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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

DOI Heft:
1/2. Aprilheft
DOI Artikel:
Singer, Hans Wolfgang: Neue Graphik Alexander Friedrich
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0366

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^joch nie habe ich einen Menschen kennen lernen, bei
^ dem die einfachen Tatsachen des Erlebens unter
einem so außerordentlich hohen Druck vor sich gehen,
wie Alexander Friedrich. Er ist wie eine Dampfmaschine,
bei der der große Regler aller Dinge es nun einmal ge-
wollt hat, daß sie auch die gewöhnlichsten, leichtesten

Alexander Friedrich, Aus Faust II, Radierung

Dinge verrichte unter einer verdoppelten und verdrei-
fachten Ventilbelastung. Wenn man mit ilim zusannnen-
weilt, überkommt einem auch oft genug die Angst, er
müsse einmal plötzlich hochgehen wie ein überheizter
Kessel, auf dessen Sicherheitsvorrichtung zu viele
Atmosphären lagern.

Man denke aber beileibe nicht, daß man es mit einem
pathetischen, theatralischen oder irgendwie verschrobe-
nen Menschen zu tun habe! Alles was Friedrich schafft
und denkt, ist bewahrt und einer sicheren Willenskraft
unterworfen. Dieser Wille will aber in einer Minute
mehr, als der Durchschnittsbürger in ejnem Tag zu
wollen vermag. Jeden seiner in der seltsamen, winzi-
gen, — also auch gedrängten, — Handschrift abgefaßten
Briefe empfängt man mit einer heiligen Scheu. Denn
man weiß im voraus, er enthält keinen gleichgültigen

Satz und er wird erhebliche Anforderungen an den Geist
des Empfängers stellen.

Friedrich gab mir einst eine Abhandlung über das
Radieren zu lesen, von der ich hoffe, daß sie bald in
Druck erscheinen wird. Tschudi hat sich zu der Aussage
verstiegen, das Wertvollste, was über Kunst geschrieben
worden sei, rühre von den Künstlern selbst her. Ueber-
haupt Wertvolles haben die Künstler uns in Worten ge-
geben, nicht wenn sie sich über die Kunst, sondern unbe-
wußt über sich selbst geäußert haben. Was ein aus-
übender Künstler über seine lebenden oder toten Mit-
bewerber aussagt, ist stets ganz verfehlt. Das liegt in
der Natur der Sache. Wenn er den anderen wirklich er-
faßte, so müßte er in ihm das Ideal erblicken können und
sich nach ihm ummodeln. Da jedes Urteil nur dann Wert
hat, wenn es dem innersten Verständnis entspringt, so
kann es nie von irgend welchem Belang sein, was der
eine Meister zur Lebensarbeit des anderen meint. Der
Schaffende kann nun einmal nicht einen anderen
Gott neben sich dulden. Aber wenn er in der Abgabe
eines solchen Urteils sich selbst offenbart, dann werden
wir mit unschätzbaren Aufklärungen beschenkt.

Die Abhandlung Friedrichs ist an sich nur eine tech-
nische Anleitung, — aber was für eine! Der schlichte
Vorgang, der für den üblichen Radierlehrer nur Stoff zu
einer trockenen Anweisung von acht bis zehn Zeilen, —
„Nimm Dies und Das, und tue damit Jenes: dann er-
folgt..— bietet, ist für Friedrich ein hochdramatischer
Vorgang, der sich bis zur tragischen Größe auswächst.
ln diesem Künstler erstand ein Anbeter der Natur, der
in ihrem einfachsten Wirken Taten einer fast gott'ähn-
lichen Kraft verspürt, und der als leidenschaftlicher Erle-
ber auch das Alltägliche so intensiv mitfühlt, wie wir an-
deren nur die großen heroischen Vorgänge, „die durch
Mitleid und Furcht eine Reinigung solcher Affekte zu-
stande bringen“.

Für Friedrich galt es, sich aus seiner Zeit herauszu-
arbeiten, denn natiirlich war er als junger Werdender
ein Kind seiner Zeit. Aber selbst die einst eifrigsten
Apostel geben allmählich bis auf den letzten, wenn auch
noch so verbrämt, zu, — es war eine trostlose Zeit.
Kügelgen sagt: „Durch Revolutionen wird nichts ge-
wonnen, überall nur verloren“. Er mag besonders an
die Kunst gedacht haben, schreibt er doch an anderer
Stelle, Ende Januar 1848: „Die Zeit . . . ist nicht schön.
Zu einer schönen Zeit gehört durchaus Einstimmigkeit
des ganzen Volkes in allen großen Ideen, wie es bei uns
war zur Zeit der Freiheitskriege: da hatten wir diese
Harmonie und dies Finstimmige mit durchaus positivem
Charakter“.

Das Ziel jeglichen Umsturzes ist, uns vergessen zu
lassen, daß wir letzten Endes doch eben nur Menschen

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