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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

DOI Heft:
1./2. Novemberheft
DOI Artikel:
Walter, Karl: Ein verschollener Pesne: die "Geburt Christi" in der St. Hedwigskirche wiederentdeckt
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0115

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Kat’t lÜattet’

/\ ntoine Pesne ein religiöser Maler? fragen sich die
1 * ineisten Menschen, die den Meister aus seinen Por-
traitbildern, aus seinen Decken- und Wandgemälden be-
sonders in den Schlüssern zu Rheinsberg, Charlotten-
burg, Potsdam und Sanssouci kennen. Pesne bevor-
zugte bei seinen Kompositionen mythologische Stoffe,
dabei den fast nackten Menschen mit großer Freiheit und
Feinheit darstellend. Seine Lebensfreude atmenden
Genrebilder waren weltlich, und seine Portraits wurden,
dem Geschmack und der Eitelkeit der darzustellenden
Menschen folgend, wahre Kostümbilder. Vielleicht hat
auch gelegentlich jemand davon gehört, daß noch in
Charlottenburg geheimgehaltene Gemälde von Pesne
vorhanden sind, von denen angeblich Voltaire eins, wenn
auch nicht ganz richtig, in seinen Memoiren „La vie pri-
vee du Roi de Prusse . ..“ beschreibt, während Friedrich
Nicolai ihrem Vorhandensein in seinen Anekdoten über
Friedrich den Großen (1788) widerspricht. Mit Erstau-
nen wird daher vernommen, daß Pesne unter dem Sol-
datenkönig Friedrich Wilhelm I. auch eine religiöse Pe-
riode in seinem bis ins hohe Alter reichenden Schaffen
gehabt hat, und daß die Krone dieses Schaffens ein Jahr-
hundert lang verborgen und vernachlässigt wurde, ja
daß eine tiefe Vergessenheit ohne jemandes Erröten dar-
iiber sank. Es ist das ein großes Bild „von bestechen-
dem Kolorit“, wie Friedrich der Große einmal Pesne’s
Manier nannte, von anmutigster Darstellung, „Die Ge-
burt Christi“. Von einer festen Staubschicht bedeckt und
von Rissen durchzogen, fristet es ein verachtetes, ver-
wahrlostes Leben im spinnwebenen Winkel unter neun
anderen unbedeutenderen Bildern auf dem Boden der
St. Hedwigskirche zu Berlin.

Ich hatte mich schon längere Zeit mit der Geschichte
dieser Kirche beschäftigt und Aufsätze über den dort be-
grabenen Grafen Rothenburg sowie über Voltaire’s Be-
ziehungen zu ihr veröffentlicht. Da kam ich denn auch
auf ein altes, vergilbtes, sehr seltenes Büchlein, „Die Ge-
schichte und Beschreibung der neu erbauten katholi-
schen Kirche zu St. Hedwig in Berlin nebst einer aus-
führlichen Erzählung und Erklärung aller Ceremonien,
welche bei der feierlichen Einweihung derselben am 1.
November 1773 beobachtet wurden.“ Es heißt dort:
„Der rechter Hand befindliche Seitenaltar pranget mit
einem schönen Gemälde, welches die Geburt Christi vor-
stellt und eine Arbeit des berühmten Pesne ist.“ Aber
der Altar und der Pesne sind nicht mehr dort. Statt
seiner hängt jetzt rechter Hand ein schablonenhaftes,
geleckt schönes Bild in streng katholischer Auffassung
mit der Jahreszahl 1867 und einem ,,F“, durchschlungen
von einem „S“. Niemand von der Geistlichkeit konnte
mir sagen, wer der Maler sei. Akten und Inventar sind
trotz Bemühungen nicht zugänglich oder nicht vor-
handen.

Ich suchte nun Pesnes „Geburt Christi“ überall in
den Schlössern Friedrichs des Großen, obwohl ich wußte,
daß Friedrich kein Freund dieses Themas war. Das
Bild mußte doch unter Friedrich dem Großen in die 1773
fertiggestellte Hedwigskirche, zu der der König selber
den Plan entworfen hatte, aus der alten Hauskirche in
der Krausenstraße iibergesiedelt sein. Seit 1757 war der
Meister schon tot. Ich forschte weiter in der Literatur
und entdeckte ein anderes kleines, sehr seltenes, zu
Köln a. Rh. erschienenes Buch aus dem Jahre 1833 von
dem Ober-Kapellan Theodor Kux „Geschichte und Be-
schreibung der unter Friedrich dem Großen für die Ka-
tholiken erbauten St. Hedwigskirche in Berlin.“ (Das
Archiv der Kirche kennt und besitzt das Buch nicht.)
Kux berichtet im geschichtlichen Teil im Anschluß an die
Einweihungsschrift, daß mit Pesne’s Bild „Die Ge-
burt Christi“, der Seitenaltar rechts ausgestattet wurde,
und er setzt schüchtern in einer Anmerkung hinzu: „Es
ist das Bild des Malers Pesne durch ein anderes von
Herrn Veit ersetzt worden usw.“ Damit ist Johann Veit,
der unbedeutendere Bruder von Philipp Veit gemeint.

Auch dieses Bild wurde später entfernt, weil sich der
Zeitgesclnnack geändert hatte. Aber wann kam
Pesne’s Bild fort? Im Jahre 1786 erwähnt es noch Fried-
rich Nicolai in der letzten Ausgabe seiner dreibändigen
„Beschreibung der Kgl. Residenzstädte Berlin und Pots-
dam“: „An dem Seitenaltar sieht man die Geburt Christi
von Pesne und an dem anderen die hl. Hedwig vor einem
Kruzifixe von Gagliari, schlecht mit Wasserfarben ge-
malt.“ Aber wohlgemerkt im Jahre 1798 weiß der Or-
densrat und Beamte im Generaldirektorium zu Berlin
Anton König im 5. Bande seines anonym erschienenen
Buches „Versuch einer historischen Schilderung der
Hauptveränderungen der Religion, Sitten, Gewohnheiten,
Künste, Wissenschaften usw. in der Residenzstadt Berlin
seit den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1786,“ als er von
der Hedwigskirche und ihrer Einweihung unter Friedrich
dem Großen erzählt, von Pesne’s Bild nichts mehr.
Aber er nennt doch den sardinischen Hofmaler Gagliari,
den sich Friedrich aus Turin verschrieben hatte, der die
Kuppel umsonst ausmalte, und ein „viel Würkung erre-
gendes“ Altarbild geschaffen hat, das heute auch auf dem
Boden ist. König erwähnt Pesne nur einmal mit den
Worten, daß er der einzige Maler war, auf den Berlin
damals stolz sein konnte. Also das Pesne-Bild muß bald
nach dem Tode Friedrichs, der doch sicherlich von des-
sen Dasein wußte, verschwunden sein. Aber keine Ak-
ten oder sonstige Nachrichten geben darüber Auskunft.

Aber wo war Pesne’s Bild hingekommen? Da
bekam ich eines Tages das umfangreiche Werk aus dem
Jahre 1893 von Richard Borrmann, dem langjährigen,
hervorragenden Professor an der technischen Hoch-
schule zu Berlin, im Auftrage des Magistrats geschrie-

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