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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

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1/2. Februarheft
DOI article:
Landau, Paul: Ludwig Justis "Giorgione" und die moderne Biographik
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0271

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Verbindung des Naturstoffs und der Gestaltung entsteht
das besondere, persönliche, einzigartige Wesen dieses
Stils.

Ein metaphysischer Grundzug, wie man ihn bei
den Kunsthistorikern der historischen Schule nicht fin-
det, waltet durch das Buch. Ein universieller Geist von
reichster menschlicher und künstlerischer Bildung sucht
Klarheit in die tiefsten Probleme zu bringen. Zur Be-
gründung seiner Weltanschauung hat Justi seinem
zweiten Bande, der die Auseinandersetzung mit der bis-
herigen Forsclmng, die Abgrenzung und geschichtliche
Einordnung des Giorgione’schen Werkes gibt, eine
knappe, gedankenreiche Aesthetik vorausgeschickt, die
seine „Einstellung“ zur Kunst und Kunstgeschichte dar-
legt. Der naturwissenschaftliche Einterbau in der Er-
klärung des Organischen, der sich mit Drieschs „Ord-
nungslehre“ berührt, führt vom Atom und der Pflanze
in das Reich des Geistigen, dessen innere Vorgänge, mit
dem Abbild der Außenwelt verknüpft, vom Künstler
in äußerster Verfeinerung des Weltgesetzes gestaltet
werden. So wächst das zeitlich und örtlich bedingte
Persönliche in das allgemeingültige Ueberpersönliche
empor, das über Zeit und Raum hin fortdauert und fort-
wirkt. Justi sucht in seiner Methode das Einzelne und
das Allgemeine, das persönliche Bedingte und das über-
persönlich Ewige zu verknüpfen. Er stellt Carl Justis
h.istorisch-psychologisch gerichtete Erforschung des
künstlerischen Schaffens neben Wölfflins mehr fornia-
listische, die Entwicklung des Stils ergründende Ana-
lyse und erstrebt eine Synthese, die beide Methoden
vereint. Dies ist aber nur möglich bei einer Auf-
fassung des Kunstgescliichtlichen, wie sie heut nicht
mehr lebendig ist. Daher wendet sich Justi in einer
scharfen Kritik gegen die „kapitalistische“ Kunst-
betrachtung, die höchste geistige Werte in die trübe
Sphäre des Eländlertums und des Geldwertes hinab-
zieht, und gegen die „militaristische“ Kunstbetrachtung,
die die selbstherrliche Schönheit zur Magd der „Orga-
nisation“, der Tagesfragen und des „Fortschritts“
machen will. Wie es etwa Gundolf oder Bertram in der
Literaturgeschichte getan haben, wird hier auch für den
Kunsthistoriker eine Stellung über dem Gelehrten bean-
sprucht, die Fähigkeit eines Sehers und Visionärs, der
vor allem nicht Forscher, sondern Mensch ist, ein
Mensch mit dem feinsten Gefühl für die Werte, die er
erfassen will, und an solche Menschen wendet sich aucli
seine Arbeit; solche Menschen suclit er durch sein Vor-
bild zu züchten. „Alles geschichtliche Studieren der
Kunst, der Weisheit, der Religion ist nur erst ein Her-
beischaffen von Schätzen, ein Ordnen für den Forscher,
ein Wegezeigen für andere; der beseiigende Wert
stellt sich allein für den ein, der offuen Sinnes und Her-
zens ist und die Sprache der sich formenden Seele ver-
stehen kann.“ Keine „Bilanz von Kennerurteilen für
Kenner“ will Justi geben: „Verstehen großer Kunst ist
uns nicht Mittel zu irgend welchen Zwecken, sondern
Eigenwert, beatitudo ipsa. Sinn dieses Buches ist Er-
lebnis und Darstellung eines begiadeten Künstlers nach
Seele und Form, als eines selbstherrlichen Wertes, frei

von Zwecksetzungen und Beurteilungen nach anderen
Werten; geschrieben fiir Menschen, denen die Kunst,
als edelste Betätigung freien Geistes, eine höchste
Würde und Beglückung irdischen Daseins ist.“

Aus innerem Erleben ist dieses Buch entstanden,
aus einer 25jährigen Beschäftigung mit dem Meister,
dem Justi 1908 bereits ein Werk gewidmet, das jetzt
— weniger nacli neuen Erkenntnissen, als nach neuen
Erlebnissen — vollkommen neu gestaltet wurde. Weil
die Forschung des 19. Jahrhunderts mit unfruchtbarer
Zweifelsucht und in einer das Wesentliche immer
schwächer empfindenden Spezialisierung dem Hocli-
meister der venetianischen Renaissance seine wichtig-
sten Werke rauben wollte, weil sie seine herrliche Per-
sönlichkeit unter einem Wust von „Zuschreibungen“ an
kleinc Geister verdunkelte und verwischte, fühlte der
Verfasser das Bedürfnis, aus den „disjecta membra“,
zuerst in seiner Seele und dann vor aller Welt, dies einst
so strahlende Bild wieder erstehen zu lassen, und das
ist seinem hingebenden Bemiihen, seinem leidenschaft-
lichen Sicheinleben in die weitzerstreute Bilderwelt,
seiner kongenialen Schau gelungen. „Wenn neuere
Schriftsteller an Meisterwerken Giorgiones vorüber
gingen“, sagt er im Vorwort, „sie traurigen Gesellen zu-
wiesen, so waren sie auf Geist und Form dieses Künst-
lers nicht eingestellt, hatten aucli jene wenigen Ge-
mälde, die sie ihm noch beließen, nicht eingehend und
nicht mit Erfolg angesehen. Ich bin nicht ausgezogen,
um ein Bucli iiber Giorgione zu verfassen oder ein
Dutzend Bilder umzutaufen. Die Anschauung von
einem großen herrlichen Genius ist in mir lebendig ge-
worden und deshalb liabe icli geschrieben.“ Der Weg
zum Verstehen und Nacherleben der Künstlerseele, der
hier aufgezeigt wird, liegt im Sehen, Sehen und Noch-
malsehen der Schöpfungen. Deshalb gibt Justi im ersten
Bande eine Kette von Bildbeschreibungen, wie sie wohl
noch kaum je so eingehend, so zartfühlend und so
fruchtbringend in der Kunstgeschichte geboten worden
sind. Die formale Zergliederung und Untersuchung in
der Art Wölfflins ist mit einem mehr dichterischen
Nacliempfinden verknüpft, wie es bei Fromentin und in
Carl Neumanns „Rembrandt“ älmlich erscheint. Diese
ErschJießung des Einzelnen erfolgt aber stets im großen
Zusammenhang. Auf das Feinste wird dargelegt, wie
sich die Blüte der Persönlichkeit aus „der Formkraft
des Bodens“ nährt, aus der langsam reifenden Entwick-
lung des Stils erscb.ließt, wie Rasse und Landschaft,
Zeit und Umwelt auf sie einwirken. So offenbaren sich
an diesem einen Beispiel die Verschiedenheit nordi-
schen und südlichen, romanischen und germanischen
Kunstschaffens, die Stellung Giorgiones in der Ge~
schiclite der venetianischen Malerei und der italieni-
schen Renaissance, die Fäden, die ihn mit Vergangen-
b.eit und Zukunft, mit Mantegna und Bellini, mit Tizian
und dem Barock verknüpfen, sein Platz in der Entwick-
lung der Kunstgeschichte zwischen Giotto und Rem-
brandt, seine Wirkung über Watteau bis zu Manet und
Monet. Eine unendliche Fiille von Erlebnissen und Er-
kenntnissen ist in diesem weit ausschauenden, Fernes

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