Adalbert Stifters „Nachsommer".
sDie klassische Epoche zeigt in dem ruhevollen Glanz
vergangener Vollendung eine längst entschwundene
Welt solcher inneren Harmonie, das edle Eristenzbild,
die Entwicklung der Einzelnen zur Humanität, das
bewußte Gestalten von fruchtbaren, großen Typen,
die sich aus der Gleichgültigkeit der Masse nicht durch will-
kürliche und zufällige, sondern durch schicksalhafte Be-
sonderheit, nicht in Intrigen und Situationen, sondern
durch die einfache Gemäßheit ihres Tuns "mächtig her-
vorheben, das Ganze, in das sie gestellt sind, durch ihr
Wirken gliedern und im Gleichgewichte halten. Diese
Geschichte der Bildungen Einzelner und der Gesellschaft
durch sie war der großartige ständige Inhalt aller-
klassischen Epik, der klassischen Weltanschauung, ihres
Weltwillens selbst. Diesem kurzen Zeitabschnitt in
Deutschland ist es gelungen, soweit sich Geistiges in
Sinnliches, Individuelles in Soziales, Kunstwerk in
Existenz überhaupt umsetzen läßt, die Gesellschaft nach
diesem inneren Vorbilde zu formen. Hierbei ist freilich
nicht zu verhehlen, daß diese klassische Weltanschauung
und Harmonie mit einem gewissen Hochmut herrschenden
Geistes über das Gewühl der Unteren hinwegsah und die
Berechtigung individueller Entfaltung und Überordnung
von äußeren Umständen abhängig ließ, ohne die ein Sieg
des Einzelnen über den Druck und die Grenzen seiner
zugewiesenen Schicht eben unmöglich blieb. Mit einer
sozusagen kühlen Grausamkeit setzte sich eine Welt des
Gegebenen über eine Welt des Möglichen, der Hohe
über die untergegangenen Opfer der Tiefe hinweg und
zog Ordnung und Ruhe bei weitem der Gerechtigkeit vor.
Aber über diesem dunkeln und durchwühlten Unter-
gründe — jede Kultur und Zeit hat solche schicksal-
schwangere Tiefen unter ihrem Bau, und es fragt sich
immer nur, ob, was oberhalb, wertvoller, als was ein-
gemauert bleibt—, über diesen dumpfen Massen erhob
sich eine Helle heitere Harmonie durchdachter innerer
und äußerer Ordnung, die sich als we.terwirkende Kultur
bewährt hat.
Das Österreich des Vormärz, Stifters Österreich,
hat mit dem eigentümlichen, halb würdigen, halb frag-
würdigen Konservatismus, der Trägheit und Idealität
wunderlich vereinigt, die äußeren Zustände dieser Epoche
noch eine Weile gegen den Widerspruch der neuen Zeit
behauptet.
Adalbert Stifter ist der letzte in der Reihe der schöpfe-
rischen Männer dieser klassischen Nacbblüte von Österreich,
die in Franz Grillparzer ihren Tragiker, in Stifter ihren
epischen Meister gefunden hat. Ihn: ist gelungen, was
Grillparzer, der stärkere, darum widersetzlichere Geist nicht
über sich vermochte, diese zum Untergang bestimmte Ord-
nung als künstlerische Einheit, durchstrahlt von innerer
Bedeutung und über alle zeitliche Fragwürdigkeit hin-
aus als dauernden Wert bejahend anzuschauen und dar-
zustellen. Den Widerspruch und die Seelennot des unter-
drückten Einzelnen in dieser ungeistig und gewaltsam
gewordenen Ordnung hat er sicherlich empfunden, der
selbst ein Opfer dieses Staates gewesen ist, aber umso
erhabener wirkt die zur Objektivität geläuterte, allem
persönlichen Leiden und Erleben gegenüber behauptete
sittliche Bejahung des Sinnes und Zieles dieser Ord-
nung, dieser Sternenhimmel des moralischen Bejahens
in seiner Brust. Es liegt eine antike Größe in solchen!
bewußt zum eigenen Untergang hinwandernden Ge-
horsam eines Einzelnen gegen den todgeweihten Staat
und gegen die todgeweihte, aber göttlich verehrte Kultur-
seiner Zeit. Stifters „Nachsommer" ist auch der ihrige,
ein verklärter Abgesang der klassischen Welt und das
Morgenlied einer Zukunft.
Der „Nachsommer" ist die Stimme dieser über-
wundenen, im Großartigen noch anmutigen, selbst im
Tragischen verklärten Zeit. Eine heitere Landschaft
zeigt sich durch menschliche Liebe und Pflege zu einer
Traumvollendung erhoben, von allen Stimmen der
Natur durchrauscht, belebt und eigentlich wiedergeschaffen
von wahrhaften, gütigen und innerlich reichen Menschen,
ein Leben, durchwaltet von großen, aus den Herzen
genährten Gedanken, mit Beziehungen zu allem, was
das Dasein erst wert macht, groß im ganzen Plan und Zug,
groß aber erst in jeder liebreichen Einzelheit: in diesen
Erscheinungen schöner, wehmütiger und gefaßt-freudiger
Menschen, in der Beschreibung einer antiken Marmor-
figur, in der eines Rosenspaliers an einem Hause, in
der Lobrede eines weisen alten Mannes auf das Alter,
groß in der Bescheidenheit solcher Fülle, in der Zucht
des Schaffenden, der Männer und Frauen voll Ge-
horsam, Demut und Fügung ins Unerforschliche gleich-
wohl Schicksale höherer Artung und Freiheit aus der
Bedeutung ihrer Sitte und Kraft erwirken läßt.
Der Name „Nachsommer" ist diesem Buche mit
Bedacht gegeben, das den letzten Schimmer eines noch
kraftvollen, aber dem Abend und Herbste zuneigenden
Lebens zeigt und darüber hinaus mit einer sicherlich
abgezielten Bewußtheit die tiefe Resignation aller
Geister dieser Zeit, die sich als letzte einer untergehenden
Epoche fühlten und würdig zum Untergange schickten.
Sie wollten das Beste, das sie erwerben und errichten
konnten, die innere Ordnung ihres Gemütes denKindern,
der Zukunft lehrend überweisen. Wie bei den Bau-,
Garten- und sozialen Ordnungsarbeiten der Goetheschen
Romane bedeutet auch hier das epische Zentrum eines
wohlgefügten, gepflegten, immer neu geschmückten
Landhauses und seiner Umgebung ein Symbol aller
menschlichen Kulturarbeit, die sich um den würdigen
Mittelpunkt gruppiert, indem sie vorerst eine Familie
sinnvoll unr ihre Wohnstätte versammelt, wie die Ge-
samtheit sich im Staate bauend, wahrend, schmückend
vereinigen soll.
Eine über der höchst persönlichen Schwermut köstlich
leuchtende höhere Lebenszuversicht und Gläubigkeit,
eine innere Frömmigkeit klingt aus der Einfalt dieser
Prosa, wie sie nur die Jugend vor, das Alter nach allem
Sturm so recht empfinden kann, wie sie aber von den
wirkenden und wollenden Menschen wiederum gefaßt
und durchgehalten werden muß, wenn sie ihres Erden-
treibens froh und würdig sein sollen.
Im „Nachsommer" sind alle Urelemente des Epischen:
sinnliche Klarheit der Eristenz, geistige Weltdurch-
drmgung, sittliches Bewußtsein der Gliederung alles
Vereinzelten zum Ganzen, die Wohlabgewogenheit eines
nicht bloß gedachten, sondern notwendig erlebten Welt-
bildes, aber auch die gläubige Freudigkeit dieser Ordnung
zu einem großartigen Ausammenklang vereinigt. Noch
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sDie klassische Epoche zeigt in dem ruhevollen Glanz
vergangener Vollendung eine längst entschwundene
Welt solcher inneren Harmonie, das edle Eristenzbild,
die Entwicklung der Einzelnen zur Humanität, das
bewußte Gestalten von fruchtbaren, großen Typen,
die sich aus der Gleichgültigkeit der Masse nicht durch will-
kürliche und zufällige, sondern durch schicksalhafte Be-
sonderheit, nicht in Intrigen und Situationen, sondern
durch die einfache Gemäßheit ihres Tuns "mächtig her-
vorheben, das Ganze, in das sie gestellt sind, durch ihr
Wirken gliedern und im Gleichgewichte halten. Diese
Geschichte der Bildungen Einzelner und der Gesellschaft
durch sie war der großartige ständige Inhalt aller-
klassischen Epik, der klassischen Weltanschauung, ihres
Weltwillens selbst. Diesem kurzen Zeitabschnitt in
Deutschland ist es gelungen, soweit sich Geistiges in
Sinnliches, Individuelles in Soziales, Kunstwerk in
Existenz überhaupt umsetzen läßt, die Gesellschaft nach
diesem inneren Vorbilde zu formen. Hierbei ist freilich
nicht zu verhehlen, daß diese klassische Weltanschauung
und Harmonie mit einem gewissen Hochmut herrschenden
Geistes über das Gewühl der Unteren hinwegsah und die
Berechtigung individueller Entfaltung und Überordnung
von äußeren Umständen abhängig ließ, ohne die ein Sieg
des Einzelnen über den Druck und die Grenzen seiner
zugewiesenen Schicht eben unmöglich blieb. Mit einer
sozusagen kühlen Grausamkeit setzte sich eine Welt des
Gegebenen über eine Welt des Möglichen, der Hohe
über die untergegangenen Opfer der Tiefe hinweg und
zog Ordnung und Ruhe bei weitem der Gerechtigkeit vor.
Aber über diesem dunkeln und durchwühlten Unter-
gründe — jede Kultur und Zeit hat solche schicksal-
schwangere Tiefen unter ihrem Bau, und es fragt sich
immer nur, ob, was oberhalb, wertvoller, als was ein-
gemauert bleibt—, über diesen dumpfen Massen erhob
sich eine Helle heitere Harmonie durchdachter innerer
und äußerer Ordnung, die sich als we.terwirkende Kultur
bewährt hat.
Das Österreich des Vormärz, Stifters Österreich,
hat mit dem eigentümlichen, halb würdigen, halb frag-
würdigen Konservatismus, der Trägheit und Idealität
wunderlich vereinigt, die äußeren Zustände dieser Epoche
noch eine Weile gegen den Widerspruch der neuen Zeit
behauptet.
Adalbert Stifter ist der letzte in der Reihe der schöpfe-
rischen Männer dieser klassischen Nacbblüte von Österreich,
die in Franz Grillparzer ihren Tragiker, in Stifter ihren
epischen Meister gefunden hat. Ihn: ist gelungen, was
Grillparzer, der stärkere, darum widersetzlichere Geist nicht
über sich vermochte, diese zum Untergang bestimmte Ord-
nung als künstlerische Einheit, durchstrahlt von innerer
Bedeutung und über alle zeitliche Fragwürdigkeit hin-
aus als dauernden Wert bejahend anzuschauen und dar-
zustellen. Den Widerspruch und die Seelennot des unter-
drückten Einzelnen in dieser ungeistig und gewaltsam
gewordenen Ordnung hat er sicherlich empfunden, der
selbst ein Opfer dieses Staates gewesen ist, aber umso
erhabener wirkt die zur Objektivität geläuterte, allem
persönlichen Leiden und Erleben gegenüber behauptete
sittliche Bejahung des Sinnes und Zieles dieser Ord-
nung, dieser Sternenhimmel des moralischen Bejahens
in seiner Brust. Es liegt eine antike Größe in solchen!
bewußt zum eigenen Untergang hinwandernden Ge-
horsam eines Einzelnen gegen den todgeweihten Staat
und gegen die todgeweihte, aber göttlich verehrte Kultur-
seiner Zeit. Stifters „Nachsommer" ist auch der ihrige,
ein verklärter Abgesang der klassischen Welt und das
Morgenlied einer Zukunft.
Der „Nachsommer" ist die Stimme dieser über-
wundenen, im Großartigen noch anmutigen, selbst im
Tragischen verklärten Zeit. Eine heitere Landschaft
zeigt sich durch menschliche Liebe und Pflege zu einer
Traumvollendung erhoben, von allen Stimmen der
Natur durchrauscht, belebt und eigentlich wiedergeschaffen
von wahrhaften, gütigen und innerlich reichen Menschen,
ein Leben, durchwaltet von großen, aus den Herzen
genährten Gedanken, mit Beziehungen zu allem, was
das Dasein erst wert macht, groß im ganzen Plan und Zug,
groß aber erst in jeder liebreichen Einzelheit: in diesen
Erscheinungen schöner, wehmütiger und gefaßt-freudiger
Menschen, in der Beschreibung einer antiken Marmor-
figur, in der eines Rosenspaliers an einem Hause, in
der Lobrede eines weisen alten Mannes auf das Alter,
groß in der Bescheidenheit solcher Fülle, in der Zucht
des Schaffenden, der Männer und Frauen voll Ge-
horsam, Demut und Fügung ins Unerforschliche gleich-
wohl Schicksale höherer Artung und Freiheit aus der
Bedeutung ihrer Sitte und Kraft erwirken läßt.
Der Name „Nachsommer" ist diesem Buche mit
Bedacht gegeben, das den letzten Schimmer eines noch
kraftvollen, aber dem Abend und Herbste zuneigenden
Lebens zeigt und darüber hinaus mit einer sicherlich
abgezielten Bewußtheit die tiefe Resignation aller
Geister dieser Zeit, die sich als letzte einer untergehenden
Epoche fühlten und würdig zum Untergange schickten.
Sie wollten das Beste, das sie erwerben und errichten
konnten, die innere Ordnung ihres Gemütes denKindern,
der Zukunft lehrend überweisen. Wie bei den Bau-,
Garten- und sozialen Ordnungsarbeiten der Goetheschen
Romane bedeutet auch hier das epische Zentrum eines
wohlgefügten, gepflegten, immer neu geschmückten
Landhauses und seiner Umgebung ein Symbol aller
menschlichen Kulturarbeit, die sich um den würdigen
Mittelpunkt gruppiert, indem sie vorerst eine Familie
sinnvoll unr ihre Wohnstätte versammelt, wie die Ge-
samtheit sich im Staate bauend, wahrend, schmückend
vereinigen soll.
Eine über der höchst persönlichen Schwermut köstlich
leuchtende höhere Lebenszuversicht und Gläubigkeit,
eine innere Frömmigkeit klingt aus der Einfalt dieser
Prosa, wie sie nur die Jugend vor, das Alter nach allem
Sturm so recht empfinden kann, wie sie aber von den
wirkenden und wollenden Menschen wiederum gefaßt
und durchgehalten werden muß, wenn sie ihres Erden-
treibens froh und würdig sein sollen.
Im „Nachsommer" sind alle Urelemente des Epischen:
sinnliche Klarheit der Eristenz, geistige Weltdurch-
drmgung, sittliches Bewußtsein der Gliederung alles
Vereinzelten zum Ganzen, die Wohlabgewogenheit eines
nicht bloß gedachten, sondern notwendig erlebten Welt-
bildes, aber auch die gläubige Freudigkeit dieser Ordnung
zu einem großartigen Ausammenklang vereinigt. Noch
2Z7 ü