und überzeugend die unentrinnbare Macht dieses ekelhaft
leidenschaftlichen Weibes. Das Gemüsestilleben v a n
Goghs aus seiner frühen, an Manet anknüpfenden Ent-
wicklung stammend, wurde schon erwähnt. Die Spinne-
rin, von der eine Zeichnung im Haager Museum ist, zeigt
den Meister noch ganz mit der von ihm so hoch verehrten
Kunst seiner holländischen Zeitgenossen, besonders
Israels verbunden. Aus Henri Rousseaus ab-
sonderlich rührenden Welt grüßen zwei Bilder herüber,
die beide aus Wilhelm Uhdes Besitz stammen.
Mit S i g n a c ’ s „Stadt in der Provence“ beginnt
die Sammlung ihren reichen und vorzüglichen Anteil an
der jüngsten Entwicklung zu nehmen. Auch diese far-
benfreudige Zeichnung ist keines der vielen Dutzend-
bilder, die Signac im Glück der gefundenen Formel des
Pointillismus gemalt hat, sondern ein höchst eigenes
Dokument seiner früheren Zeit. Man sieht aber auch an
ihm, wie stark die Ueberlieferungen der heroischen
Landschaft den Franzosen nun einmal im Blute liegt und
immer wieder ein neues und modernes Gesicht vorweist.
Von D e r a i n besitzt Streit das wundervolle Pastell
eines weiblichen Rückenaktes und die „Badenden“. In
der Felsenlandschaft erscheint Derain als unmittelbarer
Fortsetzer der klassischen Kunst Poussins, von dessen
mehr oder weniger bewußtem Weiterleben in der fran-
zösischen Bildvorstellung noch unserer Zeit auch in die-
ser Sammlung manches Bild Zeugnis ablegt. Selbst in
M a t i s s e s „Notre Dame“ mit seiner kühnen Malweise
ist diese Grundlinie französischer Malerei nicht zu ver-
kennen. Es ist wieder ein Blatt, das den Künstler in
seinen Anfängen durchaus mit der ältesten Tradition ver-
wachsen zeigt. Kein geringer Vorzug der Sammlung
Streit besteht gerade darin, an frühen Werken revolutio-
nierend wirkender Maler die Ununterbrochenheit einer
glorreichen, durch die Jahrhunderte sich fortsetzenden
Ueberlieferungen dartun zu können. Eine Geschichte
dieser Anfänge würde die großartige Verbundenheit
französischer Malkunst durch die Zeiten und Stile hin-
durch iiberzeugend nachweisen. A s s e 1 i n s „Fluß mit
Booten“ von 1909 wäre darin ein gewichtiges Glied.
Denn dieses Aquarell hat von Claude Lorrains Zeichnun-
gen etwa der „Ripa Grande“ im Britischen Museum, der
„Bucht mit Turm“ ebenda oder dem „Leuchtturm von
Civitavechia“ im Berliner Kupferstichkabinett ebenso
viel bewahrt wie es von Signacs erwähnter Zeichnung
neu in sich aufnimmt und verarbeitet. Ebenso historisch
gebunden in seiner klassischen Komposition, dabei aber
ganz von modernem Geiste erfüllt, ist C a m o i n s
„Hafen von Marseille“. Die „Brücke'“ und „Les Ande-
lys“ von Vlaminck und eine Landschaft von 0 t h o n
F r i e s z vervollständigen den Kreis der Nachimpressio-
nisten. G i r i e u d ’ s „Felsen und Pinien“ von 1907
atmen den römischen Geist klassischer Kunst Frank-
reichs, wie er bei uns etwa in Karl Hofer weiterlebt. Die
dekorative Heiterkeit und der raffiniert-freudige Ge-
schmack der Pariser Kultur spricht aus dem entzücken-
den Bildchen der „Spanischen Tänzerin“ von M a r i e
Laurencin und Herbins „Bunten Teppich mit
Vasen“.
Wie Girieud ist auch der Russe Jawlensky seit
dem ersten Manifest der neuen Kunst in Fischers „Neuem
Bilde“ von 1.912 etwas in den Hintergrund getreten. Von
ihm besitzt Streit das prachtvolle Brustbild eines sitzen-
den Mädchens, ganz en face, beinahe wie ein altes
Mosaik wirkend in seinem leuchtenden Blau, Rot, Gelb
und Grün. Bleibt aber die beherrschte Schönheit dieses
Werkes etwas an der Oberfläche haften, so führt
Eduard Munchs „Knabenbildnis“ von 1907 tief in
die Seele des jungen Menschen hinein. Das Porträt,
von unmittelbarstem Leben erfüllt, ist in einem Blau von
tiefer und satter Pracht der Farbe gehalten. Es stammt
aus derselben Periode des Künstlers wie die von der
Hamburger Kunsthalle kürzlich erworbenen Bildnisse
eines Herrn und einer Dame.
Die Sammlung Streit ist gewissermaßen Ausdruck
des bürgerlichen Menschen, der auch heute noch das
Kulturniveau dieser soliden und arbeitstätigen Stadt
Hamburg bestimmt. Für ihr geistiges Bild bedeutet die
Sammlertätigkeit eines so zielbewußten Kunstfreundes
nicht wenig. Wie Theodor Behrens findet er in der
trotz aller künstlerischen Revolutionen doch im Grunde
stets großbürgerlich und weltbürgerlich gebliebenen
Malerei Frankreichs den Kern seines eigenen Wesens
wieder. Der Ausbau dieser Sammlung fällt in eine Zeit,
in der dem französischen Impressionismus und seiner
Nachfolge eine erneute Wertschätzung entgegengebracht
wird. Pflegt sie schon ein Spezialgebiet, so ist es doch
kraft seiner künstlerischen Ueberlegenheit und seiner
entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung jenes, das die
Blüte europäischer Malerei des letzten Jahrhunderts
umfaßt. Darum wird diese Sammlung, je mehr sie in
den kommenden Jahren wächst, in denen vielleicht
manche gleichgerichtete Sammlung der Auflösung ver-
fallen wird, repräsentativen Wert erlangen. Schon jetzt
hat die letzte Entwicklung gegenwärtiger Kunst auf eine
ohne Extravagänzen gute Malerei hin, ihr, die längst nicht
abgeschlossen ist, eine erhöhte und verjüngte Aktualität
verliehen.
Hermann Struck
Venedig
Radicrung
Aus Donath: „Hermann Struck“
Welt-Vcrlag, Berlin
280
leidenschaftlichen Weibes. Das Gemüsestilleben v a n
Goghs aus seiner frühen, an Manet anknüpfenden Ent-
wicklung stammend, wurde schon erwähnt. Die Spinne-
rin, von der eine Zeichnung im Haager Museum ist, zeigt
den Meister noch ganz mit der von ihm so hoch verehrten
Kunst seiner holländischen Zeitgenossen, besonders
Israels verbunden. Aus Henri Rousseaus ab-
sonderlich rührenden Welt grüßen zwei Bilder herüber,
die beide aus Wilhelm Uhdes Besitz stammen.
Mit S i g n a c ’ s „Stadt in der Provence“ beginnt
die Sammlung ihren reichen und vorzüglichen Anteil an
der jüngsten Entwicklung zu nehmen. Auch diese far-
benfreudige Zeichnung ist keines der vielen Dutzend-
bilder, die Signac im Glück der gefundenen Formel des
Pointillismus gemalt hat, sondern ein höchst eigenes
Dokument seiner früheren Zeit. Man sieht aber auch an
ihm, wie stark die Ueberlieferungen der heroischen
Landschaft den Franzosen nun einmal im Blute liegt und
immer wieder ein neues und modernes Gesicht vorweist.
Von D e r a i n besitzt Streit das wundervolle Pastell
eines weiblichen Rückenaktes und die „Badenden“. In
der Felsenlandschaft erscheint Derain als unmittelbarer
Fortsetzer der klassischen Kunst Poussins, von dessen
mehr oder weniger bewußtem Weiterleben in der fran-
zösischen Bildvorstellung noch unserer Zeit auch in die-
ser Sammlung manches Bild Zeugnis ablegt. Selbst in
M a t i s s e s „Notre Dame“ mit seiner kühnen Malweise
ist diese Grundlinie französischer Malerei nicht zu ver-
kennen. Es ist wieder ein Blatt, das den Künstler in
seinen Anfängen durchaus mit der ältesten Tradition ver-
wachsen zeigt. Kein geringer Vorzug der Sammlung
Streit besteht gerade darin, an frühen Werken revolutio-
nierend wirkender Maler die Ununterbrochenheit einer
glorreichen, durch die Jahrhunderte sich fortsetzenden
Ueberlieferungen dartun zu können. Eine Geschichte
dieser Anfänge würde die großartige Verbundenheit
französischer Malkunst durch die Zeiten und Stile hin-
durch iiberzeugend nachweisen. A s s e 1 i n s „Fluß mit
Booten“ von 1909 wäre darin ein gewichtiges Glied.
Denn dieses Aquarell hat von Claude Lorrains Zeichnun-
gen etwa der „Ripa Grande“ im Britischen Museum, der
„Bucht mit Turm“ ebenda oder dem „Leuchtturm von
Civitavechia“ im Berliner Kupferstichkabinett ebenso
viel bewahrt wie es von Signacs erwähnter Zeichnung
neu in sich aufnimmt und verarbeitet. Ebenso historisch
gebunden in seiner klassischen Komposition, dabei aber
ganz von modernem Geiste erfüllt, ist C a m o i n s
„Hafen von Marseille“. Die „Brücke'“ und „Les Ande-
lys“ von Vlaminck und eine Landschaft von 0 t h o n
F r i e s z vervollständigen den Kreis der Nachimpressio-
nisten. G i r i e u d ’ s „Felsen und Pinien“ von 1907
atmen den römischen Geist klassischer Kunst Frank-
reichs, wie er bei uns etwa in Karl Hofer weiterlebt. Die
dekorative Heiterkeit und der raffiniert-freudige Ge-
schmack der Pariser Kultur spricht aus dem entzücken-
den Bildchen der „Spanischen Tänzerin“ von M a r i e
Laurencin und Herbins „Bunten Teppich mit
Vasen“.
Wie Girieud ist auch der Russe Jawlensky seit
dem ersten Manifest der neuen Kunst in Fischers „Neuem
Bilde“ von 1.912 etwas in den Hintergrund getreten. Von
ihm besitzt Streit das prachtvolle Brustbild eines sitzen-
den Mädchens, ganz en face, beinahe wie ein altes
Mosaik wirkend in seinem leuchtenden Blau, Rot, Gelb
und Grün. Bleibt aber die beherrschte Schönheit dieses
Werkes etwas an der Oberfläche haften, so führt
Eduard Munchs „Knabenbildnis“ von 1907 tief in
die Seele des jungen Menschen hinein. Das Porträt,
von unmittelbarstem Leben erfüllt, ist in einem Blau von
tiefer und satter Pracht der Farbe gehalten. Es stammt
aus derselben Periode des Künstlers wie die von der
Hamburger Kunsthalle kürzlich erworbenen Bildnisse
eines Herrn und einer Dame.
Die Sammlung Streit ist gewissermaßen Ausdruck
des bürgerlichen Menschen, der auch heute noch das
Kulturniveau dieser soliden und arbeitstätigen Stadt
Hamburg bestimmt. Für ihr geistiges Bild bedeutet die
Sammlertätigkeit eines so zielbewußten Kunstfreundes
nicht wenig. Wie Theodor Behrens findet er in der
trotz aller künstlerischen Revolutionen doch im Grunde
stets großbürgerlich und weltbürgerlich gebliebenen
Malerei Frankreichs den Kern seines eigenen Wesens
wieder. Der Ausbau dieser Sammlung fällt in eine Zeit,
in der dem französischen Impressionismus und seiner
Nachfolge eine erneute Wertschätzung entgegengebracht
wird. Pflegt sie schon ein Spezialgebiet, so ist es doch
kraft seiner künstlerischen Ueberlegenheit und seiner
entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung jenes, das die
Blüte europäischer Malerei des letzten Jahrhunderts
umfaßt. Darum wird diese Sammlung, je mehr sie in
den kommenden Jahren wächst, in denen vielleicht
manche gleichgerichtete Sammlung der Auflösung ver-
fallen wird, repräsentativen Wert erlangen. Schon jetzt
hat die letzte Entwicklung gegenwärtiger Kunst auf eine
ohne Extravagänzen gute Malerei hin, ihr, die längst nicht
abgeschlossen ist, eine erhöhte und verjüngte Aktualität
verliehen.
Hermann Struck
Venedig
Radicrung
Aus Donath: „Hermann Struck“
Welt-Vcrlag, Berlin
280