Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

DOI article:
Schäfer, Wilhelm: Eintwicklungsmöglichkeiten der modernen Malerei: (Eine Glosse zur Großen Kunstausstellung in Stuttgart)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0346

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Entwicklungsmöglichkelten der modernen Malerei.

geworden. Da er kein sanfter Heinrich, sondern ein katastrophales Temperament war, hat sich zwar seiner Nach-
folge eine Rücksichtslosigkeit gegen den überlieferten Geschmack beigemischt, die nicht in der Sache liegt: aber Courbet,
der doch sicher der Schutzpatron der heutigen Konvention ist, war auch kein Leisetreter.
Und wenn der Kreis um Cezanne allmählich zu einer europäischen Schule angewachsen ist, der sich vielfach
die Begabtesten unter den Jungen angeschlossen haben, geschah das sicher nicht um der Skizzenhaftigkeit und
mangelnden Form seiner Blätter willen, die ihn: immer noch aus einem Unverständnis seiner Absichten von der
Konvention vorgeworfen wird. Ja, die sollte gerade ihn als einen Meister ihrer Art begrüßen - nicht, weil ihr
dieser Südfranzose mit seiner sanften Tonigkeit nähersteht als der Holländer, sondern weil er dem Geheimnis
der Raumbildung grüblerischer nachging als einer vor ihm. Was ihn zum Neuerer machte und die Jugend so
geheimnisvoll anzieht,* ist kurz gesagt dies: daß er statt mit dem Hintereinander von Silhouetten zu komponieren,
wie es der malerische Stil gemäß seiner schwarzweißen Herkunft immer noch tut trotz aller farbigen Auslösung, die
Erscheinungen kubisch begriff und also seine Raumanschauung mit dem Spiel seiner vorkommenden und zurück-
weichenden Flächen darzustellen versuchte. Im Kubismus ist diese Entdeckung unterdessen übertrieben worden, aber
darum bleibt sie doch als eine Grundlage bestehen, die, zur Entwicklung der modernen Malerei bis jetzt nur
zögernd beschritten, vielleicht einmal die sicherste Grundlage hergeben wird, soweit das Tafelbild in Frage steht und
solange die Raumbildung das Urproblem der Malerei bleibt.
Dieses Urproblem scheint freilich bei Hodler schon verkästen. Klarer als irgendeiner in unserer Zeit hat er
erkannt, daß eine moderne Malerei, die als monumentales Wandbild selber ein Stück Architektur werden will,
ihre Mittel mehr aus die zu schmückende Fläche als auf die Raumanschauung zu orientieren hat. Dadurch mußte
er in den schärfsten Gegensatz zur Konvention eines Handwerks kommen, das aus das Helldunkelspicl als Dar-
stellung des Räumlichen gestellt war. Wenn man ihn also unmalerisch nennt, gibt das kein Werturteil, wie die
Befangenen im malerischen Handwerk glauben, sondern es stellt seine Art fest. Natürlich könnten seine anscheinend
so raumlos auf die Fläche projizierten Figuren ebensowohl nur dekorative Gebilde sein, aber auch ein flüchtiger
Blick auf die hier abgebildete Figur zeigt, wie jede dieser starren Linien dem Geheimnis der räumlichen Erscheinung
abgerungen ist. Noch deutlicher wird dies ein Vergleich mit dem gegenüberstehenden Knabenbildnis von Fritz Erker
dartun. Auch da ist mit kluger Absicht alles aus die Fläche eingestellt: Teppich, Vorhang und Glastür sind zu
einem pikanten Grund vermalt, auf dem die Figur wie eingewoben steht. Aber weder die Haltung des Knaben-
körpers im Ganzen noch irgend eine Einzelheit daran hat sich den Eindruck der lebendigen Erscheinung gerettet:
Das dekorative Arrangement mit den geschickt verteilten dunklen Flecken des Anzugs gab die Bildidee, dem sich
das Leben zu fügen hatte. Ein zweiter Vergleich mit dein Bild von Egger-Lienz wird dies noch deutlicher machen,
da es der Art Hodlers nähersteht, indem auch hier die dekorative Gestaltung der Fläche „aus der Natur gerissen"
wurde, also die Anschauung und nicht der dekorative Geschmack die Bilderscheinung bestimmte. Aber wie bald
tut sich dein Blick das nur Silhouettenhafte aus; nur das Schema einer baumeisterlichen Anordnung von Figuren
ist gegeben, indem sie als Dunkelheiten mit allen Zufälligkeiten ihrer Umriste gegen eine Helligkeit gesetzt sind,
weitab von dem bis zur Grausamkeit strengen Sinn Hodlers, jedes Detail dem Ganzen formal einzuzwingen. Db
in Hodler außerhalb des Wandbildes Entwicklungsmöglichkeiten der modernen Malerei liegen? Die abgebildete
„Totenfeier" von Ernst Würtenberger mag für diesmal die Antwort daraus geben, die mit ihrer klaren Ruhe in
der Stuttgarter Ausstellung wie ein seltsames Eiland inmitten der flutenden Helldunkelmassen steht.
Der Raum dieser Glosse verträgt es nicht, mehr als Andeutungen zu geben; was sie vor allem möchte, ist
eine Erschütterung des Glaubens an die alleinseligmachende Konvention der Helldunkelmalerei und eine Besinnung,
ob durch den akademischen Betrieb unserer staatlichen Kunstpslege die bloße handwerkliche Tüchtigkeit als Lehr- und
Lerngegenstand nicht doch allmählich mit der Kunst verwechselt wird? Freilich, in Stuttgart gerade ist es heikel,
diese Frage zu stellen, weil die dortige Kunstschule in Hoelzel einen Lehrer besitzt, der in unerhört kühner und in
Deutschland einziger Weise die Fragen der Kunst stellt. Ein Experimentator, ein fanatisch allen Wirkungen der künst-
lerischen Mittel nachspürender Kopf, der von der Bildfläche und den Gesetzen ihrer Aufteilung ausging: Linie, Fläche
tlnd Farbe als dekorative Mittel in allen Verhältnissen prüfte und sich mit dem Kaleidoskop seines Ateliers an der
Natur versuchte. Als Hexenmeister und Alchimist des Malerhandwerks weiß er vielleicht mehr von seinen Geheim-
seiner Wissenschaft zu Resul-
malerischen Handwerks steht.
Daß er mit seinen Schülern
(die schöne Arbeit von Eber-
hard möge dafür stehen) in
die Stuttgarter Ausstellung
eingemischt wurde, statt mit
ihnen in einem besonderen
Raum zu stehen, ergab sich
als eine Konsequenz dieser
Veranstaltung; sicher aber
hätte er ihr mit einer In-
konsequenz besser gedient.
W. Schäfer.

Am Tisch des Herrn.

- Lienz.

* Die schöne Komposition
von Caspar, die Landstraße von
Unold und — in einigem Ab-
stand — das dekorative Bild von
Tuch mögen eine Vorstellung
seiner Wirkung geben.

Nissen (und Geheummtteln) als irgend einer; daß er in der praktischen Anwendung
taten kommt, die mit vielen
instinktiven Leistungen der
Jüngsten merkwürdig über-
einstimmen, sollte seinen Kol-
legen zu denken geben, die
immer noch mit Achselzucken
ablehnen, was außerhalb ihres
 
Annotationen