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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

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1/2. Juniheft
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Franck, Philipp: Vom alten Steinle
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0460

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es berührte sich diese Anschauung mit einem Wort
Moritz von Schwinds, das etwa so lautete: „Das Ideal
der deutschen Malerei ist das Glasfenster, ein Kontur
mit Farbe ausgelegt.“ In seinen „großen“ Bildern hat
auch Schwind diesen Grundsatz getreulich befolgt und
sie sehen dann auch oft aus wie kolorierte Bilderbogen.
Nur in den kleineren Werken ist ihm manchmal sein
Malertemperament durchgegangen und sie sind dann die
besten und lebensvollsten geworden.

Nach der Natur wurde bei Steinle eigentlich nur ge-
zeichnet. Akt und Gewand waren das Hauptstudium.
Die komplizierten Benennungen für die verschiedenen
Arten der Falten habe ich vergessen. Hine Ausnahme
bestand. Das war das Porträt. Hier durfte auch in Oel
gemalt werden. Es ist charakteristisch für das Por-
trät, daß es alle Richtungs- und Modetheorien umgeht
und durchbricht. Steinle selbst hat einige sehr schöne
Porträts gemalt. Hier durfte man auch bei Steinle „na-
turalistisch“ sein. Sonst war dieser Ausdruck eher ein
Schimpfwort. Im Bildnis drangen aber doch auch die
Forderungen der Besteller nach Wahrheit und Aehnlich-
keit, nach dem „Naturgetreuen“ siegreich durch.

Wo aber sonst das Zeichnen der Schüler ins Natu-
ralistische gehen wollte, da erregte es Steinles Miß-
fallen. Im Akt war das Zeichnen des Konturs die Haupt-
sache. Das beliebte Material war der Stift, allenfalls
noch die Feder. Gewischt durfte nicht werden. Alle
Schatten wurden schraffiert. Deshalb war die Kohle
verpönt. Wenn es einer doch gewagt hatte, sich dieses
Materials zu bedienen nnd gar ein paar Schatten mit in
den Akt hineingewischt hatte, so fragte dann Steinle:
Ist das Kolle (Kohle)? Dann wußte der Betreffende, daß
er schwer getadelt war. Steinle besaß eine ungeheure
Siclierheit im Zeichnen eines Konturs. So konnte er
einen Akt, den er oft neben auf das Brett des Studie-
renden zeichnete, an einem Ende anfangen und ohne
abzusetzen die Figur fertig, vollständig ohne Hilfslinien
umreißen. Er fuhr mit dem Kontur um die ganze Figur
lierum und gelangte richtig wieder an den Anfangspunkt
zurück. Warum regte sich bei uns nun die Opposition?
Wir sahen seine wunderbaren Werke, die Ausmalungen
der Dome von Speyer und Frankfurt, seine herrlichen
Handzeichnungen in der Sammlung des Städelschen In-
stituts in Frankfurt, die viel zu wenig bekannt sind. Und
doch wollten wir etwas anderes. Natur, Natur, rief es
in uns. Das heute allen bekannte Kohlfeld hatte es uns
angetan. Wir gaben alle allegorischen Damen der Na-
zarener, selbst alle Madonnen Steinles fiir einen Sonnen-
strahl hin, der über ein Blachfeld streicht. Man darf
nicht vergessen, daß Frankfurt immer eine rege Ver-
bindung mit Paris unterhielt. In den Sechziger Jahren
w’ar Courbet längere Zeit in Frankfurt gewesen. Von
ihm sahen wir damals zwar kein Bild, aber wohl Werke
von Otto Scholderer und Adolf Schreyer, die den größ-
ten Teil des Jahres in Paris zubrachten. Der berühmte
Delaroche war zum alten Dielmann, dem Begründer der
Cronberger Künstlerkolonie nach Cronberg bei Frank-
furt gekommen um „den Vater seiner Kinder zu sehen.“
Dielmann malte Kinderbildchen bescheidensten Umfan-

ges, in denen wir doch schon den Umschwung witterten.
Angilbert Göbel, der Frankfurter Porträtist, hatte, wohl
durch Scholderer, Manets Bekanntschaft in Paris ge-
macht und pointillierte schon, als man das Wort noch
längst nicht kannte. „Gedippelt“ nannten die Frank-
furter seine Bilder. „Getüpfelt“ ist für die Frankfurter
gleichbedeutend mit „etwas verrückt“. Der Landschaf-
ter Peter Burnitz war auch auf Paris eingestellt, ein
Gemisch von Corot und Barbizon. Landschaftern aber
war bei dem alten Steinle verpönt. Das wars, was ich
ihm besonders übel nahm. Und so gingen wir unseren
eigenen Weg. Wir kämpften begeistert für T3inge, die
heute schon wieder überwunden sind, die der neuen
Generation nicht mehr für erstrebenswert gelten. Heute
wissen wir, daß es sich in unseren Kämpfen um Plein-
air, um Naturalismus, um Impressionismus handelte und
wie alle die „Ismen“ hießen.

Und darum weiß ich auch, warum ich in den letzten
Jahren wieder so viel an den alten Steinle denken muß.
Und obwobl ich ebenso weiß, daß, wenn er mich hörte,
er sich vor Entsetzen im Grabe herumdrehen würde, so
muß es doch gesagt sein: Die junge Generation geht
heute wieder auf seinen Wegen. Sie wendet sich wieder
der Wand zu, möchte, wenn sie sie bekäme, wieder
Flächen ausmalen. Die besten Erzeugnisse der Jüng-
sten sind ihre monumentalen Arbeiten: Pechsteins Glas-
fenster und Schmidt-Rottluffs Holzschnitte. Ihre Oel-
bilder sind oft nur Surrogate für Fresken und Mosaiken.
Man muß nur einige Künstlergenerationen überleben,
um den Pendelschlag beobachten zu können, der hin und
her von einer Seite der Kunstanschauung zur anderen
fährt. Freilich an denselben Platz kommt das Pendel
niemals zurück. Und dies sei dem alten Steinle zum
Trost gesagt.

Einen aber erkannte Steinle richtig zu einer Zeit,
wo der in Frankfurt noch vollkommen verkannt und
gar verlacht war: Hans Thoma. Das war einer der
wenigen Punkte, in denen wir mit Steinle einverstanden
waren, denn in Thoma verkörperte sich für uns der
Eortschritt. In Thoma aber vollzog sich später die Um-
kehr vom Naturalismus zu seinem eigenen Stil. Das
witterte Steinle richtig. Die anfängliche Abhängigkeit
von Courbet hat Thoma nachher ganz abgestreift und
ist damit für die Jüngsten von Bedeutung geworden.
Thomas 1882 entstandene Flora bewunderte Steinle
sehr und sprach auch zu seinen Schülern darüber.

Von Steinles Einfluß auf seine Zeitgenossen und
über Deutschland hinaus scheint mir auch Puvis de
Chavannes ein Beispiel zu sein. Bei der regen Verbin-
dung zwischen Frankfurt und Paris wären der Fäden
wohl zu denken. Chavannes' „Inspiration chaetienne
und die viel früheren „Legenden zum Rosenkranz“
Steinles sind von merkwürdig gleichem Klang. Aucli
der überaus sentimentale Franzose Ary Scheffer gehört
in diese Richtung.

Als Kunstlehrer hatte Steinle keinen Einfluß mehr
auf die kommende Generation. Er lehrte sich selbst und
seine Zeit war abgetan. Er wollte kleine Steinles aus

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