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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

DOI issue:
1/2. Januarheft
DOI article:
Rave, Paul Ortwin: Neue Erwerbungen der National-Galerie, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0222

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Paul Octu»in Raoc

iv.*)

\\/ enn Sammler und Galerien heute mit Vorliebe auf
* ^ die zeitlich friihen Werke von Künstlergruppen
ihr Augenmerk richten, so hat dies seinen berechtigten
Grund. Man hat erkannt, daß vollendete Meisterschaft
zwar häufig eine Sache des reifen Mannesalters ist,
aber daß dann, wenn irgendwo einige Künstler sich zu-
sammengeschlossen haben, um in bewußter Abkehr von
etwas Gestrigem ihr Neues zu verwirklichen, sie ihrem
Ziel noch stets in der anfänglichen Gemeinschaft am
nächsten waren. Der lebendige Ablauf eines solchen
Bundes bleibt sich stets gleich, mäg man ihn mit den
Begriffen Dresdner Brücke, Blauer Reiter, Scholle, Fon-
taineblau oder Nazarener bezeichnen. Hier und dort
haben junge Künstler im Stillen gearbeitet, Gleichartig-
keit der Absichten nähert sie einander, im Zusammen-
schluß zum Bund erreichen sie die reinsten Verwirk-
lichungen ihres Strebens, um zugleich in klarer werden-
der Erkenntnis ihrer Verschiedenartigkeit schon die ge-
sonderten Pfade der Einzelpersönlichkeiten zu be-
schreiten, die sie weiter und weiter abführen werden
von dem ideelichen Mittelpunkt der eigenen Gruppe.
Die wirkliche Höhe einer gemeinsamen schöpferischen
Spannung liegt stets in der Frühzeit eines künstlerischen
Bundes.

So ist für die National-Galerie von großer Wichtig-
keit die Verdeutlichung jener Kunstabsichten, die in
einer kleinen Schar fromm begeisterter deutscher Maler
zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Rom Gestalt gewan-
nen und sich von da aus nach kurzer Blüte in imrr.er
flacher werdenden Rinnsalen durch das ganze deutsche
Kunstschaffen der Folgezeit verbreiterten. Wir meinen
die paar jungen Künstler, die sich 1810 unter Führung
Overbecks in Rom zusammentaten, sich die Lukas-
brüder nannten und nachmals unter dem ursprünglich
im Spott gegebenen Namen der Nazarener bekannt wur-
den. Als das Hauptzeugnis ihres frühen Wirkens zeigt
die Galerie seit langem die berühmten ’WAndbilder der
Gasa Bartholdy, in den Jahren 1815—18 von Cornelius,
Overbeck, Veit und Wilhelm Schadow gemalt (indes
das zweite noch umfangreichere Werk dieser Schar, die
drei völlig ausgemalten Räume des Casino Massimo in
Rom leider fast unzugänglich und lieute iiberhaupt kaum
mehr dem Namen nach bekannt sind). Da aber im übri-
gen die Bilder dieser Malergruppe aus dem ersten,
zweiten Jahrzehnt ihrer römischen Zeit nicht gerade
zahlreich sind, kann es jedesmal als besonders erfreu-
lich gelten, wenn die Erwerbung eines solchen gelingt.

Seit Jahren hatte sich die Galerie um das Flaupt-
werk des Führers jener Deutschen in Rom aus ihrer

"') Siehe „Der Kunstwanderer“ Mai, Juli und September 1925.

Frühzeit bemüht: um das 1815 vollendete Bild Christus
im Hause des Lazarus von der Hand F r i e d r i c h
0 v e r b e c k s (Abb. 1), den bisher hanptsächlich ein
kleines, freilich kostbares Oelgemälde, Bildnis seines
1812 gestorbenen Malerfreundes Franz Pforr, in der
Sammlung vertrat. Wie dies Bild zu seiner Entstehungs-
zeit allgemein als das erste größere Zeugnis der neuen
Gesinnung erachtet wurde, kann man in dem ganzen
Briefwechsel der Beteiligten und Anteilnehmenden
nachlesen. Hier in diesem Zusammenhang sei nur da-
rauf hingewiesen, wie viel die öffentliche Sichtbar-
machung gerade dieses bislang verborgen gebliebenen
Hauptwerkes bedeutet für die eben heute sich wan-
delnde Meinung vom Wesen einer so lange Zeit verach-
teten Kunst. Man ist wieder empfänglich geworden
für die ungebrochene Laulerkeit, die sich in der aus-
gewogenen Klarheit des Aufbaus und der kühl zurück-
haltenden Reinheit der Farben ausdrückt. Um den
sitzenden Christus schart sich ein Teil der Jünger, eine
Dreiergruppe zu seinen Häupten, indes ein Einzelner in
ganzer Gestalt gegeben zur Rechten den beiden Frauen
Gegenpart hält, Maria fromm vor ihm seinen Worten
lauschend, Martha unwillig über ihre Untätigkeit mit
verweisender Geste darüber. Christus, die Mittelfigur
des Bildes, erscheint uns in seiner lehrenden Haltung
zwar zu konventionell aufgefaßt und dadurch etwas
lahm, dafür die Jünger sehr würdig in gesammeltem
männlichen Ernst, die Schwestern als Vertreter des
Weiblichen in fraulicher Tüchtigkeit die eine, in milder
Ergebenheit die andere, die „das bessere Teil erwählt
hat“. Wir bewundern heute wieder die Schlichtheit der
Mittel, mit denen dieser Vorgang in eine währende Zu-
ständlichkeit übersetzt ist. Kaum ein Nebending lenkt
ab von den sieben üestalten, die körperlich faßbar in den
flächenhaft gebundenen Rahmen eines Raumes hinein-
gestellt sind. Nur auf der Seite, wo die Gestalten der
Frauen eine stärker aufgelockerte Lebendigkeit in das
Bildgefüge bringen, öffnet sich oben ein Fenster mit
dem Ausblick in eine liebliche Landschaft, von der ein
Teil zart durch einen Vorhang hindurchschimmert. In
dieser Landschaft läßt Overbeck das Gleichnis vom
barmherzigen Samariter sicli abspielen — um, wie er
erklärt, neben dem Wert des Glaubens auch auf die
Bedeutung guter Werke hinzuweisen. In diesen Teilen
des Gemäldes, von dem weißen Rock der Maria bis zum
lichtblauen Himmel, ist auch die Farbe am meisten in
weicher Aufhellung gegeben, wird aber auf der Gegen-
seite ausgewogen durch das starke Gelb und Grün am
Mantel des stehenden Jünglings. Die ganze Mitte ist
in kräftigen tiefen Tönen gehalten, die in klaren Einzel-
lauten gegeneinander stehend doch einen wunderbar
zusammenstimmenden Gesamtklang ergeben.

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