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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

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1/2. Maiheft
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Stock, Friedrich: Was will Theodor Wiegand?
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0399

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Feuer fort, welches Winckelmann entfacht hatte. Daß
er aus der Sammlung Albani Erwerbungen machte, die
dieser immer vor Augen hatte, geschah wie aus einer
inneren Verpflichtung. Nach München kamen grie-
chische Urbilder von unvergänglichem Wert. Flier
wurden sie mit vortrefflichen Nachbildungen verlorener
Meisterwerke gemischt. Güte und Zalil, Stil und Zeit
erregten eine einheitliche Vorstellung der Geschichte
griechischer und römischer Bildnerei. In der langen
Reihe der Unternehmen Ludwigs ist die Glyptothek
das ausgezeichneteste geworden und geblieben. Sie
gilt vielen noch jetzt als die am schönsten aufgestellte
Antikensammlung.

Die Nachfolge des Sammlers Ludwig wäre einer
der überraschendsten Abschnitte in der nocli unge-
schriebenen Geschichte des Sammelns. Als Glyptothek
und Alte Pinakothek nach ihrem Stifter lange keinen
oder geringen Zuwachs erhielten, bebte ein schlichter
Bürger nicht vor dem kühnen Wagnis zurück, dem Kö-
nige nachzueifern. Carl Jacobsen in Kopenhagen trat in
die Schranken mit ihm. Er hatte den Mut, eine Glypto-
thek gewissermaßen aus der Erde zu stampfen. Die Be-
gleisterung, ohne die nach Kant nichts Großes in der
Welt entsteht, hatte ihm, dem Brauer, Ludwigs Großtat
eingeflößt. Die deutsche Anregung in Dänemark nimmt
nicht wunder. Seit der Reformation bewegen sich die
JJauptströmungen der deutschen und dänischen Gesit-
tung bis zum Jahre 1864 in demselben Bett. Die Er-
eignisse von 1864 konnte Jacobsen nicht verwinden.
Daher suchte er den französischen Kultureinfluß zu
stärken, den deutschen zu schwächen. Seine deutsch-
feindliche Gesinnung zeigte er gelegentlich ohne Scheu.
Etwas Zwiespältiges geriet in seine Gründung, die doch
unter dem germanischen Heilszeichen stand. Es mochte
ihn sticheln, daß er sein Vaterland an den Deutschen
mit deren eigenen Mitteln rächen konnte. Deutsche
Kenner, Wolfgang Helbig und Paul Arndt, waren seine
unentbehrlichen Helfer und Berater. Sie haben der
Glyptothek Ny-Carlsberg die stete Geltung verschafft.
Die neueren französischen Bildwerke sind heute schon
zum erheblichen Teil hoffnungslos veraltet. IJas sel-
tene Ziel, das Jacobsen sich stellte, hat er im ganzen
erreicht. Er hat das kleine Dänemark zu einer Groß-
macht der Gesittung erhoben. Die Glyptothek Ny-
Carlsberg ist nicht nur die eigentümlichste Privat-
sammlung, die in der Zeit von 1885 bis 1915 überhaupt
entstand. Sie ist in Nordeuropa ein einzigartiges Hei-
ligtum der Kunst.

Inzwischen hatte sich zu Berlin eine ungemeine
Aussicht eröffnet. Assistent des Museums war der ge-
worden, dessen überreiche Begabung alles versprach
und, falls er dereinst frei schalten könne, alles vollbrin-
gen mußte. Seit dem armen Schustersohn von Stendal
hatte keinen der Dämon der griechischen Schönheit be-
rückt wie ihn. Adolf Furtwängler läßt den, der sich,
von Schulmeinungen unabhängig, in sein Leben und
seine Werke versenkt, so schnell nicht los. Die trei-
bende Kraft der Kunstgeschichte ist ihm nicht die blut-
lose Kathederweisheit des Stils, sondern der schöpfe-

rische Mensch. Durch Furtwängler wurde die grie-
chische Kunstgeschichte Künstlergeschichte. Keine
Wissenschaft kann auf ,,Hypothesen“ gänzlich verzich-
ten, keine bedarf ihrer melir als die Altertumskunde in-
folge der Geringfügigkeit des erhaltenen Stoffes. Die
Fachgenossen bestürzte der Sturmschritt, mit dem
Furtwängler vordrang, in dem er Ansichten preisgab,
die er selbst aufgestellt hatte. Allzusehr schmerzte ihn
der Verlust des Untergegangenen. Es zurückzugewin-
nen, und sei es ein Splitter, die Trümmer zu befragen,
und waren sie winzig, setzte er immer wieder ein un-
begrenztes Wissen, eine unübertreffliche Sehschärfe
und die Ahnungen verstehender Liebe ein. Das Grund-
buch der neueren Archäologie, die ,,Meisterwerke der
griechischen Plastik“, entstand und erklärt sich so. Da
traf Furtwängler der Fluch, den die Ueberlegenheit
auf sicli lenkt. Die Stellung eines selbständigen Samm-
lungsleiters wurde ihm vorenthalten. Durch den Un-
dank und die amtliche Beleidigung aufs tiefste gekränkt,
ging er nach München, an die Universität und Glypto-
thek. Das Berliner Museum aber und Deutschland waren
schwer geschädigt. In Berlin hätte Furtwängler dem
ununterbrochenen Zuge griechischer Urbilder nach Ko-
penhagen und Boston zweifellos Einhalt geboten. In
München mußte er sich die Gelder erst beschaffen zu
der kurzen, indessen glänzenden Bahn der Nachfolge
König Ludwigs. Ueber die Stunden der Enttäuschung
mochte er sich antikisch hinwegtrösten mit der Süßig-
keit des Ruhms, den er nicht gesucht hatte. Im Bri-
tischen Museum, in der ersten Antikensammlung der
Welt, wurden die „Masterpieces“ angeführt auf den
Sockeln der Bildwerek. Dem Louvre hatte er vernich-
tend widersprochen, als er ihm riet, die kostspielige
„Tiara des Saitapharnes“, die er nur einige Sekunden in
der Han hielt, einzuschmelzen. Den herrlich Vollende-
ten ereilte plötzlich sein Schicksal. Furtwängler wäre
nicht er selbst gewesen, hätten die in dcr Erde ruhenden
Schätze ihn nicht unwiderstehlich gelockt. Er war in
seiner Jugend einer derer gewesen, die unter Curtius
den Kranz von Olympia errangen. Auf Aegina war der
Sieg in den Tod verschlungen. Rastlos, unermüdlich,
hatte er zu viel dem Körper abgetrotzt. Er zerbrach
vor der Zeit. Der letzte Grieche wurde das Opfer
seines Schönheitsdurstes. Als die Trauerkunde in Ko-
penhagen eintraf, hißte Jacobsens Glyptothek Ny-
Carlsberg die Flagge auf Halbmast.

Nachdem Furtwängler verstoßen war, boten sicli
dem Berliner Museum noch einmal großartige Möglich-
keiten. Wilhelm Bode, der zum Generaldirektor be-
fördert war, ermaß sie genau. Unerträglich mußte dem
erfahrenen Kenner und Käufer z. B. sein, daß die Er-
werbung des zweiten „Ludovisischen Thrones“ wegen
einer Nichtigkeit unterblieb und ihm nach Boston aus
dem Besitze Paul Arndts der Zeus von Mylasa folgte,
der ein Abkömmling des Zeus des Pliidias ist und auf
Christus hinweist, daß Jacobsen die römischen Nio-
biden bekam, deren Ursprünglichkeit Friedrich Hausei
zuerst erfaßt hatte. Nur Einsicht und Willenskraft
konnten Abhilfe bringen, sagte sich Bode, und er han-

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