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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, Joachim: Frankfurts Skulpturensammlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0385

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Frankfurts Skulpturensammlung.


die Verkörperung eines idealen Gesetzes sah, das ihn zürn Tempel machte. Es ist gerade das Gleichgewicht
zwischen den form-idealen und den sinnlich-realistischen Tendenzen, das die griechische Kunst bezeichnet und zu dem
einmaligen, nicht wiederkehrenden der Menschheitsgeschichte macht, wie Plato der ganze Grieche sich die wirkliche
Welt nur als gefallenes Abbild von Ideen, diese Ideen aber wieder nur körperlich vorstellen konnte. Die Ge-
schichte der griechischen Kunst ist die Geschichte davon, wie sich bei solchen formalen Tendenzen das Körper- und
damit das Raumgefühl immer weiter differenzierte, bis es in einer Art griechischen Rokokos endete: Ist die
ägyptische Kunst der Ausdruck eines sozialen Idealismus, die den Einzelnen nur benutzt, so ist die griechische
Kunst der Ausdruck eines individuellen Idealismus, die im Einzelnen den Träger einer Idee sieht.
Der aus Campanien stammende Frauenkopf hier in der Liebig-Sammlung — um Beispiele dieser Entwicklung
zu nennen -, der den Typus etwa vom Ende des 6. Jahrhunderts vertritt, hat noch durchaus das Statuarisch-
Große, gleichsam Gemauerte, das alle frühe Kunst und die ägyptische immer hat, aber wie ist dieses Haupt mit
seiner perückenartigen Frisur, deren Strähnen in strengstem Parallelismus um den Kopf gelegt sind, bei aller
schematischen Durchführung körperlich bis ins Feinste durchempfunden, intimst organisierter Raum aus dem Bewußt-
sein der individuellen Kraft heraus, die solches Antlitz von innen her ins Sichtbare treibt. — Glückselige Erfüllung
aller Wünsche auf körperliche Raumorganisation bei vollkommenen: Gleichgewicht der stilistischen und der auf sinnlich-
lebendige Lebenswieder-
gabe gerichteten Tenden-
zen, dies aus einem
gewaltigen Kraftgefühl
heraus, stellen dann die
Arbeite,: aus den: 5. Jahr-
hundert dar: Prachtvoll
und wirklich ewig-gültig
in jeden: Fragment seiner
Oberfläche ist doch der
Torso des Doryphoros aus
Neapel (Abb. 2), massig-
stes Lebens- und Raum-
gefühl, das den Körper
gleichsam hingemauert hat,
bei wunderbar ruhiger
Selbstverständlichkeit in
der Bezwingung des Kör-
pers, dessen Wiedergabe
ganz im Wesentlichen
bleibt. Dagegen wirkt der
Hermes Lausdorne als
römische Kopie zweifellos
schwächer, aber ganz er-
staunlich ist wieder der
weibliche Gewandtorso
(Vollbild), bei dem ein
tausendfach gefälteltes
zeigt, halb zur Seite gewandt, ein Gesicht, das, mit sinnlich aufgeworfenen Lippen, doch göttlich-jungfräulich und auch
durch den römischen Schleier griechisch vollkommen ist. — Nachlassen des ursprünglichen Kraftmaßes in der Erfassung
des Einzelnen bei steigender Feinheit und Freiheit in der Behandlung des Einzelnen und des GesamtarrangementS
bezeichnet dann die Arbeiten des 4. Jahrhunderts, die hier so schöne Stücke wie der Torso einer tanzenden Mänadc,
der Kopf des Aeschines, zwei Praxiteleische Köpfe und anderes vertreten. Und damit war die Kraft der ursprünglichen
Bewegung noch nicht verbraucht, denn wenn die hellenistisch-römischen fünf Musen aus Pozzuoli etwa, aus den:
Z. oder 2. Jahrhundert, in ihrem Körpergefühl höchst schwach, um nicht zu sagen langweilig sind, der Kopf des
lachenden Satyrs aus derselben Zeit ist technisch glanzvoll und wirklich noch griechisch, wenn auch gegenüber dem
Großen, waS war, durchaus Spätkunst, und die fragmentarische Brust einer alten Frau, aus dem 2. bis l. Jahr-
hundert, ist in der Klassizität ihres Realismus eine erstaunliche Vorwegnahme des jungen Rodin.
Einen Ableger hatte die griechische Kunst in der römischen. Die Römer waren künstlerisch nicht sehr schöpferisch
und so bestand ihre künstlerische Tätigkeit zum großen Teil in der Kopie griechischer Originalarbeiten, wofür es
hier viele Beispiele gibt; wo sie selbständig arbeiteten, kamen sie, wie man ar: der sehr seltenen Mithrasgruppe aus
dem Schlangenheiligtum des Esquilin in Ron: sieht, zu einem dekorativen Barock, das gewiß nicht ohne Größe
und auch nicht ohne Feinheit ist, in seinen: Zwiespalt zwischen Naturalismus und Stilismus unser::: Stilwollen
aber doch nicht viel sagt. Großes und Eigenes haben die Römer jedenfalls nur im Porträt geleistet, das sich

_ __, Kleid nur um den Kör-
per brandet wie flüchtige
. Wellen um unumstöß-
lichen Fels. Prachtvolle
Kleinplastiken, die einen
besonders köstlichen Besitz
des Museums ausmachen,
treten den: an die Seite,
' - auch einige Köpfe, die
O trotz ihrer Verstümmelung
Wb" wirken; und als rechtes
LsK ' * M ,, Gegenstück zu dorischer
MM/ -- Herbheit steht honiggelb
VMM / - in ihrem blausamten be-
hängten Raum wie ein
-c ,' H. . - rechtes Märchen Myrons
L . Athena, eines der Glanz-
stücke der Sammlung,
ff--—" " wenn auch römische Kopie:
Ihr Körper hat etwas
von dem einer sports-
geübten englischen Lady,
und daS leicht und fest
pikant umgeworfene Kleid
widerspricht dem nicht;
aber der feine Kopf unter
Abb. 3. Vineento Tamagnini: Bildnis des Abtes Nufinus de Lande (1496). dem hohen Helm, aus dem
die Haare niederquellen,

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