Typen aus der „vLirmatton cis §au8t" von Berlioz.
Man geht kaum fehl, wenn man als das Vorbild
und zugleich das Opfer dieser Skurrilität einen Fehler
ansieht, in den der verehrte Meister Händel verfallen
ist. Die Komposition der Worte: „Alle Gewalt und
Preis und Macht und Ruhm und Lob", fällt wohl
jedem dabei ein, der den „Messias" einmal gehört hat.
Nun stelle ich die Frage: Meint man schon, von Frivolität
reden zu müssen — wer von beiden ist hier frivol?
Berlioz, der in einer Scherzo-Szene eine feierliche
Form zuletzt also ins Groteske ausarten läßt, oder
Händel, der in einem Oratorium feierlichen Stoffs sich
solches erlaubt? Und noch einmal: was gehts uns an,
wie es jeder von ihnen gemeint hat? Will Händel
nämlich, daß wir das ernst nehmen — nimmt er uns
dann nicht dafür den Ernst vor der Musik, wenn er es
durchsetzt, daß wir ein so groteskes Sichgehenlassen
ihm hingehen lassen? Und jene obenerwähnten reli-
giösen Gefühle: haben sie etwa auch schon diesem Chor
des „Messias" gegenüber an ihr Recht erinnert? Also,
bitte: wer ist da frivol gewesen, Berlioz oder Händel?
II.
Die Buntheit des „Spaziergangs" im Wort ---
Drama vermied der große musikalische Szeniker; er will
einheitliche, ausgeführte, ungestörte Bilder. Den
Soldatenchor entnimmt er dem Spaziergang, um ihn
in das Tongemälde einer nächtlichen Stadt einzufügen,
dem er sowohl hinreißendes Kolorit als auch eminente
Plastik verleiht: ein Notturno von großem Wurf, dabei
voll dichterischen Zaubers. Auch hier weiß der Franzose
um das deutsche Gemüt Bescheid, als ob er bei uns zu
Haus wäre. Dieses Soldatenlied von den hohen Burgen,
so kuraschiert und stramm, birgt doch zugleich eine
leis sentimentale Wehmut. Es ist fast unbegreiflich, daß
ein Nichtdeutscher eben dieses Doppelwesen zu schaffen
fertiggebracht hat.
Demgegenüber erklingt in dem Studentensang, dem
unerhört gemüttosen, eine Weltbetrachtung von beinahe
erschreckend vollkommener Gegensätzlichkeit: froh, frech
und gebildet zumal singen sie, als ob sie keiner Nation
entsprossen wären, unvolksmäßig, heimatlos, der Welt
gehörend und die Welt genießend. Ein mächtiger
kontrapunktischer Wille verbindet dann nachher die
beiden Lied-Charaktere zum satten und üppigen Voll-
klang, und der Eindruck der belebten Straße, des er-
regenden Schwärmens in schwüler Dunkelheit wächst
damit ins Ergreifende empor.
III.
In eine hochanständige Gesellschaft hinein, zwischen
den edel-plumpen Feldherrn, die stolz demütige, keusch
hingebende Gattin, den biedern Sergeanten, tritt ein
Jago. Sein Antlitz leuchtet von Verrat; Frechheit durch-
glüht seine Miene; auf den Lippen quillt es von Tücke,
der Blick ist geladen mit Zerstörendem, das Bärtchen
geschliffen von Niedertracht; und zu all dem wippt noch,
weithin sichtbar, die Schadenfreude auf der Hahnen-
feder seines Huts — kurz, die Gedankenlosigkeit des
Darstellers und des Regisseurs tut alles, um ihn mit
dem Glorienschein der Bosheit auszustatten, und die
r-z
Gedankenlosigkeit des Zuschauers pflegt sich das gefallen
zu lassen, anstatt daß er sich gegen den Unsinn wehrte,
sich für die Betroffenen verwehrte — denn diese ins-
gesamt: der biedere Wachtmeister, die hingebende
Gattin, der edle Feldherr — werden sie nicht damit als
ausgemachte Trottel hingestellt? Jeder Zuschauer weiß
es beim ersten Erscheinen des Jago, daß der Bösewicht
und Intrigant jetzt zu Wort und Tat kommen wird;
und nur die andern alle merken nichts, und aber nichts?
Man darf sich wohl diesen törichten Theatergebrauch
von früher vorhalten, um zunächst einmal die negative
Tugend in der Art zu erkennen, wie Berlioz charak-
terisiert. Ein höllischer Knall und Blitz begleitet zwar
Mephistos Einfall in die Lebenssphäre des Faust, in
den Dunstkreis der Kneipbruderschaft. Aber das ist
nur ein Spielen mit der Gefahr, erkannt zu werden.
Bald zähmt er den sengenden Blick und nimmt die
Maske an, die ihm gerade dienen mag: und damit
schafft Berlioz einen Sinn; er vermeidet nicht nur den
Unsinn. Die Gefährdeten aber werden die Beute sei
es seiner Gier oder seiner Laune; sie glauben nicht
mehr an das, was sie zuerst mit eigenen gesunden
Sinnen wahrnahmen; sie vergessen es, wie als ob sie
aus einer irrenden Halluzination erwachten: während
sie nun gerade der von dem Feind gewollten Täuschung
verfallen. Das ist vom Autor sehr überzeugend gestaltet.
In Mephistos ersten Worten klingt noch unverhohlen
hämischer Spott, dessen Aufreizendes jedoch schnell ins
Erregende verwandelt wird; als den versprechenden Geist
des Lebens soll ja der zu Betörende seinen ungebetenen
Gast verkennen.
In das Aufstachelnde hat Berlioz etwas Windiges
und Nichtiges gemischt; deutlich zwar für den wissenden
und kühlen Zeugen der Handlung, doch glaubhaft un-
deutlich dem stark erschütterten Faust. So ist es auch
kein Widerspruch, daß der untreue Führer seinen Zögling
auf die zu erwartende Bestialität aufmerksam macht,
die sich „in ihrer vollen Pracht" zeigen soll, wenn die
„Amen"-Fuge angestimntt werden wird. Das ist nicht die
Lust, sondern der dunkle Gegensatz der Lust, die er ihm
verschaffen will. Indem er das Gegenwärtige herab-
setzt, erweckt er sein Vertrauen, und indem er ihn in
diese Gegenwart einführt, macht er sich selbst einen
Spaß; denn es ist da gewissermaßen ein Äquivalent des
Reichs, aus dem er emporgestiegen ist, ja es ist die
Ähnlichkeit des Charakters dieser Trinkerszene mit der
späteren Höllenszene groß genug, um dieser letzteren
noch einen konstruktiven Wert für das ganze Werk zu
verleihen, zugleich auch um es begreiflich zu machen,
daß man sich hiebei aufhält, daß Mephisto hier mitmacht.
Wiederum also stellt er sich im ersten Augenblick
mit gelüfteter Maske vor, und man könnte nun sogar
an eine gewisse unumgängliche Pflicht des Bösen, sich
zuerst entschleiert zu präsentieren, an eine gezwungene
Ehrlichkeit denken, welcher das Spielen mit der Gefahr
nur als aus der Not gewonnene Tugend sich zugesellt;
und wiederum vergessen die Menschen diesen wachen
Zustand, der sie durch Erschrecken warnte. Aber Mephisto
will hier wirklich nichts gegen sie, er will nur seinen
Spaß haben; er vergnügt sich an dem Lied vom großen
Floh, das er ihnen, als angemessene Bereicherung ihres
Man geht kaum fehl, wenn man als das Vorbild
und zugleich das Opfer dieser Skurrilität einen Fehler
ansieht, in den der verehrte Meister Händel verfallen
ist. Die Komposition der Worte: „Alle Gewalt und
Preis und Macht und Ruhm und Lob", fällt wohl
jedem dabei ein, der den „Messias" einmal gehört hat.
Nun stelle ich die Frage: Meint man schon, von Frivolität
reden zu müssen — wer von beiden ist hier frivol?
Berlioz, der in einer Scherzo-Szene eine feierliche
Form zuletzt also ins Groteske ausarten läßt, oder
Händel, der in einem Oratorium feierlichen Stoffs sich
solches erlaubt? Und noch einmal: was gehts uns an,
wie es jeder von ihnen gemeint hat? Will Händel
nämlich, daß wir das ernst nehmen — nimmt er uns
dann nicht dafür den Ernst vor der Musik, wenn er es
durchsetzt, daß wir ein so groteskes Sichgehenlassen
ihm hingehen lassen? Und jene obenerwähnten reli-
giösen Gefühle: haben sie etwa auch schon diesem Chor
des „Messias" gegenüber an ihr Recht erinnert? Also,
bitte: wer ist da frivol gewesen, Berlioz oder Händel?
II.
Die Buntheit des „Spaziergangs" im Wort ---
Drama vermied der große musikalische Szeniker; er will
einheitliche, ausgeführte, ungestörte Bilder. Den
Soldatenchor entnimmt er dem Spaziergang, um ihn
in das Tongemälde einer nächtlichen Stadt einzufügen,
dem er sowohl hinreißendes Kolorit als auch eminente
Plastik verleiht: ein Notturno von großem Wurf, dabei
voll dichterischen Zaubers. Auch hier weiß der Franzose
um das deutsche Gemüt Bescheid, als ob er bei uns zu
Haus wäre. Dieses Soldatenlied von den hohen Burgen,
so kuraschiert und stramm, birgt doch zugleich eine
leis sentimentale Wehmut. Es ist fast unbegreiflich, daß
ein Nichtdeutscher eben dieses Doppelwesen zu schaffen
fertiggebracht hat.
Demgegenüber erklingt in dem Studentensang, dem
unerhört gemüttosen, eine Weltbetrachtung von beinahe
erschreckend vollkommener Gegensätzlichkeit: froh, frech
und gebildet zumal singen sie, als ob sie keiner Nation
entsprossen wären, unvolksmäßig, heimatlos, der Welt
gehörend und die Welt genießend. Ein mächtiger
kontrapunktischer Wille verbindet dann nachher die
beiden Lied-Charaktere zum satten und üppigen Voll-
klang, und der Eindruck der belebten Straße, des er-
regenden Schwärmens in schwüler Dunkelheit wächst
damit ins Ergreifende empor.
III.
In eine hochanständige Gesellschaft hinein, zwischen
den edel-plumpen Feldherrn, die stolz demütige, keusch
hingebende Gattin, den biedern Sergeanten, tritt ein
Jago. Sein Antlitz leuchtet von Verrat; Frechheit durch-
glüht seine Miene; auf den Lippen quillt es von Tücke,
der Blick ist geladen mit Zerstörendem, das Bärtchen
geschliffen von Niedertracht; und zu all dem wippt noch,
weithin sichtbar, die Schadenfreude auf der Hahnen-
feder seines Huts — kurz, die Gedankenlosigkeit des
Darstellers und des Regisseurs tut alles, um ihn mit
dem Glorienschein der Bosheit auszustatten, und die
r-z
Gedankenlosigkeit des Zuschauers pflegt sich das gefallen
zu lassen, anstatt daß er sich gegen den Unsinn wehrte,
sich für die Betroffenen verwehrte — denn diese ins-
gesamt: der biedere Wachtmeister, die hingebende
Gattin, der edle Feldherr — werden sie nicht damit als
ausgemachte Trottel hingestellt? Jeder Zuschauer weiß
es beim ersten Erscheinen des Jago, daß der Bösewicht
und Intrigant jetzt zu Wort und Tat kommen wird;
und nur die andern alle merken nichts, und aber nichts?
Man darf sich wohl diesen törichten Theatergebrauch
von früher vorhalten, um zunächst einmal die negative
Tugend in der Art zu erkennen, wie Berlioz charak-
terisiert. Ein höllischer Knall und Blitz begleitet zwar
Mephistos Einfall in die Lebenssphäre des Faust, in
den Dunstkreis der Kneipbruderschaft. Aber das ist
nur ein Spielen mit der Gefahr, erkannt zu werden.
Bald zähmt er den sengenden Blick und nimmt die
Maske an, die ihm gerade dienen mag: und damit
schafft Berlioz einen Sinn; er vermeidet nicht nur den
Unsinn. Die Gefährdeten aber werden die Beute sei
es seiner Gier oder seiner Laune; sie glauben nicht
mehr an das, was sie zuerst mit eigenen gesunden
Sinnen wahrnahmen; sie vergessen es, wie als ob sie
aus einer irrenden Halluzination erwachten: während
sie nun gerade der von dem Feind gewollten Täuschung
verfallen. Das ist vom Autor sehr überzeugend gestaltet.
In Mephistos ersten Worten klingt noch unverhohlen
hämischer Spott, dessen Aufreizendes jedoch schnell ins
Erregende verwandelt wird; als den versprechenden Geist
des Lebens soll ja der zu Betörende seinen ungebetenen
Gast verkennen.
In das Aufstachelnde hat Berlioz etwas Windiges
und Nichtiges gemischt; deutlich zwar für den wissenden
und kühlen Zeugen der Handlung, doch glaubhaft un-
deutlich dem stark erschütterten Faust. So ist es auch
kein Widerspruch, daß der untreue Führer seinen Zögling
auf die zu erwartende Bestialität aufmerksam macht,
die sich „in ihrer vollen Pracht" zeigen soll, wenn die
„Amen"-Fuge angestimntt werden wird. Das ist nicht die
Lust, sondern der dunkle Gegensatz der Lust, die er ihm
verschaffen will. Indem er das Gegenwärtige herab-
setzt, erweckt er sein Vertrauen, und indem er ihn in
diese Gegenwart einführt, macht er sich selbst einen
Spaß; denn es ist da gewissermaßen ein Äquivalent des
Reichs, aus dem er emporgestiegen ist, ja es ist die
Ähnlichkeit des Charakters dieser Trinkerszene mit der
späteren Höllenszene groß genug, um dieser letzteren
noch einen konstruktiven Wert für das ganze Werk zu
verleihen, zugleich auch um es begreiflich zu machen,
daß man sich hiebei aufhält, daß Mephisto hier mitmacht.
Wiederum also stellt er sich im ersten Augenblick
mit gelüfteter Maske vor, und man könnte nun sogar
an eine gewisse unumgängliche Pflicht des Bösen, sich
zuerst entschleiert zu präsentieren, an eine gezwungene
Ehrlichkeit denken, welcher das Spielen mit der Gefahr
nur als aus der Not gewonnene Tugend sich zugesellt;
und wiederum vergessen die Menschen diesen wachen
Zustand, der sie durch Erschrecken warnte. Aber Mephisto
will hier wirklich nichts gegen sie, er will nur seinen
Spaß haben; er vergnügt sich an dem Lied vom großen
Floh, das er ihnen, als angemessene Bereicherung ihres