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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

DOI issue:
1/2. Januarheft
DOI article:
Rave, Paul Ortwin: Neue Erwerbungen der National-Galerie, [4]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0223

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Uns Heutigen, die eine neue Kunst strenger Sach-
lichkeit wieder an den Gegenstand eines Gemäldes nah
herangeführt hat, ist außer Aufbau, Formgebung, Mai-
weise auch das Dargestellte erneut wichtig geworden.
Freilich ist es in einer an einen kirchlichen Glauben
weniger gebundenen Zeit bei religiösen Bildern mehr als
der aus den heiligen Schriften geschöpfte Vorgang das
rein Menschliche, auf das sich eine neue Art der Kunst-
betrachtung zu richten beginnt, wie sie für einen alten
Meister zuerst wieder in dem Buch Wilhelm Steins über
Rafael rein durcbgefiihrt und hier und da schon nach-
geahmt worden zu sein scheint, etwa in dem Versuch
Hausensteins iiber Rembrandts Sohn (Neuer Merkur,
Maiheft). So erfahren wir denn mit Teilnahme, in wel-
chen Beziehungen sich Overbeck mit einigen seiner Ge-
stalten weiß. Leider wird in dieser Hinsicht nichts von
den beiden Schwestern erwähnt, doch hat der Maier in
der schlanken, ergeben zuhorchenden Gestalt ihres
Bruders Lazarus sich selbst dargestellt, indes bei den
übrigen Jüngern zwischen dem denkbildmäßigen Köp-
fen des Michel-Angelo und des Rafael das Bildnis des
jungen Römers Xaverio hervorschaut, der oft von den
Freunden als Vorbild gewählt und besonders von Pforr
geliebt ward. In all diese Gestalten ist etwas vom Le-
benden eingegangen, nur Christus selbst bleibt ein
wenig leer, trotzdem ilirn als der Hauptperson des Bil-
des gewiß die meiste Sorgfalt gegolten haben mochte.
Als Vorbild diente dem Künstler eine damals gerade in
Wien ans Licht gekommene sogenannte wahre Abbil-
dung des Herrn, die Overbeck genau kannte, aber nicht
recht mit Leben hat erfüllen können — und dies ist der
Punkt, wo das Bedenkliche der ganzen Kunstrichtung
am stärksten in Erscheinung tritt. Es bleibt eine etwas
frömmelnde Beziehungslosigkeit zu den wahren Strö-
mungen der Zeit spürbar, wodurch jedoch der hohe
künstlerische Rang dieses Gemäldes kaum betroffen
wird.

Das Bild Overbecks, welches er somit von sich
selbst überliefert, und das durch manches andere aus
seinem Kreis hervorgegangene für uns deutlich um-
rissen fortlebt, wie etwa in dem schönen unvollendet
gebliebenen Frühwerk Veits, dem Doppelbildnis seines
Bruders johannes und Overbecks in der Mainzer Ge-
mäldesammlung, erhält eine neue Bereicherung durch
ein Bildnis von der Hand des P e t e r C o r n e 1 i u s.
Es befand sich unter dem Stoß von 25 seiner Zeichnun-
gen, welche die Galerie vor kurzer Zeit erwerben
konnte, fast alle aus der römischen Zeit des zweiten
Hauptmeisters jener Gruppe. Overbeck ist in ganzer
Gestalt wiedergegeben, auf einem Stuhl sitzend, mit
vunem gewaltigen Mantel über die eine Schulter und dem
Schoß, ähnlich wie auf den Overbeckschen Gemälde
das große gelbe und grüne Tuch die halbe Gestalt ein-
hüllt. Dieser „spanisch-altrömische Mantel“, der oft
erwähnt eine gewisse Rolle nicht nur für das neue Le-
bensgefühl jener pittori tedeschi, sondern auch bei ihren
gegenseitigen Modellsitzungen gespielt zu haben
scheint, ist von Cornelius bei der Gestalt Overbecks mit
einer wahren tragischen Würde wiedergegeben, in dem

reichen Gefältel allen Licht- und Schattenwerten mit
Aufmerksamkeit nachgegangen. Der Kopf mit dem
gescheitelten langen Haar schaut aus dem glatten
knöpfelosen Leibwams mit Ernst und männlicher
Schlichtheit im Ausdruck.

Aber es gibt merkwürdigere Dinge unter diesen
Zeichnungen des Cornelius. Kopf- und Gewandstudien
der jungen Deutsch-Römer bedeuten inr Grunde nichts
neues für unsere Kenntnis ihrer zuchtvollen Absichten,
als deren Lehrsätze einer die gänzliche Vermeidung
aller Wirkung durch das Reizhaft-Nackte von Overbeck
streng gefordert war. Doch Cornelius, älter als seine

Abb. I. Friedrich Overbeck, Christus im Hause des Lazarus, 1815

Genossen und als Rheinländer wohl einer unmittel-
bareren Sinnlichkeit mehr zuneigend, mochte zu gut
wissen, daß nrit bloßen Gewandstudien nichts gewonnen
sei, wenn nicht die Anschauung der menschlichen Kör-
perfornr die Kenntnis der sichtbaren und vonr Künstler
neu zu fornrenden Welt unterstützte. Es findet sich eine
ganze Reihe männlicher Akte, davon ein großer Teil
nach demselben jugendliclr kräftigen römischen Modell,
und sogar eine Anzahl bewegter und ruhender Frauen-
akte, von denen einige in ihrer Feinheit und sinnlichen
Belebtheit für den damals herrschenden Geist wahre
Wunder sind, wie nanrentlich das Blatt von einer in
ihrem zarten Reiz sclrlafenden Hera, Vorarbeit für eine
der Münchener Glyptothek-Fresken. Alfred Kuhn lrat
dieses Blatt wie nrehrere andere dieser nun in den Be-
sitz der Galerie übergegangenen Sanrnrlung in seinenr
Cornelius-Buch bereits veröffentlicht. Neben einer

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