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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Gischler, W.: Geschmackswandlungen im modernen Kunstgewerbe
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Geschmacks, der in der histo-
rischen Schwärmerei vorher
nicht nnr geändert hatte,
wie man immer noch glaubt,
sondern in der Hauptsache
verloren gegangen war.
Denn was ist Geschmack
anders, als ein erprobtes
Gefühl für formale Gesetz-
mäßigkeiten. Wie aber hätte
sich das Gefühl in jener
historischen Stilsentimentali-
tät, darin wir damals lebten,
erproben können? Es war
Leben, ein Genießertum, in dem die historischen Kennt-
nisse vielfach das Wichtigste waren.
Der Geschmack mußte erst wieder auf seine sinnliche
Grundlage zurückkommen, mußte auf die Entscheidungen
des Gefühls gestellt werden, die allein sein Lebens-
element sind. Das wollte der Einbruch der Maler in
die Baukunst und das Kunsthandwerk bezwecken, und
kein Aweifel, er hat es erreicht. Nicht nur bei einzelnen,
sondern bei einer sichtbaren Schicht der Gesamtheit
ist das entscheidende Gefühl der Sinne ein Organ ge-
worden: wenn man will, der Volkskörper hat wieder
Ohren und Augen bekommen. Aber diejenigen, die
ihm dazu verhalfen, haben die Kosten bezahlen müssen:
es ist ein sonderbar wehmütiges Gefühl, was einen
z. B. vor den Olbrichschen Häusern der ersten Darm-
städter Ausstellung beschleicht, wie auf einem Kirchhof
des Enthusiasmus sucht man verzweifelt nach haltbaren
Dingen — von Entzückungen gar nicht zu sprechen —,
bis man kopfschüttelnd fortgeht.
Natürlich liegt die Sache nicht so, wie die Selbst-
zufriedenen glauben, die nun etwa bei Richard Wagner
wie vormals bei Arnold Böcklin sagen: wir haben es
gleich gewußt, daß die Mode nicht halten konnte! Ohne
die tapfere Einsetzung von 1900 wäre das deutsche
Kunsthandwerk nicht auf der Höhe, die ihm heute wohl
keiner mehr im Ernst abstreitet, ohne die Irrtümer
jener ersten Versuche einer eigenen geschmacklichen
Entscheidung genössen wir heute kaum die Sicherheit
gerade desselben Geschmacks, der diese
Irrtümer ohne weiteres sieht. Es
ging nur nicht im Handumdrehen;
wie jede andere Fähigkeit zur eige-
nen Entscheidung (beim Richter etwa,
beim Arzt, der Diagnosen versucht, wie

bei der Weinzunge) mußte
auch diese sich erproben:
schwimmen lernt sich nur
im Wasser.
Und wenn es nun scheint,
als wenn der Geschmack
wieder an die sicheren histo-
rischen Ufer zurückgekom-
men wäre, der wird an
hundert Zeichen sehen, daß
er zum wenigsten schwim-
Entwurf I. L. M. Lauwericks. men gelernt hat, daß es
nicht mehr das kultivierte
Wissen, sondern die Fähigkeit zur formalen Unter-
scheidung, die bewußte Freude an Gesetzmäßigkeiten
ist, die sich da ans Ufer findet. Freilich ein wenig
mit ermatteten Armen: vieles, was heute gebaut und
gewerkt wird, trägt offensichtlich das Behagen zur
Schau, mit fremdem Reichtum wohlhabend zu sein,
statt aus eigener Anstrengung leben zu müssen. Ja,
es ist nicht zu verkennen, daß auch der allgemeine
geschmackliche Ausland, sagen wir der Gebildeten,
in seiner leicht historisierenden Haltung bei einem
Kompromiß angelangt ist, der beiden Teilen, den
Schaffenden wie den Genießenden, bequem ist: das
Erprobte ist beliebter geworden als die Lust, Neues
zu erproben.
Da aber, wie wir sahen, der Geschmack als das er-
probte Gefühl für formale Gesetzmäßigkeiten sich nur
in eigenen Entscheidungen bilden und lebendig erhalten
kann, werden wir nach wie vor da aufmerksam sein
müssen, wo unser Gefühl im Behagen gestört wird:
Die Hechte im Karpfenteiche des modernen Kunst-
gewerbes, als welche wir etwa van de Velde, Behrens,
Pankok, einige Wiener und Schotten immer nqch be-
trachten müssen, dürften für den Geschmack auf die
Dauer doch wertvoller sein, als die vom Schlage Bruno
Pauls, die ihnen gegenüber so sicher im Geschmack
scheinen. Wenn diese Lehre an die vorliegenden Ar-
beiten der Hagener Silberschmiede geknüpft wird, soll
sie alles andere sein als eine Sehnsucht nach den Tagen
des Jugendstils zurück, nur eine Mahnung, nicht das
Behagen unseres Geschmacks allein vor
solchen Dingen entscheiden zu lassen;
er ist, wie gesagt, zurzeit etwas müde
und zu Kompromissen geneigt, die ihm
die Sicherheit eines Schemas geben.
W. Gischler.


Zuckerlöffel.
die Schulbank, aber kein


Serviettenring Lauwericks).
 
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