Die politische Haltung und Wirksamkeit der deutschen Philosophen vor 100 Jahren.
und des zufällig-individuellen, und das ist die Sittlich-
keit. Der Staat ist das sittliche Ganze, worin das Indi-
viduum seine Freiheit hat und genießt; er ist die göttliche
Idee der Freiheit, wie sie auf Erden vorhanden ist.
Doch auch jeder einzelne Staat ist, als ein bestimmter
Volksgeist, wieder nur ein Individuum im Gange der
Weltgeschichte, jeder hat hier seine besondere Teilaufgabe
zu erfüllen in der Realisierung der Freiheit. Die einzelnen
Volksgeister sind, in einer notwendigen Stufenfolge,
selbst nur Momente des einen allgemeinen Geistes,
der durch sie in der Geschichte sich zu einer sich erfassenden
Totalität erhebt und abschließt.
Nach diesem tiefen Plane begreift Hegel die gesamte
Geschichte, nach ihm bestimmte er auch die Bedeutung
seines eigenen Zeitalters und der damaligen politischen
Ereignisse. Als die besondere welthistorische Aufgabe
erschien ihm die Herbeiführung der Reformation. War
in dem katholischen Mittelalter die Wahrheit des Geistes
für den einzelnen Menschen ein Äußeres, das ihn mit
der Macht der fremden Autorität ergriff, so gewann
durch die Reformation der subjektive Geist selber die
objektive Wahrheit, die Idee Gottes, zu eigen: der Ein-
zelne nahm nun seinen Gott in sich auf und ließ ihn in
sich wohnen; der Mensch wurde durch sich selbst bestimmt,
frei zu sein, sich mit dem göttlichen Selbstbewußtsein
zu erfüllen und darin seine individuelle Besonderheit
aufzugeben. Die Innigkeit des deutschen Volkes war
die Gewalt, die diesen Umschwung auf der Bahn der
Freiheit bewirken konnte. Damit aber war deren Ver-
wirklichung noch nicht vollendet; es galt in der Folgezeit,
das neue Prinzip der sittlichen Selbstbestimmung seiner
individuellen Begrenzung zu entheben, es in die Welt
ganz hineinzubilden, es dadurch insbesondere zu einem
staatlichen Dasein zu objektivieren als politische Freiheit.
Und hierzu schienen Hegel die Deutschen nicht berufen
zu sein; die französische Aufklärungsphilosophie, die
Revolution, der Aufstieg Napoleons zum Kaiserthron,
seine Unterjochung Europas, das alles veranlaßte ihn
zu glauben, daß es Sache der französischen Nation sei,
jene geforderte politische Verwirklichung der Freiheit
zu vollziehen. So wird denn der Beifall verständlich,
mit dem Hegel die Siege Napoleons begleitete, den er
als eine Individuation der „Weltseele" verehrte.
Es ist auch klar, daß eine derartige Gesamtanschauung
das Nationalgefühl und den Patriotismus verdecken
und beherrschen mußte. Zwar galt dem Philosophen
die Vaterlandsliebe als eine edle Tugend, aber im Ver-
hältnis zu dem großen Gange der Geschichte war sie
ihm nur eine unwesentliche Besonderheit, ein Mittel
zu dem größeren Zweck, wie ja auch die einzelnen Staaten
selber nur solche Mittel waren. Volle Hingabe an einen
„partikulären Patriotismus" schien ihm nicht seine Sache
zu sein, schien ihm eine Beengung des spekulativen
Standpunktes. Deutschland insbesondere vermochte
vor seinem kritischen Blick nicht standzuhalten: die ganze
Vergangenheit und der noch herrschende Zustand des
Reiches führten ihn zu dem Urteil, daß es nie ein wirk-
licher Staat gewesen sei, sondern nur ein „Gedanken-
staat", dem das reale Dasein immer gefehlt habe. Den-
noch war sein Interesse an den deutschen Zuständen so
groß, daß er im Jahre 1801 Betrachtungen darüber
verfaßte, wie Deutschland zu einem Staate vereinigt
werden könne.
In der Folge führten den Philosophen die Ereignisse
zu einer Veränderung seiner Anschauung; er sah, daß
Frankreich aus dem Gegensatz von Staatsgewalt und
subjektiver Freiheit nicht herauskomme, und daß hierin
Deutschland die Rolle der Versöhnung des Gegensatzes
zu allen könne. Schon im Jahre 1807 spricht er in einem
Briefe die Hoffnung aus, daß die deutsche Indolenz unter
der Last der französischen Übermacht ausgetrieben
werde und die Deutschen doch noch zu Männern der Tat
werden könnten. Und als dann seine Hoffnung in den
Befreiungskriegen über alles erwartete Maß erfüllt
wurde, da pries er anerkennend den großen Volkskampf
und die sittliche Macht, die sich darin zur freien Energie
ausgelöst habe. Das preußische Wesen, das er früher
als unfrei verachtet hatte, stand gerechtfertigt und ge-
läutert vor ihm; dem preußischen Staate lieh er nun
Beifall und Unterstützung.
Ebenso wie Hegel, wurde Schelling durch die Art
seiner Weltanschauung dazu bestimmt, den Niedergang
Deutschlands aus dem Gesichtspunkt der allgemeinen
geschichtlichen Entwicklung zu betrachten. Wie die
Romantiker überhaupt, war er in jenen Jahren kosmo-
politisch gesinnt. Die Ideen der französischen Revolution
hatte er in sich verarbeitet, er hatte sie ihres indivi-
dualistischen Charakters entkleidet und, wie die anderen
Philosophen, einer überpersönlichen sittlichen Ordnung
eingefügt; diese sollte herrschen auf Erden, ohne durch
nationale Abgeschlossenheit eingeengt zu sein. Die
Zustände seiner Zeit, die solchem Ziele zuwider waren,
hielt er für unheilbar. Er „freut sich der Zertrümmerung",
und im Zorn über „die Dummheit von oben her und die
tiefe Gemeinheit der Regierungen" möchte er „womöglich
selbst noch helfen, daß das Alte vergehe"; so schreibt
er im Jahre 1806. Und fügt hinzu, daß er eine Zeit
der Versöhnung aller europäischen Völker erwarte;
„bewußtlos oder bewußt arbeitet der Jermalmer" (Na-
poleon) „dahin und ist schon außer den Grenzen, darin er
bisher sich hielt". Fichtes Staatsansicht und Vorstellungen
über die Erneuerung der Nation erschienen ihm infolge
ihrer einseitigen Beschränkung auf das deutsche Volk
willkürlich und falsch; er betrachtete sie als eine Miß-
achtung der erst gewonnenen Freiheit und als die Auf-
forderung zum „plattesten Berlinismus", dazu angetan,
die Nation in den Zustand vollkommener Niedrigkeit
hineinzuführen, der ihr wahrscheinlich bevorstehe. In
allen Äußerungen des Philosophen aber verbinden sich
seine allgemeinen Stacttsanschauungen doch mit einer
tiefen Vaterlandsliebe, und je mehr Deutschland der
Fremdherrschaft verfällt, um so ausschließlicher tritt
sie hervor. Von der Erkenntnis der Wahrheit erhofft
er die sittliche Erneuerung des Volkes, und nur zu diesem
Zwecke will er seine Lehre ausbauen und verkündigen.
Deshalb beabsichtigt er im Jahre 1812, im Verein mit
gleichgesinnten Männern eine „Zeitschrift von Deutschen
für Deutsche" herauszugeben, deren erstes Heft aber
erst im folgenden Jahre zustande kam. Und als dann
die Franzosen geschlagen sind, findet er hohe Worte der
Befriedigung und Freude und er wünscht dem Vater-
lande einen Gesetzgeber vom Himmel, um ihm die Ver-
und des zufällig-individuellen, und das ist die Sittlich-
keit. Der Staat ist das sittliche Ganze, worin das Indi-
viduum seine Freiheit hat und genießt; er ist die göttliche
Idee der Freiheit, wie sie auf Erden vorhanden ist.
Doch auch jeder einzelne Staat ist, als ein bestimmter
Volksgeist, wieder nur ein Individuum im Gange der
Weltgeschichte, jeder hat hier seine besondere Teilaufgabe
zu erfüllen in der Realisierung der Freiheit. Die einzelnen
Volksgeister sind, in einer notwendigen Stufenfolge,
selbst nur Momente des einen allgemeinen Geistes,
der durch sie in der Geschichte sich zu einer sich erfassenden
Totalität erhebt und abschließt.
Nach diesem tiefen Plane begreift Hegel die gesamte
Geschichte, nach ihm bestimmte er auch die Bedeutung
seines eigenen Zeitalters und der damaligen politischen
Ereignisse. Als die besondere welthistorische Aufgabe
erschien ihm die Herbeiführung der Reformation. War
in dem katholischen Mittelalter die Wahrheit des Geistes
für den einzelnen Menschen ein Äußeres, das ihn mit
der Macht der fremden Autorität ergriff, so gewann
durch die Reformation der subjektive Geist selber die
objektive Wahrheit, die Idee Gottes, zu eigen: der Ein-
zelne nahm nun seinen Gott in sich auf und ließ ihn in
sich wohnen; der Mensch wurde durch sich selbst bestimmt,
frei zu sein, sich mit dem göttlichen Selbstbewußtsein
zu erfüllen und darin seine individuelle Besonderheit
aufzugeben. Die Innigkeit des deutschen Volkes war
die Gewalt, die diesen Umschwung auf der Bahn der
Freiheit bewirken konnte. Damit aber war deren Ver-
wirklichung noch nicht vollendet; es galt in der Folgezeit,
das neue Prinzip der sittlichen Selbstbestimmung seiner
individuellen Begrenzung zu entheben, es in die Welt
ganz hineinzubilden, es dadurch insbesondere zu einem
staatlichen Dasein zu objektivieren als politische Freiheit.
Und hierzu schienen Hegel die Deutschen nicht berufen
zu sein; die französische Aufklärungsphilosophie, die
Revolution, der Aufstieg Napoleons zum Kaiserthron,
seine Unterjochung Europas, das alles veranlaßte ihn
zu glauben, daß es Sache der französischen Nation sei,
jene geforderte politische Verwirklichung der Freiheit
zu vollziehen. So wird denn der Beifall verständlich,
mit dem Hegel die Siege Napoleons begleitete, den er
als eine Individuation der „Weltseele" verehrte.
Es ist auch klar, daß eine derartige Gesamtanschauung
das Nationalgefühl und den Patriotismus verdecken
und beherrschen mußte. Zwar galt dem Philosophen
die Vaterlandsliebe als eine edle Tugend, aber im Ver-
hältnis zu dem großen Gange der Geschichte war sie
ihm nur eine unwesentliche Besonderheit, ein Mittel
zu dem größeren Zweck, wie ja auch die einzelnen Staaten
selber nur solche Mittel waren. Volle Hingabe an einen
„partikulären Patriotismus" schien ihm nicht seine Sache
zu sein, schien ihm eine Beengung des spekulativen
Standpunktes. Deutschland insbesondere vermochte
vor seinem kritischen Blick nicht standzuhalten: die ganze
Vergangenheit und der noch herrschende Zustand des
Reiches führten ihn zu dem Urteil, daß es nie ein wirk-
licher Staat gewesen sei, sondern nur ein „Gedanken-
staat", dem das reale Dasein immer gefehlt habe. Den-
noch war sein Interesse an den deutschen Zuständen so
groß, daß er im Jahre 1801 Betrachtungen darüber
verfaßte, wie Deutschland zu einem Staate vereinigt
werden könne.
In der Folge führten den Philosophen die Ereignisse
zu einer Veränderung seiner Anschauung; er sah, daß
Frankreich aus dem Gegensatz von Staatsgewalt und
subjektiver Freiheit nicht herauskomme, und daß hierin
Deutschland die Rolle der Versöhnung des Gegensatzes
zu allen könne. Schon im Jahre 1807 spricht er in einem
Briefe die Hoffnung aus, daß die deutsche Indolenz unter
der Last der französischen Übermacht ausgetrieben
werde und die Deutschen doch noch zu Männern der Tat
werden könnten. Und als dann seine Hoffnung in den
Befreiungskriegen über alles erwartete Maß erfüllt
wurde, da pries er anerkennend den großen Volkskampf
und die sittliche Macht, die sich darin zur freien Energie
ausgelöst habe. Das preußische Wesen, das er früher
als unfrei verachtet hatte, stand gerechtfertigt und ge-
läutert vor ihm; dem preußischen Staate lieh er nun
Beifall und Unterstützung.
Ebenso wie Hegel, wurde Schelling durch die Art
seiner Weltanschauung dazu bestimmt, den Niedergang
Deutschlands aus dem Gesichtspunkt der allgemeinen
geschichtlichen Entwicklung zu betrachten. Wie die
Romantiker überhaupt, war er in jenen Jahren kosmo-
politisch gesinnt. Die Ideen der französischen Revolution
hatte er in sich verarbeitet, er hatte sie ihres indivi-
dualistischen Charakters entkleidet und, wie die anderen
Philosophen, einer überpersönlichen sittlichen Ordnung
eingefügt; diese sollte herrschen auf Erden, ohne durch
nationale Abgeschlossenheit eingeengt zu sein. Die
Zustände seiner Zeit, die solchem Ziele zuwider waren,
hielt er für unheilbar. Er „freut sich der Zertrümmerung",
und im Zorn über „die Dummheit von oben her und die
tiefe Gemeinheit der Regierungen" möchte er „womöglich
selbst noch helfen, daß das Alte vergehe"; so schreibt
er im Jahre 1806. Und fügt hinzu, daß er eine Zeit
der Versöhnung aller europäischen Völker erwarte;
„bewußtlos oder bewußt arbeitet der Jermalmer" (Na-
poleon) „dahin und ist schon außer den Grenzen, darin er
bisher sich hielt". Fichtes Staatsansicht und Vorstellungen
über die Erneuerung der Nation erschienen ihm infolge
ihrer einseitigen Beschränkung auf das deutsche Volk
willkürlich und falsch; er betrachtete sie als eine Miß-
achtung der erst gewonnenen Freiheit und als die Auf-
forderung zum „plattesten Berlinismus", dazu angetan,
die Nation in den Zustand vollkommener Niedrigkeit
hineinzuführen, der ihr wahrscheinlich bevorstehe. In
allen Äußerungen des Philosophen aber verbinden sich
seine allgemeinen Stacttsanschauungen doch mit einer
tiefen Vaterlandsliebe, und je mehr Deutschland der
Fremdherrschaft verfällt, um so ausschließlicher tritt
sie hervor. Von der Erkenntnis der Wahrheit erhofft
er die sittliche Erneuerung des Volkes, und nur zu diesem
Zwecke will er seine Lehre ausbauen und verkündigen.
Deshalb beabsichtigt er im Jahre 1812, im Verein mit
gleichgesinnten Männern eine „Zeitschrift von Deutschen
für Deutsche" herauszugeben, deren erstes Heft aber
erst im folgenden Jahre zustande kam. Und als dann
die Franzosen geschlagen sind, findet er hohe Worte der
Befriedigung und Freude und er wünscht dem Vater-
lande einen Gesetzgeber vom Himmel, um ihm die Ver-