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Böker, Doris [Hrsg.]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 19): Landkreis Cuxhaven — Braunschweig, 1997

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https://doi.org/10.11588/diglit.44259#0293

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mit abschließendem Unterrähm und der zwei-
fachen Vorkragung des Nordgiebels über
schmucklosen Knaggen ist für das Hauptgebäu-
de eine Entstehung im 17.Jh. anzunehmen,
während der nördliche, unterkellerte Anbau mit
einem Mansardgiebeldach und den z.T. leicht
gebogenen Schwelle-Ständer-Streben in den
Eckgefachen vermutlich in der 2. Hälfte des
18.Jh. angefügt wurde. Im Vergleich dazu mußte
das südwestlich davon stehende Haus Markt-
str. 2, dessen vortretende Flanke ursprünglich
die Reichenstraße im Osten abschloß, schwere
Einbußen in seiner Bausubstanz hinnehmen. Be-
reits in den fünfziger Jahren durch den Einbruch
von Arkaden im Erdgeschoß gestört, wurde das
1754 von dem Kaufmann und Ratsherren Mar-
cus Heinrich Schröder unter einem großvolumi-
gen Mansarddach errichtete, zweigeschossige
Backsteinhaus 1975/76 im südlichen Teil abge-
brochen und die Fassade mit dem geschweiften
Volutengiebel rekonstruiert. Die ihn bekrönende
historische Knabenfigur aus _Obernkirchener
Sandstein ersetzte man 1995 durch eine Resgplik.
Von der barocken Innenausstattung des Gebäu-
des, das heute das Kreisarchiv beherbergt,
konnten das Treppenhaus mit Bretterdocken-
geländer, eine Stuckdecke sowie eine stuckierte
Ofennische erhalten werden.

Vermutlich von demselben hamburgischen Archi-
tekten entworfen wurde die Fassade des Kra-
nichhauses (Reichenstr. 3), zu dem das eben-
falls zweigeschossige, im Kern auf einen Umbau
des 18.Jh. zurückgehende, jedoch durch Moder-
nisierungen in seinem Erscheinungsbild beein-
trächtigte Haus Reichenstr. 1 überleitet. Die von
der Architektur des 18.Jh. geprägte Gebäude-
gruppe auf dem Grundstück Reichenstr. 3, in
der 1948 zunächst das Kreisarchiv und 1964
außerdem das kulturgeschichtliche und volks-
kundliche Museum des Kreises Land Hadeln
eröffnet werden konnten, setzt sich aus einem
Vorderhaus, einem Zwischenbau und einem dar-
an anschließenden Speicher zusammen. Bei
dem Vorderhaus, benannt nach der bereits
mehrfach ersetzten hölzernen Giebelzier eines
Kranichs als Symbol der Wachsamkeit und des
Fleißes, handelt es sich im Kern um einen ge-
schoßweise abgezimmerten Fachwerkbau, von
dem die Konstruktion im Erdgeschoß überkom-
men ist. Auf seine Errichtung bezieht sich vermut-
lich die Jahreszahl 1696 im Scheitel der Ein-
gangstür (die heutige Tür wurde der früher vor-
handenen nachgebildet). Ein im Innern verbauter
Balken mit gotischer Minuskelschrift gehört viel-
leicht einem Vorgängerbau des 16.Jh. an. Nach-
dem das Haus 1712 in den Besitz des Hambur-
ger Gewürzhändlers Hans Hinrich Radiek über-
gegangen war, lie8 sein Sohn um 1735 den
Zwischenbau und den Speicher errichten. Des-
sen ebenfalls aus Hamburg stammende Witwe,
Elisabeth Radiek, veranlaßte schließlich 1764 den
Bau der repräsentativen, in den Jahren 1960-62
unter Verwendung alter Steine restaurierten
Backsteinfassade, die sich an gleichzeitigen
Hamburger Beispielen orientiert. Flache, über
dem Sockel ansetzende, kolossale Ecklisenen
und die Sandsteinelemente des Giebels — in
Form schräger Abdeckungen im unteren Teil des
Mansarddaches, in seinem oberen Bereich als
geschweifte, in Voluten endende und mit Pinien-
zapfen geschmückte Abdeckung und schließlich
in Form des geschweiften Giebelsteins - bilden
das vornehm zurückhaltende Instrumentarium,

das der mit vierflügeligen Holzsprossenfenstern
unter geradem Sturz in Ober- und Dachgeschoß
sowie rundbogigen Zargenfenstern im Erdge-
schoß stark aufgelösten Fassade ihre klare, Soli-
dität vermittelnde Wirkung verleiht. Neben Trep-
penhaus und Türen des 18.Jh. sind von der In-
nenausstattung vor allem die Stuckdecken in den
beiden Vorderzimmern des Obergeschosses
hervorhebenswert: In dem großen, Östlichen
Raum finden sich symbolische Darstellungen der
vier Jahreszeiten, in dem kleineren, westlichen ist
die Decke mit zwei nach Bienen schnappenden
Kranichen verziert. Im Zusammenhang mit einer
Neukonzeption der Museumssammlung wurde
in diesen beiden Räumen anläßlich einer restau-
ratorischen Befundermittlung zu Beginn des Jah-
res 1996 auf den Paneelen des Lambris eine
Blumenmalerei aufgedeckt, die mit ihrem natu-
ralistisch anmutenden Habitus wohl aus der
1. Hälfte des 19.Jh. stammt.

Hinter dem schmalen Verbindungsbau erhebt
sich über einem Quadrat von neun mal neun Me-
tern der hoch aufragende Speicher, dessen auf-
wendige architektonische Gestaltung nicht nur

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Salon Kemme

Otterndorf, Reichenstr. 3, Kranichhaus

für Otterndorf ungewöhnlich ist. Das einschließ-
lich der Mansarde dreigeschossige Gebäude
wird von Eckpilastern eingefaßt und in der Hori-
zontalen durch breite Bandgesimse gegliedert.
Die Mauerflächen unterteilen Pilaster in einzelne,
von geschweiften Stürzen abgeschlossene Fel-
der: Am Südgiebel werden im Hochparterre drei
Felder mit je einem Fenster in den Außenachsen,
im Obergeschoß vier Felder mit zwei Fenstern
der inneren Achsen und schließlich im Zwerch-
haus des Mansardgeschosses drei Komparti-
mente ausgegrenzt. Die ursprünglich in den
Fußböden vorhandenen Luken waren von Gelän-
dern umgeben, deren kräftige Docken denen
des heute noch vorhandenen Treppenhauses gli-
chen. Als Beispiel eines bedeutenden Handels-
hauses aus der 2. Hälfte des 18.Jh. nimmt die
Bautengruppe des Kranichhauses mit ihrer
künstlerisch qualitätvollen Ausstattung einen
über die Region hinausreichenden Rang ein.

In dem von Landeshäuser Straße und Reichen-
straße gebildeten Zwickel ist nach dem Abbruch
des südlichen Eckhauses an der Reichenstraße
als westliche Begrenzung des ehemaligen Markt-





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