
wie durch seltsam von ihm selber gebildete Biilmenmasken
schauend.“

Die Sezession hat die gezeiclmeten Selbstbildnisse Corinths in
einem eigenen Kabinett vereinigt, die frühesten Blätter bis zu den
Spiegelbildern der letzten Lebenstage. Nie noch haben wir in einer
Ausstellung von Handzeichnungen eines modernen Meisters stärke-
res erlebt als diesen Zyklus aufpeitschender Selbstbekenntnisse eines

Künstlerlebens. Die Pose lag ihm nicht, er wollte nur Klarheit iiber
sich: Corinth der Zeichner verbohrte sich in Corinth den Menschen.
Und glaubte der Zeichner, daß sein Spiegelbild den Beethoven
posiere oder den Rembrandt, dann wich er unerschrocken wie er
war, auch hier nicht von der Wahrheit ab. Selbst in den Jahren der
Alterszeit, in der sein Arm nicht mehr aufs Wort gehorchte wie
einst, blieb die Linie wahr. Mochte sie auch dünn erscheinen oder
verschoben, ihr Zusammenhang mit dem inneren Bilde des Meisters
war reine Wahrheit. Ein großer Künstler der das Leben genossen
hat, sieht sich in der Dornenkrone des Dulders.

Kurz nach der Sezession eröffnete die Nationalgalerie ihre
Corinth-Ausstellung. Kultusminister Dr. Becker sprach und nach
ihm Reichskanzler Dr. Luther. Und auch hier sind an 500 Arbeiten
des Meisters vereinigt. Seit zwei Jahrzehnten, seit der Jahr-
hundertausstellung, war in der Nationalgalerie keine größere Schau
a.ls diese Corinth-Ausstellung. Sie ist ein großes Erlebnis, ist das
aufgeschlagene Buch eines Malerlebens, wie es in der deutschen
Kunst der letzten fünfzig Jahre kaum seinesgleichen hat.

Der Werdegang dieses Malerphänomens ist heute schon Ge-
schichte. Die Reihe der Bilder vom „Aweyder Park bei Königsberg“
aus dem Jahre 1879 bis zum letzten „Belbstbildnis mit dem Spiegel“
von 1925 und dem ,,Ecce Homo“ voin Sommer 1925 offenbart seine
Entwicklung. Aus dem Zeichner Corinth, dessen „Handschrift“ wir
eben in der Berliner Sezession sehen, wächst logisch der
Maler auf. So wie der Zeichner, ist auch der Maler iiberall zu
Hause, überall seine Welt und Umwelt schildernd, ob sie Courbet
heißt, wie im Bildnis des Fritz Rumpf von 1898, oder Defregger, wie
in „Max Halbes Garten“ von 1899, oder Manet, wie in „Frau Corinth
im Liegestuhl“ von 1910, oder Delacroix, wie im „Fressenden
Tiger" von 1917. Damit will ich nämlich folgendes sagen: wenn wii'
früher irgendeine Kollektion Corinthscher Bilder sehen konnten,
hatten wir, da immer ein Glied der riesigen Malkette fehlte, die
Empfindung, Corinth habe sich stets nach der „Mode“ gedreht.
Fleute, da in dieser einzigartigen Schau die lange Kette festgefügt
ist und wir gleichsam in alle Poren Corinthscher Malart dringen
können, sind wir uns dessen bewußt, daß er immer er selbst gewesen
ist, Die Glieder der Kette fügen sich logisch aneinander und
schließen sich logisch, gemäß dem unerhörten Temperament, das ihm
eigen gewesen ist. Jenes Bild der „Frau Corinth im Liegestuhl“
hätte selbst der feinste unter den französischen Impressionisten nicht
vibrierender und kultivierter malen können. Dieses Bild ist eine
Entdeckung: das Ganze steht in frischem, saftigen Tiroler Griin,
aus dem Kopf und Bluse und Rock und Riischen und Schirm wie ein
Märchen des Lebens hervorlugen, die Bluse in Lila, der Rock in
Altgoldtönen, die Rüschen in silbergrauem Seidenglanz.

Dieses Bild hängt im Rotundensaal der Nationalgalerie. FJnd
da kommen wir schon zur Einteilung und Anordnung der Corinth-
Ausstellung. Der Katalog fiihrt die Werke des Malers zwar chrono-
logisch auf, aber das Hängen der Bilder geschah mitunter halb nach
malerisch-dekorativen, halb nach künstleriscli-menschlichen Prinzi-
pien. Der ehemalige Cornelius-Saal und der sich anschließende
Rotundensaal sind die beiden Hauptsäle der Nationalgalerie. Im
Cornelius-Saal nun findet man die Porträts des Meisters und seine
wichtigsten biblischen Gemälde, im Rotundensaal die Selbstbildnisse
und die Porträts seiner Frau und Kinder. Die Bilder sind locker
gehängt, in sorgsam gehaltener Abstufung, doch mitunter, wie ge-
sagt, olme zeitliche Verbindung. Irgendein Stück einer Wand diene
als Beispiel: neben dem „Geblendeten Simson“ von 1912 ragt der
••Apostel Paulus“ von 1911 auf, diese Studie zum Altar in Tapiau.
daneben ist „Die Beweinung“ von 1889, daneben das Bildnis von
Corinths Vater (1888) und unmittelbar daran reihen sich die „Kreu-
zigung“ von 1907 und der „Leistikow“ von 1893, den erst vor
kurzem die Stadt Berlin erwerben konnte. Das ist also — zum
Exempel — ein Ausschnitt aus dem ersten Corinth-Saal.

Von der mittleren Wand des kleinen, kapellenartigen Ab-
schlusses im Rotundensaal — beim Eintritt in den ersten Saal fällt
schon der Blick auf die Stirnwand — leuchtet uns das „Selbstbildnis

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