Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

DOI Heft:
1/2. Märzheft
DOI Artikel:
Hirschberg, Leopold: Salomon Geßner als Selbst-Illustrator: aus den Sphären der höheren Bibliophilie
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0315

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Salomon (äcßnec ats Selb{!=1Uu{?t?atoc

Aus den Spbären det? böbßt?en BibliopbÜie

oon

tcopold Jitt’fcb bevg,

Geßners Werke sind in fiinf, drei und zwei Bänden
in den Jahren 1770—1778 vereint worden und
geben damit den Beweis der Liebe und Achtung, mit der
diese Dichtungen aufgenommen, aber auch den der Kunst
und Erfindungskraft, mit denen ihr Schöpfer sie aus-
stattete.

Am einfachsten erscheint die dreibändige
Ausgabe von 1770—1772. Sie ist zum Unterschied
von allen andern (es gibt noch mehr als die hier zu be-
sprechenden) in Fraktur gedruckt und sollte offenbar ein
wohlfeiles Werk sein; trotzdem gewann es der zeich-
nende Dichter und Verleger nicht über sich, es schmuck-
los in die Welt zu svnden. Von den drei sehr sorgfältig
ausgeführten großen Titelvignetten bezieht sich die zum
ersten Bande auf die Schlußepisode des „Tod Abels“;
Kain mit seiner ihm muthvoil folgcnden Gattin Mehala
und den kleinen Kindern „giengen itzt beym Mondschein,
oft zurückweinend, von den Hütten weg, hinaus in öde
Gegenden, wo noch keines Menschen Fußtritt gewandelt
hatte.“ Die zum zweiten bildet die Einleitung zu „Die
Erfindung des Saitenspiels und des Gesanges“ und zeigt
einen die Syrinx haltenden geflügelten Genius zu Füßen
eines Mädchens in lieblichster Baumlandschaft. Nicht
minder reizend ist die Titelvignette des dritten Bandes,
die zu der ersten der darin befindlichen Idyllen gehört:
Chloe führt die schüchterne Daphne ihrem geliebten
Alexis zu.

Unvergleichlich schöner aber ist die zu gleicher Zeit
veranstaltete fünfbändige Antiqua-Ausgabe; denn deren
Typen können (was bei der Fraktur nicht der Fall ist)
noch heute als höchstes Muster ihrer Art gelten. Außer
fünf verschieden gestochnen Titeln sind noch 31 Vig-
netten im Text enthalten, die alle längst gepriesnen
Vorzüge Geßnerschen Kunst aufweisen. Sinn- nnd reiz-
voll, monumental und doch nicht überladen, wirken die
Titelschriften, die als Reliefs, an blumenumsponnenen
Steinwänden befestigt, gegeben sind; dazn tritt dann als
Wahrzeichen für jeden Band ein besonderes Zierstück:
Der opfernde Abel, Hirtenstab und Flöte (für „Daphnis“),
ÜTeokrit (für die Idyllen) usw. Dazu ein Papier,
an dem anderthalb Jahrhunderte spurlos vorübergingen
- man wird da die Wonnegefühle des Bücherfreundes
begreifen.

Alles, Alles aber versinkt gegen die Quart-Aus-
gaben der „Schrifften“ (2 Bände, 1777—1778) in
Schatten. Sie gehörte stets zu dem Erstrebenswerthesten
und — Unerreichbarsten der Bibliopholie und stellt
buchtechnisch etwas für heutige Begriffe Unfaß- und Un-
ausführbares vor. Das feinste holländische Bütten ist
mit Lettern von 50 Millimetern Höhe und 39 in Kupfer
gestochenen Zierstücken bedeckt; dazu treten außer den
gestochenen Titeln noch 20 blattgroße Kupfer. Behag-

lich lehne ich micli in meinen Armstuhl und beschreibe
einen Theil der Darstellungen.

Viele der großen Kupfer gemahnen an einen hundert
Jahr später schaffenden Landsmann Geßners, an Arnold
Böcklin. So der im Kreise der Hirten und Hirtinnen an
den Baum gebundene Faun, der seinen Zuhörern das
Klaglied vom zerbrochenen Krug singt; die von Tritonen
dem Faun entführte Nymphe; der aus dem Jagdnetze
von einem Faun befreite ziegenfüßige Satyr; die große
Gruppe aller Gestalten der Idylle überhaupt: Bacchus,
Amor, Satyr, Faun und Nymphe. Unwillkürlich denkt
man bei der auf schroffer Klippe stehenden schönen Me-
lida, die sich kummervoll auf einen von mächtigen Baum-
riesen überwachsenen Felsblock stützt und den Blick
von der tosenden Fluth wendet, an die „Meeresbran-
dung“. Hervorragend ist die in den Armen des lüstern-
den Pan „zur Quelle schmelzende“ Nymphe aufgefaßt
und ausgeführt; von Schultern und Armen träuft schon
das von der, imGebet gerufnen,Diana gespendete Wasser
hernieder, während die holde Mädchengestalt selbst mit
ihrem wie in Todesermattung gesenkten Köpfchen schon
nicht mehr der Erde anzugehören scheint. Und weiter in
bewundernswürdigem Wechsel des Ausdrucks und der
landschaftlichen Umgebung liebende und schmachtende
Hirten und Hirtinnen: Chloe kränzt ungesehen den ihren
Namen in eine Fichtenrinde grabenden Milon; Phillis una
Chloe plaudern von arkadischem Liebesglück; der Hirt
Menalkas und der Jäger Aeschines treffen sich in schrof-
fer Felsenwildniß; Alexis, Daphne und Chloe im mond-
durchleuchteten Garten. Ganz anders, aber von glei-
cher Trefflichkeit sind die „historischen“ Kupfer, wie sie
in den Verlagsanzeigen betitelt sind; es bedeutet nichts
anders als bildliche Darstellungen zu Stücken erzählen-
den und verwandten Inhalts. Hierin gehören die Jllustra-
tionen zu dem prosaisch-epischen Gedicht „Der erste
Schiffer“ und dem Schäferspiel „Evander und Alcimna“.
Inhaltlich ist übrigens diese Prachtausgabe gegenüber
den andern unvollständig, da ihr „Der Tod Abels“,
der „Daphnis“ und die Uebersetzung der Diderotschen
Erzählungen fehlt.

So hoch nun auch der Werth der großen Blätter
angeschlagen werden mag — des Werkes eigentlicher
Reiz besteht in den vielen Textvignetten. In dieser
Kleinkunst ist Geßner nur mit den Größten dieses Ge-
bietes, Chodowiecki und Meil, zu vergleichen; und wenn
es nicht zu bezweifeln ist, daß die beiden deutschen Mei-
ster sich an ihm bildeten, so hat doch ein jeder seine
specielle Eigenthümlichkeit sich streng zu bewahren ver-
standen. Ist das Schlicht-Bürgerliche Chodowieckis,
das Heroische Meils, so ist das Mythologische nnd Land-
schaftliche Geßners ureigenstes Feld. Wie er durch Aus-
stattung diese Ausgabe zum Abbild seines Lebenswerkes

281
 
Annotationen