Wedekind.
Das entscheidend Gemeinsame dieser genialischen
Außenseiter Grabbe und Wedekind ist ihr „absoluter"
Revolutionismus. Sie sind in einer ständigen Revo-
lution, die keinerlei Ziel hat, — permanente Ketten-
sprenger; sie sind ihrem Temperament nach (was für
gelegentliche Vorstellungen auch ihr nie scharf belichtetes
Gehirn kreuzen mögen) völlige Individualisten: An-
archisten in dem populärsten, gefährlichsten Sinne des
Wortes, Leute, die wirklich Bomben werfen, in die
Luft sprengen, ohne zu wissen wofür. (Schon damit
ist Wedekind von dem durch und durch positiven Sozia-
listen Bernard Shaw, mit dem man ihn auf oberflächliche
Symptome hin zuweilen vergleicht, fundamental ver-
schieden.) Sie schwärmen für die Kraft, für den starken,
unbehinderten Menschen, aber sie haben durchaus keine
Vorstellungen darüber, wozu diese Kraft zu brauchen sei,
sie leben in ihrem Selbstgenuß. Freilich zeigt sich der
Unterschied der Zeiten darin deutlich genug, daß Grabbe
vor allem an geistige Helden denkt, oder wenigstens an
politische, und dauernd von großen Feldherren und Er-
oberern phantasiert, während Wedekind im wesentlichen
nur die sexuelle und höchstens noch finanzielle Durch-
setzung des Menschen zum Thema hat. Es hängt mit der
mehr geistigen Kultur, aus der Grabbe heraustritt,
ebenfalls zusammen, wenn er sich zu prinzipiell nihilisti-
scher Philosophie versteigt, — im „Gothland" steht der
wenigstens gründliche Satz von der „allmächtigen
Bosheit, die den Weltkreis lenkt". Wedekind ist in diesem
Sinne durchaus kein Pessimist; er kommt aus der materia-
listischen Kultur, die von: Leben garnichts anderes er-
wartet als den energisch durchzuführenden Kampf ums
Dasein, und er findet das Leben, wenn es nur erst von
allen Hemmungen befreit ist, durchaus reizvoll und
lohnend. Sprachlich gesehen wird dabei aus den riesig
verstiegenen tragischen Metaphern Grabbes Wedekinds
zynisch ruhige Prägnanz — aber als Gemeinsames
bleibt die beide leitende Negation: der Hohn auf den
vernünftigen Kulturkosmos. — Bei Grabbe wie bei
Wedekind aber rächt sich nun der Geist der Gemein-
schaft, den sie verleugnen, dessen Bindungen sie zer-
reißen, mit der selben tragischen Ironie. Für ihre
Lehre, die gar keine ist, die, wenn ihre geistigen Mittel
ihnen so reinliche Konsequenz gestatten würden, nur
Verneinung alles Lehr- und Lernbaren heißen müßte
— denn jede Lehre ist ja Gesetz, Bindung, Sozialisie-
rung, Unfreiheit! — für ihre Lehre von der un-
bedingten Freiheit und Würdigkeit der Kraftnatur,
des rein Instinktiven, des Vollmenschen verlangen
sie doch Glauben, Anerkennung, soziale Autorität,
fühlen sich mit grimmigem Schmerz als die Märtyrer
und die Verkannten, wenn man sie nicht hört oder ver-
lacht, und eifern mit wildester Deutlichkeit für ihre An-
schauung, — die ja schon, indem sie sie lehren, wider-
spruchsvoll sein muß! So erhalten diese ungebundensten
Geister, weil sie so prinzipiell ungebunden sind, einen
Zug fanatischer Pedanterie, und ihr Stil mischt sich
aufs erstaunlichste aus ausschweifendster Phantastik und
unsäglich trocken dozierender Prosa. Weil sie aber
keinerlei Duldung und Liebe für irgendwelche be-
grenzte und begrenzende Form haben, weil sie jede
Art von Widerstand, von zivilisatorischer Einschränkung
zum wildesten Grimm zu Spott und Hohn aufstachelt,
so sind sie beide geniale Karikaturisten. Aber weil beide
blind wütend in die Höhle ihres Innern starren, haben
sie gar kein Gefühl für Maß und Gewicht der Welt
draußen, halten ihre Zerrbilder für getreue Wirklich-
keitsabbildungen, mischen sie mit korrekten Naturalis-
men, und bringen so jenes durchaus unfreiwillige,
groteske Schaukeln ihres Stils zwischen den verschie-
densten Naturdistanzen zustande, das sie als Künstler
am meisten charakterisiert.
*
*
Man mißversteht Wedekind ganz, wenn man gleubt,
daß er in der Art großer Satiriker „Paradoxen" bildet,
planvoll ironische Übertreibungen, die zur Erkenntnis
einer Wahrheit aufrütteln sollen. Wedekind meint
alles, was er sagt, ganz wörtlich, er macht keine
Paradoxen, er ist paradox, denn er steht in einem
vollkommenen Gegensatz zu allen Formen der gesell-
schaftlichen Kultur. Alle gesellschaftliche Form ist auf
irgend einem Abstrich von der vollkommenen Entfaltung
der individuellen Triebe gebaut. Alle Kultur beruht auf
dem Glauben an den übergeordneten Wert seelischer
Erlebnisse. Wedekind setzt mit einem grandios unge-
heuerlichen Materialismus wirklich jeden letzten Wert
in die vollkommenste Auslösung des individuellen
Körperglücks in eine Erotik, die bei ihm eigentlich niemals
das mit übersinnlichen Zusammenhängen belastete Wort
„Liebe" verdient, sondern nur Sexualität reinsten und
stärksten Formals genannt werden darf. Ohne jede
Absicht zu Scherz oder Groteske, vielmehr mit jenem
tödlichen Ernst, den man seinen immer wiederholten
Beteuerungen doch endlich glauben sollte, schreibt er die
„Konfession".
Freudig schwör ich es mit freier Stirne
vor der Allmacht, die mich züchtigen kann:
Wie viel lieber wär ich eine Dirne
als an Ruhm und Glück der reichste Mann!
Und ein Leib, vom Scheitel bis zur Sohle
allerwärts als Hochgenuß begehrt...
Welchem reinern, köstlichem Idole
nachzustreben ist das Dasein wert?
Welt, wenn ich von solchem Zauber träume,
dann zerstieb zu nichts, was ich getan;
dann preis' ich das Dasein und ich bäume
zu den Sternen mich vor Größenwahn!-
In der Phantasie von „Minehaha" hat er mit
äußerster Hingebung das Ideal der absoluten Körper-
kultur gemalt. Mit „hellenischer" Nacktheit hat übri-
gens sein prinzipiell geistloser Traum hier und überall
so wenig gemein, wie eine sehr gepflegte Haremsdame
mit Aspasia. Rund um dieses Ideal herum hat Wede-
kind eine Reihe ausgezeichneter Gedichte geschrieben.
Bänkellieder, die bald jene „Keuschheit", die nur alberne
Schwäche ist, mit wüstem Hohn abmalen, bald sich mit
zynischer Grandezza salopp und sicher in Reminiszenzen
körperlichen Genusses schaukeln. Zuweilen aber auch ein
dumpfes Aufdröhnen schwerer Leidenschaft mit flattern-
den Rhythmen:
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Das entscheidend Gemeinsame dieser genialischen
Außenseiter Grabbe und Wedekind ist ihr „absoluter"
Revolutionismus. Sie sind in einer ständigen Revo-
lution, die keinerlei Ziel hat, — permanente Ketten-
sprenger; sie sind ihrem Temperament nach (was für
gelegentliche Vorstellungen auch ihr nie scharf belichtetes
Gehirn kreuzen mögen) völlige Individualisten: An-
archisten in dem populärsten, gefährlichsten Sinne des
Wortes, Leute, die wirklich Bomben werfen, in die
Luft sprengen, ohne zu wissen wofür. (Schon damit
ist Wedekind von dem durch und durch positiven Sozia-
listen Bernard Shaw, mit dem man ihn auf oberflächliche
Symptome hin zuweilen vergleicht, fundamental ver-
schieden.) Sie schwärmen für die Kraft, für den starken,
unbehinderten Menschen, aber sie haben durchaus keine
Vorstellungen darüber, wozu diese Kraft zu brauchen sei,
sie leben in ihrem Selbstgenuß. Freilich zeigt sich der
Unterschied der Zeiten darin deutlich genug, daß Grabbe
vor allem an geistige Helden denkt, oder wenigstens an
politische, und dauernd von großen Feldherren und Er-
oberern phantasiert, während Wedekind im wesentlichen
nur die sexuelle und höchstens noch finanzielle Durch-
setzung des Menschen zum Thema hat. Es hängt mit der
mehr geistigen Kultur, aus der Grabbe heraustritt,
ebenfalls zusammen, wenn er sich zu prinzipiell nihilisti-
scher Philosophie versteigt, — im „Gothland" steht der
wenigstens gründliche Satz von der „allmächtigen
Bosheit, die den Weltkreis lenkt". Wedekind ist in diesem
Sinne durchaus kein Pessimist; er kommt aus der materia-
listischen Kultur, die von: Leben garnichts anderes er-
wartet als den energisch durchzuführenden Kampf ums
Dasein, und er findet das Leben, wenn es nur erst von
allen Hemmungen befreit ist, durchaus reizvoll und
lohnend. Sprachlich gesehen wird dabei aus den riesig
verstiegenen tragischen Metaphern Grabbes Wedekinds
zynisch ruhige Prägnanz — aber als Gemeinsames
bleibt die beide leitende Negation: der Hohn auf den
vernünftigen Kulturkosmos. — Bei Grabbe wie bei
Wedekind aber rächt sich nun der Geist der Gemein-
schaft, den sie verleugnen, dessen Bindungen sie zer-
reißen, mit der selben tragischen Ironie. Für ihre
Lehre, die gar keine ist, die, wenn ihre geistigen Mittel
ihnen so reinliche Konsequenz gestatten würden, nur
Verneinung alles Lehr- und Lernbaren heißen müßte
— denn jede Lehre ist ja Gesetz, Bindung, Sozialisie-
rung, Unfreiheit! — für ihre Lehre von der un-
bedingten Freiheit und Würdigkeit der Kraftnatur,
des rein Instinktiven, des Vollmenschen verlangen
sie doch Glauben, Anerkennung, soziale Autorität,
fühlen sich mit grimmigem Schmerz als die Märtyrer
und die Verkannten, wenn man sie nicht hört oder ver-
lacht, und eifern mit wildester Deutlichkeit für ihre An-
schauung, — die ja schon, indem sie sie lehren, wider-
spruchsvoll sein muß! So erhalten diese ungebundensten
Geister, weil sie so prinzipiell ungebunden sind, einen
Zug fanatischer Pedanterie, und ihr Stil mischt sich
aufs erstaunlichste aus ausschweifendster Phantastik und
unsäglich trocken dozierender Prosa. Weil sie aber
keinerlei Duldung und Liebe für irgendwelche be-
grenzte und begrenzende Form haben, weil sie jede
Art von Widerstand, von zivilisatorischer Einschränkung
zum wildesten Grimm zu Spott und Hohn aufstachelt,
so sind sie beide geniale Karikaturisten. Aber weil beide
blind wütend in die Höhle ihres Innern starren, haben
sie gar kein Gefühl für Maß und Gewicht der Welt
draußen, halten ihre Zerrbilder für getreue Wirklich-
keitsabbildungen, mischen sie mit korrekten Naturalis-
men, und bringen so jenes durchaus unfreiwillige,
groteske Schaukeln ihres Stils zwischen den verschie-
densten Naturdistanzen zustande, das sie als Künstler
am meisten charakterisiert.
*
*
Man mißversteht Wedekind ganz, wenn man gleubt,
daß er in der Art großer Satiriker „Paradoxen" bildet,
planvoll ironische Übertreibungen, die zur Erkenntnis
einer Wahrheit aufrütteln sollen. Wedekind meint
alles, was er sagt, ganz wörtlich, er macht keine
Paradoxen, er ist paradox, denn er steht in einem
vollkommenen Gegensatz zu allen Formen der gesell-
schaftlichen Kultur. Alle gesellschaftliche Form ist auf
irgend einem Abstrich von der vollkommenen Entfaltung
der individuellen Triebe gebaut. Alle Kultur beruht auf
dem Glauben an den übergeordneten Wert seelischer
Erlebnisse. Wedekind setzt mit einem grandios unge-
heuerlichen Materialismus wirklich jeden letzten Wert
in die vollkommenste Auslösung des individuellen
Körperglücks in eine Erotik, die bei ihm eigentlich niemals
das mit übersinnlichen Zusammenhängen belastete Wort
„Liebe" verdient, sondern nur Sexualität reinsten und
stärksten Formals genannt werden darf. Ohne jede
Absicht zu Scherz oder Groteske, vielmehr mit jenem
tödlichen Ernst, den man seinen immer wiederholten
Beteuerungen doch endlich glauben sollte, schreibt er die
„Konfession".
Freudig schwör ich es mit freier Stirne
vor der Allmacht, die mich züchtigen kann:
Wie viel lieber wär ich eine Dirne
als an Ruhm und Glück der reichste Mann!
Und ein Leib, vom Scheitel bis zur Sohle
allerwärts als Hochgenuß begehrt...
Welchem reinern, köstlichem Idole
nachzustreben ist das Dasein wert?
Welt, wenn ich von solchem Zauber träume,
dann zerstieb zu nichts, was ich getan;
dann preis' ich das Dasein und ich bäume
zu den Sternen mich vor Größenwahn!-
In der Phantasie von „Minehaha" hat er mit
äußerster Hingebung das Ideal der absoluten Körper-
kultur gemalt. Mit „hellenischer" Nacktheit hat übri-
gens sein prinzipiell geistloser Traum hier und überall
so wenig gemein, wie eine sehr gepflegte Haremsdame
mit Aspasia. Rund um dieses Ideal herum hat Wede-
kind eine Reihe ausgezeichneter Gedichte geschrieben.
Bänkellieder, die bald jene „Keuschheit", die nur alberne
Schwäche ist, mit wüstem Hohn abmalen, bald sich mit
zynischer Grandezza salopp und sicher in Reminiszenzen
körperlichen Genusses schaukeln. Zuweilen aber auch ein
dumpfes Aufdröhnen schwerer Leidenschaft mit flattern-
den Rhythmen:
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