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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Halm, U.: Richward Wagners Tristan
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0497

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ichard Wagners Tristan.
Tristans und Isoldes Liebe erscheint als ein
Mythus von Liebe und nicht als Angelegenheit
zweier zufälliger Menschen.
Ob der Aspekt, oder sagen wir das Krankheitsbild
dieser Liebe der psychologischen Wirklichkeit entspricht,
ob es widerlegt werden oder nur individuelle Gültig-
keit beanspruchen kann: das ist eine Nebenfrage; ja,
für das Drama vielleicht noch nicht einmal nebensäch-
lich. Mag man ruhig mit Nietzsche den Typus Liebe,
wie ihn Bizets „Carmen" aufstellt, als wirklicher, als
normal anerkennen: er hat nicht das mindeste von
mythischer Luft um sich, vollends nicht mythischen Geist
und Odem in sich. Tristans und Isoldes Liebe ist ein
Vorbild. Nicht etwa, daß es nachgeabmt werden müßte,
keineswegs; aber so, daß es den Blick auf sich lenkt,
der nach einem Einmaligen, einem einzigen Bild von
der Tatsache Liebe sucht; die beiden scheinen in beson-
derem Maß berufen, es der Welt zu verkünden, daß es
Liebe im Kosmos gibt.
Dazu nun müssen sie einen Standpunkt außerhalb der
Welt, und damit auch außerhalb ihrer eigenen Mensch-
lichkeit und Persönlichkeit finden; wie könnten sie sonst
zur Welt sprechen? Und finden, vor unfern Augen finden
müssen sie den Standpunkt, sodaß wir von ihnen mit-
genommen und gehoben werden, um gleichfalls auf die
Welt zu blicken, nicht mehr nur in ihr uns umzuschauen.
Der erzählende Dichter stellt schon mit einem Wort,
mit einem Namen ein Niveau, eine Atmosphäre her;
der Dramatiker dagegen hat das Niveau zu erarbeiten,
Atmosphäre zu schaffen, hat Erhabenheit erst zu ver-
dienen; und das aus mehr als einem Grund, haupt-
sächlich aber der Sichtbarkeit seiner Figuren wegen.
Die Distanzen unter den Namen und dem, was sie uns
bedeuten, sind größer als die unter sichtbaren Menschen;
kein Schmuck noch Leib strahlt so aus andern heraus wie
der Name Hektor aus der Legion genannter und un-
genannter Trojaner und Griechen. Der dargestellte
Held aber trägt den Namen nicht auf der Stirn ge-
schrieben; er „mangelt des Ruhms". Ja, fürs erste
wenigstens gefährdet der ruhmvolle Name eher noch
seinen Träger im Schauspiel, den wir sehen, „uns an-
sehen", kalt und prüfend, an unserer Verehrung des
Namens fast feindselig messend: nun zeige, ob du ein
Hektor bist!
Desgleichen stehen erzählte Tat und sichtbar dar-
gestellte Handlung unter verschiedenen Gesetzen; die
Größe wird demnach in Epos und Drama von ganz ver-
schiedener Dinge Gnaden erreicht.
*
Der erste Akt von Tristan und Isolde hat stofflich
zum Inhalt das Unwiderstehlichwerden der Liebe,
zum dramatischen Amt aber, das stetig der Welt Ent-
fremdet- und Entrücktwerden der Liebenden, das cre8-
csnäo der Distanz herzustellen; er ist also der eigent-
lichst aktive Akt, insofern vergleichbar dem ersten Satz
einer Symphonie; die beiden andern Akte sind ihm
gegenüber Folgeerscheinungen, in ihrer Einfachheit
wirken sie erlösend und gelöst gegenüber dem stark Be-

lastenden und Verwickelten des ersten. Ihre Gegensätze
entladen sich; sie spannen sich nicht mehr, und auch dieses
Sichvollziehen des Vorbereiteten macht einen neben-
sächlichen Eindruck dem großen Andern gegenüber,
der gefundenen Einheit. Daß die Geeinten untergehen,
kommt wie von selbst; ihr Geeintwerden aber gilt alles;
es ist der Kern der Schicksalsfrage, der Frage, ob ein
Schicksal entsteht, in dem, was bloßes Geschick ist, reift
und sich daraus kristallisiert. Nachdem dies, die Reinigung
des Schicksalhaften vom Geschickhaften, Geschichtlichen
geschehen, gab es für das Drama nur noch „alle Ge-
rechtigkeit zu erfüllen": die Liebe wollte offenbar werden,
sie fordert das als Schuld ein, und dasselbe will und tut
die völlige Weltfremdheit der Liebenden, die in der Welt
nicht mehr leben dürfen noch atmen könnten. Die my-
thisch erhabene Darstellung der Liebe muß mit der offen-
bar gewordenen schließen, die Apotheose der Liebe fordert
den Tod der Liebenden; ein von der Gesellschaft an-
erkanntes Ehepaar Tristan und Isolde: unmöglich.
Es könnte nur ein Ehepaar namens Tristan und Isolde
geben. Ob es wohl überhaupt einen Mythus der Ehe
gibt oder geben kann, so wie es einen Mythus der Liebe
gibt? Vielleicht; warum auch nicht! Aber der eine ist
streng davor zu behüten, daß er dem andern angehängt
oder mit ihm vermengt werde; übrigens werden sie
beide sich schon selbst voreinander schützen, durch
eine immanente Unverwandtschaft. Alles Vollkommene
widersteht der Ergänzung und Fortsetzung, die nur
noch verflachen kann.
So vereinigt sich gegen den Schluß des Dramas
Schicksal und Geschick; das erfüllte Schicksal will den Tod
seiner Träger, oder braucht ihr Leben nicht mehr, kann
es nicht mehr brauchen; und das Geschick kann nicht anders
wollen, das Resultat der Komponenten Tristan-Isolde
und Welt nicht anders lauten. Beider gemeinsamer
Spruch aber schafft erst ganz den mythischen Eindruck.
-i- *
-t-
Der zuletzt einheitliche Wille von Geschick und Schick-
sal lebt zumeist in Tristan; diesem fällt die Führerschaft
zum Tod zu, während die Führerschaft zum Einswerden
der Liebenden bei Isolden lag: beides aus gleichem
Grund. Ganz der nämliche Tristan verneint seine Zu-
gehörigkeit zur Welt, welcher er hörig zu sein aufgehört
hat; so oder so nimmt er sein Verhältnis zur Welt mit
durchaus gleichem Ernst; er unterdrückt zuerst seine
Liebe und spricht sich, nach dem Aufruhr und Sieg
dieser Liebe, das Leben, ja mehr noch: er spricht dem
Leben das Recht an ihn und die Geliebte ab. Aber so
vom „Tagesknecht" zum Tagesfeind werden, heißt nicht
ein anderer werden. Isolde, mehr Natur, mehr Persön-
lichkeit, trifft ihn wirklich mit dem Wort: Tagesknecht;
für sein: „Sitte lehrt" hatte sie Hohn bereit, und das
mit der ganzen Überzeugtheit des vom Gebot des
Lebens Durchdrungenseins. Isolde wollte den Tod,
da ihr aufs höchste gesteigerter Lebenswille, durch Ver-
zweiflung zersetzt, sich aufgibt, und mehr noch sie auf-
gibt, als einen für diesmal mißglückten Versuch; ganz
die nämliche Isolde, keine andere, vergißt des Todes,
als sie Tristans Liebe hat, und stirbt, von dem ins Todes-
reich vorangegangenen Tristan gerufen.


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