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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Storck, Willy F.: Bühne und Bild
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0154

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Bübne und Bild.

— eine praktische Umformung des Naturalismus erfolg-
reich begonnen. 1901 wurde das Kleine Theater be-
gründet, 1903 das Neue Theater, in dem nacheinander
die düstere Schwerblütigkeit von Gorkis „Nachtasyl",
die berauschend-erotische Sinnlichkeit von O. Wildes
„Salome" und die zarte Traumwelt von Maeterlincks
„Pelleas und Melisande, im Stil der Aufführung
wiederzugeben versucht wurden. 1898 war in Moskau das
„Hröätw ä'art" begründet worden von Stanislawsky,
Meyerkhold und Nemirovitsch Dantchenko, 1905 erfolgte
die Gründung des .Pbeätre Ltouäia" und des „Ibeätw
Lomissajevslrairr": Hauptmanns „College Crampton",
Hofmannsthals „Frau im
Fenster", Maeterlincks „Tod
des Titagiles" waren die
künstlerischen Leistungen des
neuen Stiles. Sie erstreb-
ten alle die Kongruenz des
dramatischen Inhalts mit der
bühnenkünstlerischen Form;
aus dem Stil der Dich-
tung wird der Stil der
Darstellung und Dekoration
sinngemäß abgeleitet.
So entstand mit der-
neuen Dichtung das neue
Bühnenbild. Für die An-
fänge dieser neuen Büh-
nenbildkunst gilt es zurück-
zugreifen bis in das Ende
der neunziger Jahre, als
Adolphe Appia in licht-
durchfluteten Entwürfen die
Stärke des Erlebnisses und
den Stimmungsgehalt Wag-
nerscher Musikdramen mit
bewußter künstlerischer Frei-
heit festbannte (Abb. 4).
In seinem wertvollen Buche
„Die Musik und die Inszenie-
rung" hat Appia mit tief-
gründiger Ausführlichkeit das
Wesen der neuen künstleri-
schen Inszenierung — wie
er sie sah — dargelegt. Und
gleichzeitig mit dem Schwei-
zer schuf der Engländer Ed- Abb. 11.
ward Gordon Craig Ent-
würfe und Kostümbilder, von
dem gleichen künstlerischen Geist getragen wie jene
Appias. Sein Grundsatz lautete: ,,vo not tirst look nt
kLaturo but kookr in tkw pknv ok tbo poot das bedeutet
eine völlige Absage an jeglichen Naturalismus—reinste
Bühnenkunst. Craig hat Entwürfe von eindringlichster
Wirkung geschaffen, die Werte der neuen Beleuchtung
und Räumlichkeit für die Bühne mit sicherstem Griff
nutzbar gemacht; und er hat an Shakespeareschen
Dramen sich die höchste Aufgabe einer modernen
Bühnenkunst gestellt. Die Aahl seiner Entwürfe, die
neuerdings in einem Radierungszyklus ^cuvar-cks a, nerv
tbeatrs gesammelt sind, ist bereits eine stattliche; prak-

tisch hat er sich u. a/bewährt bei der'Aufführung von Hof-
mannsthals „Gerettetem Venedig", das er für Brahm
inszenierte, und bei einer Hamletaufführung Stanis-
lawskys. Er hat wie keiner nach ihm die seelische Stim-
mung der Dichtung in seinen Entwürfen zum Ausdruck
gebracht. Da ist ein Blatt dieses Hamlet, — rein aus
der Einbildungskraft geschaffen, wie sie durch den
Geist der Dichtung bestimmt ist: es ist die vierte Szene
des ersten Aktes (Abb. 2); man erinnere sich der Bühnen-
bildgestaltung Fritz Erlers für das Münchener Künstler-
theater, um den streng puristischen Geist Craigs richtig
zu ermessen; der „stilisierende" Erler bleibt der freien
Phantasieschöpfung Craigs
gegenüber absolut realistisch.
Beide — Appia und Craig —
haben die neuere Bühnen-
bildkunst tief befruchtet; sie
haben erst eigentlich die
Möglichkeit gegeben, der Auf-
führung aller jener tief sym-
bolischen Dramen gerecht zu
werden, wie sie Maeterlinck
oder Hofmannsthal schufen.
Die Reinhardtsche Inszenie-
rung des „Blauen Vogel"
ist die jüngste Frucht dieser
künstlerischen Erkenntnisse;
Stanislawsky hatte schon zu-
vor durch Egorof Deko-
rationen von unheimlich
packender Gewalt schaffen las-
sen, wie dies etwa aus jener
Szene des Kirchhofs (Abb. 9)
deutlich wird, in der sug-
gestive Vereinfachung und
Abstraktion zum äußersten
getrieben ist. Vielleicht ist
hier schon der Punkt, an dem
die Bedeutung des optischen
Bühnenbildes eine allzu
hervorragende ist und die
Gefahr besteht, daß diese
dämmerhaften Worte von
der mystischen Schwere der
Dekorationen erdrückt wer-
den. Und man darf hier
Oskar Wilde keinen Glauben
schenken, wenn er sagt: „nur
wer weder sehen noch hören
kann, behauptet, daß die Leidenschaft eines Stückes
durch seine Dekorationen zerstört werde". Im Gegen-
teil: diese Gefahr besteht in der Tat, und in vielen
Fällen muß von dem Bühnenkünstler mit aller Energie
verlangt werden, das Bühnenbild indifferenter, belang-
loser zu gestalten und dem Wort und der Gebärde —
den eigentlichen Trägern der dramatischen Handlung —
ihre volle Bedeutung zu belassen.
Die Mannigfaltigkeit der Ausdrucksweisen verschie-
dener Bühnenbildkünstler wurde auf der Mannheimer-
Ausstellung recht deutlich; und es war interessant zu
sehen, wie verschiedene Künstler ein und dieselbe


Ottomar Starke-Frankfurt: Figurine zu Herbert
Eulenbcrgs „Alles um Geld".

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