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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

DOI Heft:
1/2. Februarheft
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Landau, Paul: Ludwig Justis "Giorgione" und die moderne Biographik
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0270

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Paul landau

Der nachstehende Aufsatz von Dr. Paul Landau kommt
zu einem besonderen Festtage Justis zurecht: Qeheimrat
Dr. Ludwig .1 u s t i wird am 14. März f ü n f z i g J a h r e
alt. Die Kunstwelt weiß, was sie ihm schuldig ist, weiß,
mit welcher Intensität er ftir seine Nationalgalerie sorgt
und wie energisch er ihre moderne Abteilung ausgebaut
hat. Daß er regelmäßig das Neue aus der Modernen
Kunst im ehemaligen Kronprinzenpalais am Platz vor dem
Zeughause ausstellt, ist eins seiner dankenswerten Ziele
und daß er als Leiter der Nationalgalerie manchen Mei-
ster, der für die Entwicklung der modernen deutschen
Malerei bedeutungsvoll war und ist, die richtige Wertung
gibt, zeigt gerade jetzt die große Corinth-Ausstellung,
zeigt die impulsive Art, mit der er, um noch ein markantes
Beispiel zu nennen, für den lange mit Unrecht verkannten
Lesser Ury eintrat und eintritt. Ludwig Justi ist der
Typus des temperamentvollen modernen Museumsfach-
mannes. „Der „K u n s t w a n d e r e r“ freut sich, sei-
nem verehrten Mitarbeiter die ersten Glückwünsche aus-
sprechen zu können.

{ arl Justis Biographien Winckelmanns und Velas-
quez’ denen sich sein Alterswerk über Michelan-
gelo anreiht, gelten mit Recht als die Meisterwerke kunst-
geschichtlicher Lebensbeschreibung. Nun tritt wieder
ein Justi mit einem biographischen Standardwerk auf
den Plan, das eine ähnliche Bedeutung für unsere Zeit
beanspruchen darf wie die Biographien des Bonner Ge-
lehrten für die Epoche des Historismus im 19. Jahr-
hundert. L u d w i g J u s t i, Carl Justis Neffe, hat in
seinem zweibändigen Werk „G i o r g i o n e“ (Verlag
von Dietrich Reimer, Berlin 1926) eine repräsentative
Leistung geschaffen, in der die bestimmenden Antriebe
der modernen Lorschung ebenso deutlich zum Aus-
druck kommen, ihre Methoden ebenso souverän be-
herrscht werden, wie die Ziele und Mittel der vorher-
gehenden Generation in den Werken des Onkels aus-
geprägt sind.

Carl Justis Geschichtsauffassung beruhte letzten
Endes auf der Ranke’schen Lrage, „wie es gewesen“.
Er wollte die Darstellung einer großen Linzelpersön-
lichkeit in der Gesamtheit ihres Lebensablaufes geben,
wie dieser sich im Rahmen ihrer Zeit und innerhalb
ihrer geschichtlichen und kulturellen Bedingtheit voil-
zieht. Die moderne Biographik, die zuerst in den Wer-
ken Simmels und Gundolfs in die Erscheinung trat, ver-
sucht, im Gegensatz zu dieser das Tatsächliche zeitlich
orduenden Lorm in der Beliandlung des Einzelfalls das
Allgemeingültige genialen Schaffens und das Walten
der ewigen Grundkräfte aufzuzeigen. Das Einmalige
des liistorisclien Geschehens tritt zurück vor der typi-
schen Gemeinsamkeit, die alles Gewordene in einer
geheimen Harmonie verbindet, vor der platonischen
„Idee“ der Dinge, die in dem modernen Begriff der „Ge-
stalt“ wieder auflebt. Diese Anschauung organischer

Entwicklung im Goethe’schen Sinn, die die natur-
wissenschaftliche Erkenntnis beseelt und auch in den
Geisteswissenschaften lebendig wird, war der kunst-
geschichtlichen Biographie bisher fremd, wenn man etwa
von Simmels „Rembrandt“ und Steins „Raffael“ ab-
sieht, Versuchen, die aber beide mit unzulänglichen
kunsthistorischen Mitteln unternommen sind. Justi
jedoch verfügt über das ganze Rüstzeug des Kunst-
historikers; er hat eine der schwierigsten Aufgaben der
kunstwissenschaftlichen Forschung, die Neuschöpfung
und Wiedererweckung des durcli die Kritik zerstörten,
verstümmelten, verdunkelten und zerrissenen Gesamt-
werkes Giorgiones, mit Beherrschung des ganzen riesi-
gen Stoffes und unter Verwertung aller bisherigen Er-
gebnisse gelöst. Nur sind ihm die gelehrten Kenntnisse,
die widerstreitenden Anschauungen über Quellenwerte
und Bildzuschreibungen nicht, wie den meisten, Haupt-
sache, sondern selbstverständliche Voraussetzung für
seine eigentliche schöpferische, aufbauende Arbeit. So
hingebend und scharf sein Blick aufs Einzelne gerichtet
ist, so liegt ihm doch allein an der „Zusammenschau“,
an der Erkenntnis der Grundkräfte, die den Kosmos die-
ser Giorgione’schen Welt und Kunst durchwalten, an
der Erfassung der einzigartigen Persönlichkeiten. „Jede
Schöpfung des großen Malers“, sagt er einmal, „ent-
spricht einer bestimmten Lagerung seiner Seele, und
die Gesamtheit des Geschaffenen kündet die Lebens-
geschichte seiner Seele. Indem wir die Welt der Dar-
stellung und des Formwillens von Spannung zu
Spannung mit empfinden, indem wir so den Weg des
Geistes verfolgen, den Einzelzustand zugleich mit der
Entwicklung in uns aufnehmen, werden wir seines Ichs
in einer Klarheit teilhaftig, zu der wir bei anderen Men-
schen kaum kommen können, weil ihr Innenleben sich
nur selten und nur unvollkommen nach außen entfaltet.“
So ist ihm das Geschichtliche, das Künstlerische letzten
Endes nur Mittel zum Erleben und Erfühlen der Seele,
einer „Seele der höchsten und edelsten Art, von reicher
Empfindung, von tiefem Menschentum, von sprudelnder
Schaffenskraft, von hinreißendem Zauber“, die in Gior-
giones Werk durch die Jahrhunderte leuchtet und ihr
Licht mit dem der strahlendsten Genien aller Zeiten
vereinigt. Justi geht daher in seiner nachschaffenden
Neuschöpfung der Giorgione-Welt aus den von ihm als
echt erkannten Bildern, die den ganzen ersten Band
umfaßt, nicht von der Analyse einzelner Merkmale aus,
sondern von der intuitiven Erfassung des innersten We-
sens dieser Kunst, und er ordnet die Gemälde nicht in
geschichtlicher Folge, sondern nach der Gestaltung der
Natur, wie sie sicli in der Darstellung von Landschaft,
Körper, Kopf offenbart, und nach der Auseinander-
setzung mit den überlieferten Bildformen. Aus der

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