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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Zoff, Otto: Das Porträt der Gräfin Anna, 2
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Benn, Joachim: Peter Altenberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0118

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Das Porträt der Gräfin Anna.
niemals allein lassen dürfe, erschrak er und eilte ihm nach.
Da trat ihm der Diener entgegen, den er fortgeschickt
hatte, und teilte ihm mit, daß der Arzt jeden Moment
erscheinen werde. Der Graf fragte, ob dieser ihm gleich
nachgefolgt sei. — Ja, er hätte sich nur umgezogen. —
Der Graf nickte und hastete weiter und, ohne die an-
gesammelten Leute zu beachten, trat er in das Zimmer.
Vom Regen war es verdunkelt und er nahm zuerst
nichts als die schattenhaften Gestalten der Möbel aus. Wie
er aber ein wenig umherspähte, erblickte er den Vater,
noch zuckend, am Fenstergriff hängen. Bevor noch
ein Empfinden in ihm aufwachen konnte, war er schon
dort und zerrte ihn los, und der schüttere Körper fiel in
seine Arme. Er beugte sich nieder. Er horchte. Aber er
fühlte nur, wie sich alles an diesem Leibe ausstreckte
und in eine Ruhe hineinlegte, die er nicht verstand.

eter Altenberg.
In der nicht abreißenden Kette künstlerischer
Stile, mit der die Entwicklung der Kunst die Ent-
wicklung der menschlichen Seele begleitet und ausdeutet, ist
auf den Impressionismus, der die schärfste Ausformung
des Naturalismus und Realismus war, heute der Stilis-
mus gefolgt. Die Richtung, die sich in der Malerei in
langer Linie, und zwar für Deutschland besonders mit
Feuerbach und Marses, vorbereitete, hat also in allen
Gebieten künstlerischen Schaffens gesiegt: Gegenüber
dem Bestreben, den einzelnen, ja momentanen Wirk-
lichkeitseindruck, wie ihn der Mensch ständig durch Ver-
mittlung seines Auges empfängt, mit der größten, alle
technischen Raffinements ausnützenden Schärfe festzu-
halten, hat sich das andere Bestreben durchgesetzt, alle
Wirklichkeitseindrücke, wie sie die Welt bieten kann,
nur als Material für Kompositionen zu benutzen, in
denen der Künstler das Chaos des Lebens rhythmisch
bezwingt.
Damit kann nicht gemeint sein, daß der Impressionis-
mus plötzlich jedermann als eine nutzlose, ja verächtliche
Kunstrichtung gelten müsse. Ganz abgesehen davon,
daß der Impressionismus bei seiner durchaus neuartigen
Weltdurchforschung überhaupt erst die Materialien an
Welterkenntnis herbeigeschafft hat, die in den neuen
Kompositionswerken nun verwandt werden sollen: Den
Werken des Impressionismus wird dauernde Be-
deutung zum mindesten in allen den Fällen zukommen,
wo es sich von vornherein mit seinen Absichten in den
Grenzen gehalten hat, die ihm bei seiner theoretischen
Grundlage gezogen bleiben. Das ist in der Malerei
zuerst einmal in der Studie, der Skizze der Fall, die
beabsichtigterweise nur als ein Vorläufiges gelten
sollte; dann da, wo die Skizze in all ihrer Vorläufigkeit
künstlerisches Ziel wurde, in der Illustration also, und
zwar in der Illustration zu dem Buche sowohl wie
in der Illustration zum Tert des Lebens überhaupt,
besonders der Graphik und Halbgraphik.
Die impressionistische Kunst ist eigentlich reine
Skizzen-, reine Lebensillustrationskunst; darum wirkt
auch nichts so stilvoll wie impressionistische Zeichnungen,
die zwischen Briefe und Tagebuchblätter oder Reise-
10s

beschreibungen gestellt sind. Tagebuchblätter, Briefe
und Reisebeschreibungen, nämlich diejenigen Formen
der Wortkunst also, die ihrer Endabsicht nach dem Leben
so nahe bleiben, wie keine anderen, sind es, die in der
Dichtung der Studie und Lebensillustration aus der
Malerei entsprechen. Wo Tagebuch und Reisebeschrei-
bung in Partikel zerfallen, die für sich genossen werden
sollen, werden sie sogar ebenfalls Skizze und Studie
genannt; sie zerfallen dabei in die Gruppe der rein
visuellen, die nur Gesichtseindrücke landschaftlichen oder
gesellschaftlichen Charakters wiedergeben, und die von
mehr abstrakter, gedanklicher Art, wo sich der impressio-
nistisch gesehene Vorgang zum Sinnbild vertieft. Diese
Skizzen und Studien sind das spezielle Schaffensgebiet
des Wiener Dichters Peter Altenberg, und wenn von
dem dichterischen Impressionismus deutscher Sprache
überhaupt etwas übrig bleibt, gehören die besten seiner
Skizzen jedenfalls dazu.
Peter Altenberg, der eines Alters mit Hauptmann
und Dehmel, heute also ein Fünfziger ist, hat bisher
sieben Bücher* geschrieben: „Wie ich es sehe", „Ashantee",
„Was der Tag mir zuträgt", „Prodromos", „Märchen
des Lebens", „Neues Altes", „Die Bilderbögen des
kleinen Lebens". Nach dem fünften Buch hat er eine
kleine Auswahl aus seinem Schaffen veröffentlicht,
„die Auswahl aus meinen Büchern", dagegen existiert
das Ashanteebuch nicht mehr, sondern ist zum Teil
in das erste Buch übergegangen. Für den flüchtigen
Blick sind sich diese Bücher alle merkwürdig ähnlich:
Alle enthalten Arbeiten, die im Durchschnitt nicht länger
als drei Seiten sind, manchmal zwar bis zu zehn Seiten
umfassen, dafür oft aber nur nach Zeilen zählen. Es
sind immer wieder kleine visuelle Skizzen und sehr
viele sinnbildliche Szenen aus dem Leben, dann Apho-
rismen und kleine Essays über Lebensführung und
psychologische Fragen, zuweilen in Briefform. Weiter
Charakterbilder, Anreden, Widmungen, wozu noch
ein paar Gedichte in Reimen oder freien Rhythmen
kommen, wie auch hinter den scheinbar ungebundenen
Arbeiten oft ein rhythmisches Gefüge von sehr persön-
licher Art fühlbar wird. Die Mehrzahl der Skizzen
handeln von Frauen; und alle sind mehr oder weniger
streng impressionistisch gehalten: Satz ist also zumeist
von Satz gelöst und zum selbständigen Absatz gemacht,
damit er stärker wirkt, vielfach auch noch verkürzt, damit
er sich wie ein Dolch einbohrt; die einzelnen Worte
sind so sparsam wie möglich, aber mit äußerster Prägnanz
gewählt, und mit echt impressionistischer Kunst ist von
mehreren visuellen Eindrücken nur der stärkste genannt.
Was die Gesamtformen anbetrifft, so sind alle so ins
Leben hineingezogen, wie es nur anging, selbst die
Aphorismen, die doch besonders streng abgeschlossen sind,
indem ihnen ein Satz über die Person vorangestellt ist,
die sie ausspricht, worauf sie in Anführungsstriche ge-
schlossen sind. Die meisten Stücke sind dadurch „vivi-
fiziert", daß sie in: Jchton geschrieben sind oder der
Dichter sich selbst als „P. A." in die Handlung einführt.
* Alle in der Preislage zwischen 3 und 5 Mk. bei S. Fischer,
Berlin, mit Ausnahme des letzten, das bei Erich Reiß, Berlin,
erschienen ist. Wir empfehlen besonders den ersten, den letzten
Band und die Auswahl.
 
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