Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

DOI Heft:
1/2. Märzheft
DOI Artikel:
Struck, Hermann: Kunstbrief aus Palästina
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0310

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hermann Struck, Palmen. Federzeichnung. Welt-Verlag, Berlin

Gewimmels alter kleiner Häuser erhebt sich, von mäch-
tigen dunklen Cypressen begleitet, die gewaltige Masse
dieses Bauwerks in unvergeßlich kühner Proportion der
Kuppel zum Hauptteil. Sie ruht auf der weitgestreckten
Fläche des Tempelplatzes, der in Jahrhunderten durch
reizvolle Bauwerke sich gliederte.

Das farbige Leben in den Gassen Jerusalems zu er-
jagen, irrt der Maler unter Tantalusqualen umher, wie
von Furien gehetzt. Welche beunruhigende und doch
auch immer von neuem beglückende Ftille menschlicher
Gestalten: Juden aus Persien, aus Buchara, aus Mossul,
in reichgeschmückten Gewändern oder in orientalischen
Fetzen, den Turban oder den rotstrahlenden Tarbusch
auf dem Kopfe. Dazwischen Juden aus Warschau, aus
Kolomea, aus allen möglichen Ländern Osteuropas,
Schläfenlocken, weiße Bärte, schwarze glänzende Kaf-
tane, Pelzmützen, lange Gewänder aus blauem, wein-
rotem oder kadmiumgelbem Sammet. Dort wandeln
schwarze koptische Geistliche mit rassigen Gesichtern
und russische Popen mit dunklen, röhrenförmigen
Kopfbedeckungen, das lange Haupthaar zum Knoten ge-
schlungen. Und immer wieder diese stolzen Araber,
wilde Beduinen aus der Wüste mit Eseln und langen Zü-
gen von Kamelen, ihre Weiber mit bläulich tätowierten
Gesichtern, in der wundervoll aufrechten Haltung der
Orientalinnen. Prachtvolle Inder, Mischlinge aus dem
Sudan und Neger aus dem Innern Afrikas.

Unweit des Meeresufers erhebt sich in H a i f a das
Carmelgebirge, an dessen Hang ich mein Heim aufge-

schlagen habe. Yon hier oben geht der Blick über den
unteren Teil der Stadt, über Olivengärten, Palmenwäl-
der und Dünen, über die blaue Bucht zur rötlich-violetten
Küste von Akko. Die beispiellos klare Luft dieses Land-
striches zeigt den wohl 150 Kilometer weit auf dem
Wege nach Damaskus gelegenen Hermon, die höchste
Erhebung Syriens, mit seinen Schneegipfeln so klar und
deutlich, daß man die Gletscherzüge auf ihm in nächster
Nähe zu sehen glaubt . . . Früh am Morgen auf die Ter-
rasse tretend, erblicke ich das Schauspiel des Sonnen-
aufganges über dem Gebirge Sebulon. Schnell den
Tuschkasten her und damit gerungen! — sei es auch das,
was man im grauen Berlin „kitschig schön“ zu nennen
beliebt. Selbst der eingefleischteste Radierer muß hier
die Farben hervorholen, um hinter das Geheimnis der
immer wechselnden Luftstimmungen zu kommen. Dieser
ewige Wechsel der feinen Nuancen bewirkt es auch, daß
man der Naturschönheit niemals überdrüssig wird. Nach
jahrelangem Hierleben, und das heißt für mich: malend
die Natur erforschen, glaubt man, an jedem Tage neue
Ueberraschungen zu erleben. Sind die Sinne einmal
müde geworden, so werden sie durch die mitunter star-
ken, oft aber auch unendlich zarten Wirkungen und
Stimmungen neu belebt. Und für den Maler ist es ein
unsagbares, wenn auch oft qualvolles Vergnügen, diesen
Erscheinungen bis ins Intimste nachzugehen. Es klopft
an meine Tür, ein Bettler steht draußen. Nur schwer
mache ich ihm begreiflich, was ich von ihm will, aber
endlich sitzt er da, und voller Erregung kratze ich ihn
auf eine Kupferplatte. Auf diese Weise entstehen die

Hermann Struck, Brunnen bei Jaffa, Radierung

276
 
Annotationen