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Heidelberger Zeitung — 1862 (Januar bis Juni)

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Januar
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https://doi.org/10.11588/diglit.2810#0037

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Sk I<»


Lomltag. 12. Zammr



-j-ss Spanissn.

(Schluß.)

Spanien ist Mt auf tem besten Wege, die
eilropälMe Civilisatioll nicht nu.r in die hö-
hezn Schichten der Gesellschaft, sondern in
den Kern des VolkeS einzufl'ihren, nnd die
Masse seiner Bemohner,der trostlosen Stag-
nation zu entreißen, die ste bis vor Kurzem
in der Hauptsache noch auf derselben Dufe
der Unwlffenheit, Unthätigkeit, Rohheit und
Gleichgültigkeit festgehälten hatte, welche ih-
nen vor mehreren hundert Jahren eigen war.
Der Bauer sieht sich dort endljch in die Lage
versetzt, durch seine Arbeft sich selbfi, statt
den Pfarrer, den Mönch und den Gutsherrn
vorwäus zu bringen, und .in guten Jah-
ren seine Producte zu verkaufen, in schlech-
ten seinen Bedarf zu decken. Die Schulen
werden ernstlich gefördert, verschiedene 'öcono-
mische Gesellschaften arbeiten für die Hebung
der Landwirthschaft, dack Steuerwesen ist gut,
das Zollweseu ertrqglich geordnet, Verwal-
tung und Iustiz nicht gerade musterhaft, aber
doch ganz anders, als je zuvor. Auch der
Schulunterricht hat in den meisten Provinzen
erfreuliche Fortschritte gemacht. Die Forma-
tion des Verfassungslebens, die Oeffentlichkeit
und Verantwortlichkeit, bilden ein zuverlas-
siges Fundament, und eine jetzt ziemlich ge-
regelte Ordnung des Staatshaushaltes sichert!
dem Beamten den Gehalt und dem Arbeiter
den Lohn. Jener ift nicht mehr zur Bestech-
lichkeit und zum Unterschleife, dieser nicht
mehr zum Schmuggel und Banditenwescn ge-
nöthigt. Die Unsicherheit der Straßen hat
aufgehört; der Kaufmann braucht zu Lande
m'cht mehr den Näuber, auf der See uicht
mehr d/n Piraten zu fürchten, und Versiche-!
rungs-Gesellschaften aller Art bieten ihm die!
hülfreiche Hand dar. Endkich hat das poli-
tische Leben, namentlich seit dem entfcheiden--
den Einfluffe des Marschalls ODonnel, die
bedeutsamsten Fortschritte gemacht. Eine li-
berale Union verschiedener' politischer Parteien
hat seit sechs Jahren mehr nnd mehr die
Entscheidung in atten Staatsfragen in tie
Hand genommen. Es ist die'ser Umstand
gerade sür Spanien von besonderem Werthc,
wo stets die persönü'che Neizbarkeic, di?
Neigung zu schroffeu Ertremen nnd selbst
Zersplitterung der Gleichgesinnten in unver?
söhnliche Fractionen und Coterien das -'Ge-
meinrvesen früher so öft in's Verderben ge-
fiürzt hatte. — Wenn nun in diesem Lande
die Verständigen von den verschiedenen poli-

tiMen Parteien nach lgflgem Hqder einander
hffe 'r^iche^, And MröAessisten ülld' Mo-
Zlergdps K. Dempk.ra.ten nqp C.öustitutlo-
nellk) die praktischen Interessen den sonftigen
Principien streitigkeiten voranstellen, und eine
kr.qftlgk'N^gMüng zMeich stüßen üffd trei-
ib^n, so dtjrfen wir in Wem dieffm wyhl ein
Svmptvm der moralischen Genesung erblicken.
— .Döch fchlen aüch dem Lichte die Schat-
jssn nicht stnd es unterliegt ,'mmexhin köinem
Zweisel, dqß alle .die grpßen KortMrjUe der
letzten Jahrzchnte auch von erheblichen Miß-
ständen beglfttet sind. Hierher gehört beson-
vers die 'grosie , Käst - .H'MtniDr.Bea'chkch,
aus bohen uyd nieveren Graden, welche 'vor-
mals nicht das Mter, sondern die Politik bei
Hk/te geschoben 'bät; die llnüerhchtnißinäßig
Vielen höhen ^ssiiciexe m ver Är'mee (IZI^
zählre 'män'nur'700'^Geüer'alej)' ü! s. w.

Sehr viel ist immerhin in manchen Zweigen
der Verwaltung noch zu thun , nckd die ger«
manische Orvnulrg und Pnnktlichkeit isi in
Spanien noch nicht zu Hause.

Aber einen gedeihlichen Fortschritt sehen
Wir vorhanden, und es ist nur M wrrüschen,
daß Spanien eben durch diesen Fortschritt sich
nicht verlocken läßt, über seine> ihm durch na-
türliche Verhältnisse angewiesecke Sphäre hin-
auszugreifen, und den mühfamen Edwerb von
Iährzehnten nicht etwa in einem voreiligen
Kriege zu vergeuden. — Spanien -gehe daher
vor Mlem in der italienischen, namentlich
maürlschen Frage bebntsam zn Werke und
lasse in dem jetzigen freundschäftlichen Ver-
hältnisse zu Fraükreich — welchös ihm in
früheren Zeiten gerade keinc besonderen Vor-
theile, vielmehr häufig nur Nachtheile gebracht
hät — die nöthige Vorsicht nicht aus den
Ängen.

D e u t. s ch l a n d.

- Kstrlsruhe, S. Jan. Sk. Kömgl. Hoheit
der Grvßherzog haben den als LieuteriaNt in
k. k. österr. Dl'ensten gestandenen Franz v.
Rinck zum Llentenant im 2. Inf.-Regiment
ernannt.

Karlsruhe, 9. Ian. Nach der „I. Pr.
Ztg." ist ber badische Legätionssecl-etär Dr.
Bohlen-Hallbach, welcher mehrere Iahre hin-
durch bei der badischen Gesaktdschaft in Ber?
lin fungirte, in gleicher Eigenschaft zur bad;
' Gesandtschaft in Paris versetzt worden.

Karlsruhe, 9. Ian. Der Schw. Merk.
schreibt von hier: Der Vollzug des mit dem
Erzbischof geschlosienen Uebereinkommens wird

schwerlich in nächster Bälde ins Leben treten,
da noch gar manche Fragen vorher zwischen
der Regierung ünd dem Erzbischof gelöst wer-
den müssen. Dahin gehört vor Allem dre
Zusammensetzung des Oberstiftungsrathes, der
dem Vernehmen nach nicht in Freiburg, son-
dern hier seinen Sitz haben soll. Ueber,die
Person des Direktors diefes Collegiums' ist
noch keine Uebereinkunft getroffen. Daher
kommt es denn auch, .daß nur diejenigen
Pfarrstellen, die der Erzbischof allein zu be-
setzen hat, bis jetzt zur Besetzung ausgeschrie-
ben sind.

Darmstadt, 9. Ian. Jn der Unter-
suchungssache gegen den Nedacteur des vor-
maligen „Hessischen Anzeigers", Buchdrncker
Iacobi dähier, wegen Vergiftung seiner Ehc-
frau, hal der Criminal-Senat des Hosgerichts
den Angeklagten zur Aburtheilung vvr die
Assisen verwiesen.

Frankfurt, 8. Jan. LautTelegramm von
Berlin ist Dr. Faucher, dcr in Berlin wegen
der Mllitärfrage dem als Fachmann wichrigen
Major Steinhardr weichen mußte, heute rn
Delitzsch zum Abgeordneten gewählt worden.

Atainz, 8. Ian. Die „Mainz. Zrg."
bringt zwei, angeblich „authcntische" Mitkhei-
lungen über das vielbrsprockene Veteranen-
fe st. Wir entnehmen dem" cinen Artikcl fol-
gendes Thatsächliche:

„Es ist eine Lüge, daß das Bild Napoleons in Le-
beusgröße im Saale angebracht gewesen sei; es hing
daselbst nur daS Brustbild deffclbeu.^ ^>ie ^strahlende

rirt war. Es ist eine Lügc , daß dcr Bürgermeister den'
franzöfischen Consul eingesichrt habe. Hr. Göpp war viel
früher im^Saale anwesend, als Hr. Bürgermeister Schmitz,

der Bürgermeister, Hr. Schmitz, schou um 4 Uhr Nach-
mittaHö verlteß; btö 6 Uhr hatte fich dte ganze Gesell-
fchaft bis anf Wentge zerstreut."

Die Berliner „Volksztg." theilt in ihrem
neuesten Blatte die Widersprüche der beiden
Mainzer Blätter gegen den Arkikel der „Volks-
ztg.": „Vom Mittelrhein" mit, und bemcrkt
dazn (als Anmerkung der Redaction): Die
Correspondenz „Vöm Mittelrhein" hatle
einen angeschenen Mann am Rhein zum Ver-

Der LLebesb r L e f.

Noöeiette von E. Reher.

Ein junges Ehepaar kam vom Casinoballe in
Frankfurt an der Oder zurück, und Adalbert hob
die schöne Malvine, seinc Gattin seit drei Mona-
ten, in dcn Wagen. Hinter ihnen schallte nochpie
Tanzmusik, der Ball war nicht zu Ende, aber die
junge Frau hatte nicht länger bleiben wollen. Sie
drückte sich in die Ecke des Wagens und hüllte sich
frosng in ihren Pelzmantel.

Adaldert nahm ncben ihr Platz, nachdem ev.sich
überzeugt hatte, daß dcr Wagen geschlossen war.
Er wollte ihre Hand faffen, um sie zu küssen, aber
er konnte keine sinden. Die betden Hande waren

„Du warst heute wiknderschön, Malvine", sagte
er. „Der blaue SUbcrflor stand herrlich zu Dci-
nem Silberdtadem- Wie freue ich mich, dqß ich
Dir das Kleid ausgesucht habe."

Sie antwortete nicht. Nach- einer Weile fragte
er: „Schläfst Du?"

„Nein", ertönte ihre süße Stimme.

Adalbert schwieg wieder eine Weile, dann sagLe

s cr: „Du hast Dich heute recht angenehm unter-
l halten mit dem Professor aus Berlin und wenig
> getanzt. Wie heißt er doch?"

! „Faust", entgegnete sie.

^ „Faust? Das tst ein ominöser Name, da ist
! äuch Mephistopheles nicht weit. Er fieht aus, als
! wäre et B'eides in einer Person, so lauernd auf
! eine arme Seele, und als ob er Gretchen durch die
Lüfte entführen wollte. — Du siehst, ich kann auch
von Literatur reden. Schiller und Göthe kenne ich
schon, aber nicht Deine Engländer, den Byron,
den Dickens ünd wie sie alle heißen. Jch lese nur
die Titelblätter, weil ich kein Englisch kann, und
mein Franzöfisch habe ich auch schon wieder ver-
geffen." Malvme antwortete wteder nicht; unter-
dessen röllte der Wagen über die lange Odcrbrücke.
Adalbert sah, wie scine Frau in den herrlichen
mondbeglänzten Htmmel schaute, an deffen Hori-
zont weiße Segel wic Lufterscheinungen schwebten;
es wäre ihm aber lieber gewesen, wenn sie ihm ge-
antwortet hätte.

Endlich hielt derWagen vor einem der schönsten
Häuser der Dammvorstadt, dessen Balkon dic herr-
lichste Aussicht über den Strom und die ihn um-

gebenden bewaldeten Hügel gewährte und vergessen
ließ, daß hier die sandige MLrk Brandenburg ist.
Adalbert fprang aus dcm Wagen, um Malvine
herauszuheben, aber sie war früher heruntcr, als
er kam, und eilte schnell die Treppe hinauf. Als
fie die Thür ihres ZimmerS öffncte, rief sie un-
willkürlich aus: „Ach, wie schön ist es hier!"

Sie hatte Recht dazu, denn ein kleines Paradies
lag vor thr: Jn dcr Ephculaube am Fenfter stan-
den blührnde, tropifche Gewächse, ein Orangen-
baum hauchte süßen Duft ans, und die beiden hohen
Gummibäume an Malvincn's Schreibtisch schienen
sich in ihrem südlichen Vaterlande zu befinden, so
grün und kräftig warcn ihre Blätter in dieserkünst-
lich erwärmten Atmosphäre, wo Mondenlicht und
Lampenschimmer eine zaubcrische Helle verbreiteten.

Die Zofe brachte die summende Theemaschine,
Malvme setzte sich an den kleinen runden Tisch vor
dem Divan, um Thxe zu bereiten. ,>Willst Du
eine Taffr, Adalbert?^ fragte sie.

„Danke", versetzte er; ich will jetztzuBett gehen;
willst Du dies nicht auch?"

„Ach, ich habe heute Abend so viel gehört, ge-
dacht und mnß noch aufbleiben, um mein Gemüth
 
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