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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

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1/2. Aprilheft
DOI Artikel:
Singer, Hans Wolfgang: Neue Graphik Alexander Friedrich
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0367

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Alexander Friedrich, Radierung

sind und stets bleiben werden; uns in den Wahn zu ver-
setzen, daß wir mit unserem kleinen Willen der ewigen
Naturgesetze spotten könnten. Jedesmäl kommen wir
mit blutigen Köpfen davon, und dem nüchternen Betrach-
ter bleibt allein unbegreiflich nur, daß die Menschheit nie
und nimmer aus der Erfahrung lernt und sich immer
aufs Neue in das aussichtslose Abenteuer stürzt. Aber es
geht ihr ja nur wie dem einzelnen Menschen. Auch der
will als Jüngling nie aus der Erfahrung seiner Eltern
und Ahnen Nutzen ziehen. Bis zu einem gewissen Punkt
beruht hierauf natürlich jeder Fortschritt, und nur so oft
dieser, an sich weitgesteckte Punkt überschritten wird,
schlägt die Sache in Verderbnis um. Auch meine Gene-
ration hat, wie alle anderen, den Sturm und Drang durch-
lebt, aber dermaßen wie die Jugend der Jahre 1910 bis
1920 den Glauben gehegt, die Welt habe erst mit uns
angefangen, haben wir doch nicht, so sehr wir auch auf
unsere neuen Gedanken eingeschworen waren. Wir
waren nicht so von der Ueberzeugung durchdrungen,
daß die Zivilisation alle die tausende Jahre nur auf uns
gewartet habe. Und so haben wir uns wohl auch nicht
in diesem Maße mit dem bloßen Theoretisieren begnügt.

Es ist der Zwang des Zeitgeistes, der auf Friedrich
lag, wenn er sein Schaffen mit einem künstlerischen

Kommentar zum zweiten Teil des Faust beginnt, ein
Werk im Umfang von 21 Radierungen und 20 Textholz-
schnitten. Nicht künstlerische, sondern philosophische
Sehnsüchte gaben den Anstoß. Was in jedes Blatt hin-
eingelegt wurde, ist keineswegs mit dem Auge, sondern
nur mit dem Verstand zu enträtseln. Ins rechte Geleise
gelenkt, hätte Friedrich uns Aphorismen, allenfalls Ge-
dichte, aber nicht Bilder vorgetragen. Und doch siegt ab
und zu das Gefühl über den Geist: namentlich in der
Raumgestaltung tritt uns öfters, in dem architektonischen
Rahmen, das Wirken des Seherauges eines Künstlers
entgegen.

In seiner bald darauf folgenden „Musik“ wird Fried-
rich noch abstruser. Die Allegorie auf musikalisches
Empfinden wird zum Teil mit dem Leiden Jesu verquickt
und das Ganze in der Formensprache des Expressionis-
mus ausgeführt. Ohne die Unterschriften wäre die ganze
Anstrengung so ziemlich in nichts verpufft. Aber auch
hier reißt ab und zu die eingeborene Künstlernatur das
ausgetüftelte Gebäude um: so in dem Blatt „Beratung“,
das mit seiner erstaunlichen Lichtwirkung völlig auf
einem künstlerischen, inneren Gesicht beruht, und erst
nachträglich in das Gefüge dieses Zyklus’ eingesetzt
worden sein muß. Dieses Blatt kann für sich bestehen,

Alexander Friedrich, Radierung

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