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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Lissauer, Ernst: Aus der Literatur über 1813
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0426

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Pathos, und diese entweder von hohlen Phrasen widerhallende
oder skeptisch lächelnde Zeit, aus der sich ein neues Pathos gebären
will, bedarf für ihre Öffentlichkeit in jedem Sinne jenes ange-
wandten Pathos, das aus allen Schriften Arndts schallt.
Urkunden aus allen Epochen wollen die Doigtländerschen
„Quellenbücher" sammeln: sie enthalten aus der Zeit von 1813
die, ziemlich unfarbig geschriebenen, Erinnerungen Karls
von Raumer, der den Krieg im Blücherschen Hauptquartier
mitmachte. Interessant für den Nachgeborenen ist besonders
die Erzählung, wie Raumer hört, das Blüchersche Heer solle als
Beobachtungskorps in Schlesien bleiben, und murrt, daßr er nicht
mit der Hauptarmee die großen Schlachten schlagen darf und bei
einem „unrührigen" Nebenkorps bleiben muß, „es ist nicht viel
besser, als würde ich zur Einschließung von Glogau kommandiert".
Aber schon zwei Wochen später ist die Schlacht an der Katzbach
geschlagen, und das schlesische Heer wird, wie Clausewitz an Gneisenau
schreibt, „die Spitze von Stahl in dem schwerfälligen eisernen Keil,
der den Koloß spaltet". Ein anderer Band der Quellenbücherei bringt
„ausgewählte Briefe" des F e l d m ar s ch a l l s Blücher
selbst, aus deren hinreißend unorthographischem Stammeln und
Brummeln mit impressionistischer Kraft das Reitertum dieses gewiß
nicht feinen, oft rohen Haudegens entgegenschlägt, der oft mehr
wie ein Landsknechtführer anmutet denn wie ein preußischer
Offizier und sicherlich kein Stratege war, sondern ein Reiter-
führer. Aber aus jeder Zeile funkelt Instinkt, Lebendigkeit, jenes
Momentane, Plötzliche, Improvisatorische, das auch in seinen
privaten und offiziellen Anreden an die Soldaten spricht, das sie
spürten, und das sie entzündete, „ansteckte": „Mich juckts in alle
Finger, den Säbel zu ergreifen" (5. Januar 1813, an Scharn-
horst); „ich habe einen Schuß im Rücken, der mich sehr schmertzt,
die kugell bringe ich dich mit" (4. Mai an seine Frau), „landwehren,
sie man imer druff, ich höre vihll guhts davon, aber wen die
Fehde wieder begintt, denn gesellen sie sich wider zu mich" (29. Juni,
an Gneisenau, der während des Waffenstillstandes dis Landwehr
in Schlesien organisierte).
Ganz aus Urkunden und Dokumenten der Zeit bestehen
auch die Werke „Die Befreiung" und „Franzosenzeit in
deutschen Lande n". Das erste, zusammengestellt von T i m
Klein, ist bei Wilhelm Langewiesche in Ebenhausen bei Mün-
chen, in der Folge „Bücher der Rose", zu dem bekannten Preise
von 1,80 Mk. erschienen; das zweite, aus dem Doigtländerschen
Verlag in Leipzig, von Friedrich Schulze herausgegeben,
kostet in zwei Bänden gebunden 20 Mk. und umfaßt die Jahre
1806—15; eine einbändige Sonderausgabe reicht nur von 1813
bis 1815 und kostet 6,50 Mk.).
Unter den vielen späteren „Büchern der Rose" — ich hebe
als die wertvollsten hervor Despers „Ernte" und „Aus tausend
Jahren", Greiners „Lenau" und die neuen „Briefe der Liebe" —
ist „die Befreiung" wohl das schönste. Es besteht fast nur aus
fremden Texten, und zwar nicht nur aus Urkunden der Epoche selbst,
Briefen, Berichten, Tagebuchnotizen, Broschüren und dergleichen,
sondern auch Zitate aus späteren Biographien und Darstellungen
sind eingeschaltet; die verbindende Erzählung Kleins ist auf das
Geringste beschränkt. Aber die Art, wie er die Einzelheiten ge-
sammelt, zu einem Ganzen angeordnet und verschmolzen hat,
ist eine gerade in ihrer sachlichen Unpersönlichkeit persönlich wert-
volle Leistung. Oft ist nur ein Satz ausgehoben, aber er ist frucht-
bar an Assoziationen und Ausblicken: in solcher historischen Antho-
logie kommt es auf die symbolischen Stellen an. Ein Beispiel:
Überschrift: „Marschall Berthier über die vernichtete Armee"
(von 1812), Text: „Die Korps wurden durch die Adler dargestellt".
Oder: Überschrift: „Der englische Diplomat von Ompteda an
seine Regierung Ende Februar 1813", Text: „Wenn der König
länger zaudert, sehe ich die Revolution als unvermeidlich an".
Oder: Überschrift: „Aus dem Operationsplan Radetzkys", Text:
„Aus allen Gründen der Probabilität erhellt, daß der Schlag der
französischen Hauptarmee gegen die Österreicher gerichtet sein
werde", Zusatz Kleins in kleinem Druck: „Gerade dies traf nicht
ein". Knapper kann eine solche Anthologie gar nicht gefaßt sein,
und man erkennt die Aussage des Verlegers als wahr, daß diese
Bücher bis ins Kleinste sorgfältig gearbeitet seien. Einige wenige
Wünsche verbleiben. Ein vortreffliches Napoleon-Gedicht, „Er",
ist mitgeteilt mit dem Zusatz „Aus einem Stammbuch"; diese
Angabe sollte nach Ort, Zeit, Verfasser ergänzt werden. Das
Gefecht von Hagelberg ist drastischer als bei der von Marwitz
in der Schilderung eines märkischen Maurergesellen wieder-
gegeben, die Friedrich Förster in seiner Geschichte der Freiheits-

kriege, Band II, 1856, S. 804 ff. abdruckt: in ihr erschüttert die
elementare Kraft, mit welcher der gemeine Mann aus seiner Not
aufstand und Rache nahm. Die Rückkehr des Marschalls Ney aus
Rußland, den sein Freund, General Dumas, nicht wiedererkennt,
ist „nach Rehtwisch, Napoleon in Rußland" gegeben statt nach der
französischen Quelle, die zum Beispiel auchScherr in seiner Blücher-
biographie (jetzt bei Hesse, Leipzig, in neuer Ausgabe) angibt: Vs
krackt, Listows cks l'ambassacks ckans ls Oranck-Vusüs cks Varsovis.
„Die Befreiung" ist ein Buch für die Tasche, den Spazier-
gang, die Reise; Schulzes „Franzosenzeit" hingegen ist ein
Buch für das Zimmer, ein Quellenwerk von wissenschaftlicher
Kraft, aber hergerichtet für den Laien. Es enthält ausschließ-
lich Dokumente jener Zeit. Schulzes Text ist nur auf die
kurzen Einführungen in die einzelnen größeren Abschnitte be-
schränkt; die Einteilung im einzelnen ist kunstvoll, mannig-
faltig, weitausgreifend und dennoch übersichtlich: die Bände
in Teile, diese in Abschnitte zerlegt, diese wieder in Kapitel mit
römischen und diese in Unterkapitel mit arabischen Ziffern. Die
„symbolischen" Sätze erscheinen hier als Motti über den Kapiteln;
zum Beispiel bei dem, das „die preußische Armee von 1806"
darstellt, diese Äußerung des Generalleutnants von Saldern:
„Zwar ist es vorgeschrieben, 76 Schritt in einer Minute zu mar-
schieren, aber durch reifliches Nachdenken und vielfache Beobach-
tungen bin ich dahin gekommen, anzunehmen, daß 75 Schritt
in der Minute noch besser sei." Oder über dem Kapitel „Napo-
leons Rückkehr" (von Elba) dies Diktum Wilhelms von Humboldt,
(des preußischen Gesandten am Wiener Kongreß): „Vortrefflich!
Das gibt Bewegung". Wie Klein, so hat auch Schulze eine Un-
summe von Briefen, Tagebüchern, Memoiren, Flugschriften exzer-
piert, aber sein Werk ist überdies durch eine unübersehbar reiche
Fülle von bildhaftem und faksimiliertem Material bereichert:
Porträts von Napoleon, dem König und seiner Familie, Blücher,
Dork, Hardenberg, Schill, Arndt, Schön, Pestalozzi, Tschernit-
scheff, der Oberhofmeisterin Gräfin Voß, Bernadotte, Tauentzien,
Kleist von Nollendorf, Karikaturen: Napoleon als Nußknacker, in
der „Leipziger Barbierstube", als Leierkastenmann; kolorierte
Stiche von der Schlacht an der Katzbach, der Belagerung von
Regensburg, der Begegnung Blüchers und Wellingtons bei Belle-
Alliance; alte Karten: Demarkationslinie des Waffenstillstandes
zu Poischwitz; Plan der Operationen vom 15. bis 21. Iuny 1815;
Faksimiles: Attest des Generals Victor für die Stadt Arnswalde,
Brief des Generals Gneisenau an Zerboni; Nachbildungen: Leip-
ziger Verordnung über die Kontinentalsperre, Aufruf des Herzogs
von Braunschweig unterm 12. Juni 1809, Nr. 34 der schlesischen,
privilegierten Zeitung „an mein Volk". All dies sind aufs Gerate-
wohl herausgegriffene Beispiele für den Reichtum der Beigaben:
das Schulzesche Werk ist eine meisterhafte Leistung, schlechthin
ein Atlas der Befreiungskriege; besonders wertvoll sind auch
die ausführlichen Anmerkungen, in denen die Quellen angeführt
werden, und die auch viele ergänzende Zitate bringen.
Diese beiden Bücher, besonders aber das Schulzesche Werk,
nach Gebühr anzeigen, hieße: eine Geschichte der Freiheitskriege,
ihrer Ursachen und Wirkungen, schreiben, denn sie ist in der
Verkürzung darin enthalten, und von jeder einzelnen Seite
strahlen die Probleme, Fernsichten und Assoziationen ringsum aus.
In beiden Werken ist deutlich, in welchem Maße alle Schichten des
Volkes, der Adel, die Beamten, die Kaufleute, die Gelehrten,
die Dichter, der „gemeine Mann" an dem Werk Anteil hatten
und, für diese Zeit, ganz ineinandergeschweißt waren. Beide sind
weit davon entfernt, nur Kriegsgeschichte zu geben: Klein schaltet
Worte Schillers ein über den Willen und über das Erhabene, ein
Stück aus Jean Pauls „Friedenspredigt" und Kants Sätze über die
Pflicht aus der „Kritik der praktischen Vernunft"; Schulze teilt etwa
die Schilderung eines Besuchs bei Pestalozzi oder einen Bericht
über die nationale Wirkung von Schillers Dramen im Berliner
Schauspielhause mit. Aus beiden Werken aber, dem Kleinschen
und dein Schulzeschen, erhellt, — worauf ich an dieser Stelle im
einzelnen nicht eingehen kann — daß die große Tat von 1813
eine Tat des Volkes war, des Volkes ohne oder aber gegen die
Monarchen und ihren Anhang. Beide Werke sind ohne politische
Tendenz zusammengestellt, aber sie werden durch die Tatsachen
selbst zu Protesten gegen die Art, in der 1813 in diesem Jahr
offiziell gefeiert wird. Beiden Büchern strahlt gleichsam aus den
Posen die Liebe, mit der die Herausgeber sie gearbeitet haben,
und diese Liebe weckt die Liebe und das Vertrauen des Lesenden.
Beide Bücher werden mich durch das Leben geleiten, und ich wünsche
sie vielen als Weggenossen. Ernst Lissauer.

Verantwortlich: Wilhelm Schäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düsseldorf. — Kunstdruckpapier: IW- Zanders, B.-Gladbach.
Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schäfer in Vallendar a. Rh. erbeten.
Hür unverlangte Manuskripte und Rezensionsexemplare wird keine Verpflichtung übernommen. Rückporto ist beizulegen.
 
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