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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

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1/2. Augustheft
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Justi, Ludwig: Naturstudie und Bildaufbau in zwei Ansichten des Colosseums von Böcklin
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eine die englische Namensangabfe mit der Jahreszahl
1851.

Nennen wir der Einfachheit halber den Maler des
Hamburger Bildes, oder der etwaigen Natnraufnahine
dazu, Böcklin, den Maler der „Wendland-Studie“
Achenbach. Böcklin miißte so viel mehr rechts gesessen
haben als Achenbach, daß der rechte Bogen des Aquä-
dukts mit dem rechten Rand des Colosseums abschnei-
det. Dann müßte der Triumphbogen des Constantin er-
heblich weiter nacli links rücken, man miißte zwischen
ihm und dem Theater hindurchblicken — er steht aber
sogar etwas weiter rechts und seine linke Seitenwand
erscheint breiter! Das Verbindungsstück links am Co-
losseum zwischen den beiden Mauerschalen miißte
großenteils oder ganz verdcckt sein — aber es ist im
Gegenteil etwas breiter, statt der vier zinnenartigen

Reihe verringert, die Dreizahl der niedrigen breiten Bo-
gen dazwischen stimmt jedoch überein. In dem Verbin-
dungsstück links sind die Oeffnungen zu schmal ge-
geben, die Pfeiler dazwischen zu breit, der untere Bo-
gen sitzt der Einfachheit halber nicht etwas weiter nach
rechts, wie es Achenbacli richtig gemalt hat. Die hohen
Bäume, die auf der Studie die vordere Wand rechts
verdecken, sind weggelassen, so daß diese sichtbar
wird und sich raumbildend dunkel von dem beleuchte-
ten Innenraum absetzen kann; auch die von innen ge-
seliene Schale hat einen schwereren Schatten: die
Rundheit des Ganzen wird sehr deutlich. Ebenso ver-
schärft sind die Diagonalschatten der erfundenen For-
men im Amphitheater und der umgemodelten Häuser
links, im Triumphbogen sind die Dunkelheiten schwerer
und die Kühlheit seiner Marmorfarbe gegen den war-

Abb. 1. Das Colosseum, Naturstudie von Böcklin, 1851. Im Kunsthandel
Mit Genehmigung von F. Bruckmann A.-G. in München

Mauerstücke sehen wir sechs! Die Studie Achenbachs
ist von höchster farbiger Frische und Ueberzeugungs-
kraft, sie gibt gewiß die Wirklichkeit genau wieder.
Demnach hätte sich Böcklin bei seinem Bilde oder der
Studie dazu erheblich verzeichnet? Es ist nur die Er-
klärung möglich, daß Böcklin die gegebene Erscheinung
aus irgend welchen Gründen willkürlich verändert hat.

Das zeigt sich nicht bloß in der eben bemerkten
Verscbiebung der tatsächlichen Lage-Verhältnisse zu
einander, sondern auch in der Umwandlung der ein-
zelnen Gegenstände. Sie sind vereinfacht und ver-
schärft. Der obere Teil des Triumphbogens ist ver-
kleinert, die Bildsäulen der Gefangenen, bei Achenbach
deutlich, sind unterschlagen. Das Haus daneben hat
seine Eenster und Schornsteine verloren, ist zeitlos ge-
worden, die Mietkasernen darüber sind zu rechtwinklig
klareren, antikischer wirkenden Gebäuden umgemodelt.
Innen im Golosseum malt Böcklin kräftig kubische For-
men, die Achenbach nicht gesehen hat, weil sie nicht da
sind. Der obere Rand der Umfassungsmauer ist zu
ziemlich grader Linie vereinfacht. In der vorderen
Schale sind die Oeffnungen der oberen und unteren

men Travertin stärker betont. Die Bogen der Wasser-
leitung, bei Achenbach mit großer Genauigkeit gemalt,
sind in den Formen vereinfacht, in der Zahl verringert,
der linke zu einem Ruinenstumpf zusammengezogen.
Der ganze Aquädukt ist zu tief gerutscht, so daß er
seinen Zweck nicht mehr erfüllen könnte, das Wasser
auf den Palatin zu leiten, da es damals noch nicht berg-
auf floß. Die Cypressen rechts auf der Höhe, die ja
kleiner erscheinen müßten, falls Böcklin weiter zuriick
saß als Achenbach, sind im Gegenteil wesentlich größer.

Wenn es deutlich ist, daß Böcklin die einzelnen
Gegenstände willkürlich verändert hat, und zwar aus
künstlerischen Gründen, zur Klärung der Linien und
Flächen — Triumphbogen, Häuser, Colosseum — zur
Abstimmung der Bildbetonungen — Verkleinerung der
Wasserleitung, Vergrößerung der Cypressen — so wer-
den wir auch die räumliche Verlagerung der Gegen-
stände auf künstlerische Gründe zurückführen, Rhytli-
misierung des Bildaufbaus, nicht aber darauf, daß Böck-
lin an einer anderen Stelle gesessen hätte als Acheii-
bach, denn die Gegenstände sind teils vom gleichen
Standpunkt gesehen (das Theater), teils nach links ver-

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