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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

DOI Heft:
1/2. Januarheft
DOI Artikel:
Schaeffer, Emil: Ein unbekanntes Jugendwerk von Dycks
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0218

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jem Kunsthistoriker, der Behauptungen aufstellt,
kann nichts Angenehmeres begegnen, als wenn
gute Reproduktionen ihm die Mühe abnehmen, seine
Hypothesen durch langatmige Sätze zu begründen.
Braucht es z. B. vieler Worte, um zu beweisen, daß

Anthonis van Dyck, Pietä

diese hier abgebildete „Pietä“ 1), deren vorzügliche Er-
haltung besonders hervorgehoben sei, zu jenen Früh-
werken des van Dyck gehört, in denen er päpstlicher
sein wollte als der Papst, Rubenshafter als der Meister
selber? Ungemein reizvoll ist es, an dieser von der
Forschung meines Wissens bisher nicht beachteten
Jugendarbeit die Verschwisterung des angelernten
Rubenshaften mit dem angeborenen van Dyckischen zn
studieren: Die Madonna gemahnt an die Maria des Mei-
sters in dem „Christe ä la paille“ getauften Bilde des
Anwerpener Museums, das um die nämliche Zeit wie

das Gemälde des Schülers, d. h. um’s Jahr 1618, ent-
standen sein mag; aber der klagende, nach aufwärts
gewandte Niobeblick ihrer rotgeweinten Augen, die
weiße Hand mit den überschlanken, spitz zulaufenden
und gepflegten Fingern — auch Magdalena hat die-
selben Hände! — iri alledem offenbart sich bereits der
Sir Anthoni van Dyck späterer Jahre; Johannes
gleicht einem Apostel des Rubens, dem ungläubigen
Thomas des Museums von Antwerpen, und Magdalena
endlich ist eine Schwester der „Badenden Susanna“ des
Lehrers im Stockholmer Museum; aber in den hektisch-
roten Flecken ihres Angesichtes — auch Johannes hat
sie! -— im scharf betonten Gegensatz der weißen Iris
zu den schwarzen Augensternen, im seidigen Glänzen
der rostroten, mit unsäglicher Zärtlichkeit gemalten
Haarwellen, in wundervollen Goldbrokat ihres Mantels,
— in allem kündet sich bereits der große „peintre des
femmes“ an, der malende Dichter „von Weibes Wonne
und Wert“. Die Gewänder dieser drei Gestalten füh-
ren — auch das ist charakteristisch für den jungen van
Dyck! — eine Art Sonderdasein, wollen durchaus mehr
bedeuten als Umhüllungen von Körpern, deren Umrisse
unter diesen breiten, prachtvoll gebauschten Mänteln
fast gänzlich verschwinden. Van Dyck, der Farben-
selige, brauchte eben große schwärzlich-graue, weiße,
goldene, blaue und fanfarenhaft wirkende rote Flächen,
brauchte Faltenberge und -täler als Schlachtfeld für den
Kampf hellster Fichter mit dunkelsten Schatten.

Den sichersten Beweis für die Autorschaft van
Dycks an diesem Gemälde gibt uns seine Hauptfigur,
Christus, der, im Gegensinne allerdings, dem (Heiland)
der unzweifelhaft eigenhändigen, frülien „Pietä“ 2) der
Münchener Pinakothek beinahe völlig gleicht. Das stär-
kere Temperament jedoch waltet in dem Florentiner
Bilde. Niemals hat der junge van Dyck einen sorgsamer
durchgeführten Akt geschaffen als in diesem mit grau-
sam-brutalen Naturalismus hingemalten Christus: Pur-
purn sickert Blut aus Mund und Nase, fließt aus der
Seitenwunde auf das Weiß des Linnens; noch hat keine
milde Hand die totenstarren Augen zugedrückt, wild
hängt brandrotes Haar ins Antlitz, das, ebenso wie die
krampfartig verzogenen Füße, graugrüne Leichentöne
anzunehmen beginnt.

Woher diese „Pietä“ kommt, über welchem Altar
sie voreinstens hing, ist unbekannt und zuletzt auch
gleichgültig; von Wichtigkeit aber ist, daß wir dem
Oeuvre van Dycks eine Schöpfung angliedern können,
die man unbedenklich mit den besten Werken seiner
Frühzeit in einem Atem nennpn darf.

D Auf Leinwand. Höhe 2,17 m, Breite 1,47 m. Im Besitze
des Cav. Giuseppe Volterra zu Florenz.

2) Vergl. meinen „Anthonis van Dyck“ in den „Klassikern
dcr Kunst“, Abb. Nr. 28.

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