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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

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1./2. Oktoberheft
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Die Amsterdamer "Historische Ausstellung 1925" I
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0085

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Dte Amltet’damet? „(itltocißbe Auslteliung 1925"

In diesem Sommer hat es in Europa sehr viele Kunstausstellun-
gen gegeben. Daß sie trotz der fortbestehenden wirtschaftlichen
Krisis gemacht werden konnten und Nahrung und Widerhall fanden,
beweist, daß man mit dem Glauben an die Kunst und an ihr Fort-
bestehen nach allen Katastrophen auch den Glauben an eine Resta-
bilierung, wenigstens des Geistigen, wiederzugewinnen trachtet.
Denn nicht nur die schreckliche und gewöhnliche Exposition des
Arts decoratives, sondern auch die prachtvoll schöne Schau „Die
Landschaft von Poussin bis Corot“ waren in Paris außerordentlich
stark besucht. Nicht nur erhielt jene auf geschäftlicher Basis Ein-
sendungen größten Stils, sondern auch diese konnte olme kauf-
männischen Hintergrund rein aus dem europäischen Museums- uiid
Privatbesitz (mit dem Prado und dem König von England au der
Spitze) aufgebaut werden zu einer außerordentlichen Angelegen-
lieit und wurde also ernster genommen als die Exposition. Und
in Deutschland reihte sich — neben den mehr lokalen, aber teilweise
sehr großziigigen Ausstellungen aus Privatbesitz in Berlin, Aachen,
Diisseldorf, Frankfurt, Hamburg, Mainz — in diesem Jahre das
Riesenunternehmen der Kölner Jahrtausendausstellung an, die
überraschende Werte zeigte und trotz nicht geringen Eintrittsgeldes
und sehr langer Oeffnungszeit (9 bis 7 Uhr) stets außerordentlich
gut besucht war.

Amsterdam feiert sein 650. Geburtsjahr durch eine im Rijks-
und im Nordischen Museum untergebrachte Aussteüung, die ähnlich
großzügig ist. Nur ist die räumliche, organisatorische und inhalt-
liche Trennung (insofern als vom 18. Jahrhundert ab aucli Wirt-
schafts- etc. Geschichte dazugenommen und alles dies von besonde-
ren Fachleuten itn Stedelijk-Museum untergebracht ist) dem Gesamt-
aufbau nicht günstig. Urkunden, Erinnerungen, graphische Darstel-
lungen sind Elemente, Kunstwerke, Resultate der Entwicklung, und
ausstellungsfähig sind eigentlich überhaupt nur Gegenstände der
bildenden Kunst. Den trotz des liohen Eintrittsgeldes (jeder ist ge-
zwungen, den zweibändigen Katalog zu kaufen, da jede Beschrif-
tung fehlt) außerordentlich zahlreichen Besuchern wird die Aus-
stellung unvergeßlich bleiben, aber nur deswegen, weil nicht alles
systematisch gleichwertig ausgestellt, sondern die Akzente außer-
ordentlich verschieden und doch völlig richtig verteilt sind. Unter
allen Ausstellungsgegenständen ist in erster Linie die bildende
Kunst, innerhalb dieser die Malerei, davon wieder die des 17. Jahr-
hunderts und hierin endlich Rembrandt am meisten betont worden.

Direktor Schmidt-Degener und sein Assistent
R o e 11 haben in Auswahl und Anordnung, wodurch allein eine
Ausstellung als solche produktiv wird, geradezu Werte g-eschaffen.
Die Nachtwache ist umgehängt und aus dem seitlich beleuchteten
Dunkelraum,' in dem die Hauptfiguren zu sehr, alle anderen zu wenig
hervortraten, in den großen „Ehrensaal“ des Rijksmuseums ver-
bracht worden. Hier ist die Beleuchtung geschickt verbessert, sodaß
das Bild nun weit einfacher und richtiger zur Wirkung kommt. —•
Dies hat seinen Grund mit in dern Zusammenwirken der übrigen
großen Schützenstücke, die hier ganz, wie sie im Cloreniersdoelen
hingen,, angeordnet sind. Rembrandts Werk ist so geladen mit
Energie und Eigenwillen, daß die noch steigernde Sonderaufhän-
gung seiner Wirkung nur schaden konnte, und komrnt erst jetzt
zu wahrer Wirkung. Endlich ist auch mit der Aufhängung der
, Eendracht van het Jand“, der von Rembrandt kurz vor der Nacht-
wache gemalten Allegorie des Boymans-Museums, die gegenüber der
Nachtwache hängt, ein interessanter llinweis Schmidt-Degeners
jetzt auch anschaulich gemacht: die starke Verwandtschaft dieser
beiden Bilder ihrem Zwecke, vor allem ihrer fonnalen Gestaltung,
ja ihrer Stimmung nach.

Solche Feinheiten der Hängung, die mehr bedeuten als die
außerdem vorhandene dekorative Gefälligkeit der Anordnung, sind
in der Ausstellung sehr häufig. Wann kann man jemals wieder die
Tulp’sche Anatomie aus dem Mauritshuis mit dem Fragment der
späten Komposition vergleichen? Das friihe Werk mit seiner schar-
fen, noch ein wenig unbeherrschten Energie verliert nichts an Wert
gegenüber der Größe und Ferne des Deyinans-Bildes und die wicli-

tige Erkenntnis wird bestätigt, daß man auf jener Ebene nicht von
„Wachsen“ und „Aufsteigen“, sondern nur von Entfalten, von Ent-
wickeln, von etwas schon Vorhandenem sprechen darf. Der Gegen-
satz von Rembrandts Kunst der 1650er zu der der 60er Jahre wird
schön veranschaulicht durch den Fahnenträger (1654, Kunsthändler
Duveen, New York) einerseits, und das aus der Berliner Samm-
lung Koppel hergeliehene Bildnis des Lairesse (1665) andererseits.
Dieses Bild zeigt im Ausdruck von Antlitz und Haltung, in der
Flächen- und der Farbenkomposition jenes Streben der 50er Jahre
nach völlig ausgeglichener Harmonie, nach einer von klassischen
Vorbildern bisweilen angeregten Ausbalanzierung aller Bildfaktoren
die in Rembrandts letztem Jahrzehnt von allein Gewollten und
Absichtlichen befreit wird. Jetzt redet Rebrandt in ganz einfachen
Worten, aber sie sind so groß und tief, daß alle diese letzten Werke
gleichermaßen erheben und erleuchten, ob sie cine Liebesszene,
wie die ,Judenbraut“ oder einen schaurig-tragischen Menschen vvie
diesen Lairesse abbilden. Und selbst innerhalb der Werke des
letzten Jahrzehnts wird rrian zur Vergleichung aufgefordert durch
die benachbarte Hängung des mächtigen, volltönenden Selbstbild-
nisses von Lord Iveagh*) und das in seiner Selbstkenntms er-

Catbys silberne Schale von Lutma, 1662. Rijksmuseum Amsterdam

schiitternden letzten Porträts, das Rembrandt in seinem Todesjahr
von sich malte (Sammlung Kappel, Berlin) und das in seiner völligen
äußeren Schlichtheit eine atemnehmende Wahrheit und Kraft besitzt.

Der Gipfelpunkt der ganzen Ausstellung ist jedoch das Bild,
das die Verschwörung des Claudius Civilis darstellend, von Rem-
brandt 1662 für das neue Amsterdamcr Rathaus gemalt wurde,
später aber wieder entfernt und beschnitten werden mußte. Der die
Hauptgruppe umfassende Rest gelangte nach Schweden und von
dort aus privatem Besitz in die Kunstakademie, die es anf die Aus-
stellung lieh. Die Münchener Zeichnungen, die mit dem Bild in
Zusammenhang stehen, sind mit ausgestellt, die hauptsächlichste in
vielfacher Vergrößerung. Sticlie und ein schönes Gemälde P. de
Hoochs, aus denen der ursprüngliche Aufhängungsort ersichtlich ist,
vervollständigen das Bild. Auch die Darstellung des gleichcn Gegen-
stands von Otto van Veen, jenem Leidener Kiinstler, der sowohl auf
Rubens wie auf Rembrandts Eihfluß ausgeübt zu liaben scheint, ist
hier angebracht und zeigt, daß zwar Rembrandt in winzigen Einzel-
niotiven sich ihrer erinnert haben körinte, aber im Uebrigen auf
einem gänzlich anderen künstlerischen und zeitlichen Niveau steht.
Die Ausstellung trägt außerordentlich zur Kiärung der Streitfragen

*) Es sei angemerkt, daß sich gegenwärtig nach diescm Bilde
eine ausgezeichnete englische Kopie des 18. Jahrhunderts im Kunst-
handel befindet. Da von Reynolds bekannt ist, daß es in der Galerie
Corsini, aus der das Iveagh’sche Bild im Beginne des 19. Jahrhun-
derts erworben wurde, ein Rebrandtselbstbildriis kopierte, so dürfte
es sich dabei um das genannte Werk lumdeln.

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