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Heidelberger Zeitung — 1862 (Januar bis Juni)

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April
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Widelbtrgrr Ieilung.

N 86


Freitag, 11. April

Bestellungen auf die Heidel-
berger Zeirung für das zweite Quartal
werden sowohl bei allen Großh. Postämtern,
als auch für hier bei der Erpedition d. Ztg.
angenommen.

Z DLe hundertjahrige Geburtsrags-
feier des großen -eutschen PHLloso-
phen und Patrioten Fichte

wird am 19. Mai d. I. auf allen bayeri-
schen Universttäten festlich begangen werden,
wührenv man im übrigen Deutschland nir-
gends Miene macht, den Dank und die Ver-
ehrung, die wir ^dem großcn Denker, dem
edlen, ächt deutschen Mann, dem kühnen Vor-
kämpfer unserer Freiheit, unserer geistigen
sowohl als unserer politischen, schuldig sind,
durch eine ähnliche Feier kundzugeben. Ist
Fichke ein bayerischer Philosoph, ein bayeri-
scher Patriot gewe>en? Gehörte sein ganzes
Leben und Wirken nicht der gesammten Na-
tion? — Es ist ein alter und gerechter Vor-
wurf, den man dem deutschen Volke macht,
daß es seine großen Männer im Leben miß-
kcnnc, vernachlässige und oft in Noth und
Armuth verkümmern und untergehen laffe,
um ihnen nach ihrem Tode als Ersätz für
ein gequältes, kummervolles Dasein kostbare
Monumente zu errichten. Auch Fichte hat im
Leben viel Verfolgung und Anfeindung und
sehr wenig Lohn und Anerkennung gesunden;
allein ihm ist die Nation auch nach dem Tode
nicht gerecht geworden; ich will nicht davon
sprechen, daß man vergessfn hat, welche große
Verdienste Fichte^um die deutsche Wissenschast
stch erworben, indem er zuerst den Kampf
aufnahm für die Lchrfreiheit an den deutschen
Universitüten gegen die mittelalterliche Pevan-
terie unb die starre, hartnäckige Orthodorie,
welche sich damals der hohen und niederen
Schulen vollständig bemächtigt hatten; ich
will nicht auselnandcrsetzen, welche hohe Be-
deutung der Fichte'sche Zdealismus für die
geistige Entwicklung des deutschen Volkes ge-
habt hat; die „philosophische Nakion<' ist noch
nicht phiiosophisch genug, um Fichte nach die-
ser Seite hin würdigen zu kvnnen ; allein däß
man auch seine großen politischen Thaten
hat vergessen können, vaß man selbst in un-
serer Zcit des wieder erwachenden politischen
Lebens und des nationalen Geistes sich nicht
erinnert,'wie viel wir Fichte in dieser Rich-
tung verdanken — ist das nichr Undank, bie
größte Sünde, deren ein Volk sich schuldig

machen känn? Viele werden hier fragen, welche
Thaten ich meinc; in den Geschichtsbüchern
steht ja nirgends zu lesen, daß er Heere ge-
führt und Schlachten gewonnen; ihnen sei
gesagt: Fichte war der kühne deutsche Mann,
,der im Iahre 1803, als Deutschland in tief-
ster Erniedrigung dem französischen Kaiser
und seinen Generalen zu Füßen lag, als
Preußen zertrümmert, von den Franzosen
occupirt und gleich einer eroberten Provinz
ausgesaugt und mißhandelt wurde, den Muth
nicht sinken ließ und ohne Furcht vor den
argusäugigen Spionen bes Weltbeherrschers
die Auferstehung der deutschen Nation und
den endlichen Sieg über die übermüthigew
Unterdrücker weissagte. Er that dies in je-
nen Reden, die der glühende Odem eines ent-
rüsteten Patrioten durchweht, die von der
heiligsten Begeisterung für die nationale Sache
eingegeben, daffelbe Gefühl in Tausenden er-
weckten, den deutschen Zorn anfachten und
die fast erstorbene Hoffnung neubelebten. Es
sinb die „Neben an bie deutsche Nation," ge-
halten in Berlin vor großen Versammlungen,
fast unter den Augen dcr französischen Ge-
walthader, jedenfalls mit der größten Gefahr
für Freiheit und Lebcn. Viele Männer, welche
später hervorragende Rollen im großen Be-
freiungskriege gespielt haben, warcn damals
Fichte's eifrige, begeisterte Zuhörer; wie Man-
chen mag er entflammt, wie Manchen in küh-
nen Entschlüffen bestärkt habenü Das Iahr
1813 kam; ber Kampf begann, wie Fichte
vorhergesagt; Fichte's Körper warmicht mehr
zum Kriegsbienste tauglich; aber die geistige
Waffe schwang er mit jugendlichem Feuer ge-
gen ven fremden Despoten. Alls Berlin nach
bcn ersten Schlachten mit verwundeten unv
kranken Kriegern überfüllt war, da opferte
Fichte AUeS auf, die Leiben, die Noth dieser
Unglücklichen zn mildern; der edle Philosoph
und scine Frau übernahmen die Krankenpflege
persönlich in einem von ihnen mit größter
Aufopferung errichteten Läzareth; als der
Typhus unter seinen Pfleglingen ausbrach,
wollte man ihn entfernen, umsonst; auch sein
Leben setzte er ein für das, was ihm als
hcilige Pflicht erschien: die anstcckende Krank-
heit ergriff ihn und er sollte ihr erliegen, nach-
dem nicht lange vorher auch seine Gattin das
Opfer ihrer patriotischen Begeisterung, ihrer
fast übermenschlichen Selbstveriäugnung ge-
worden war. Welch' ein hohes sittliches
Ideal liegt nicht in diesem Leben, in diesem
Ende! Wir bewundern den Krieger, der von
der mächtigsten Leidenschaft ergriffen, fortge-


rissen von-den kolossalen Eindrücken derSchlacht,
den gewaltigsten Erregungen aller Kräfte sich
Ln den Tod stürzt; wie viel mehr müffen
wir den bewundern, der ruhig, von kemer
Leidenschaft getrieben, taglich und stünblich
den Tod vor Augen sieht; der. mitten unter
den entsetzlichen Bilbern des äußersten Elendes,
wie ein Lazareth sie darbietet, nie ermattet,
bie heilige Begeisterung nicht verliert, unter
den widerwärtigsten und prosaischsten aller
Eindrücke und so mit kaltem Blute sich nicht
dem Tobe entgegenstürzt, sondern ihn lang-
sam herankommen sieht, ihm 'erst Ln die furcht-
baren hohlen Augen schaut, ohne zu beben
und abwartet, bis es ihm gefällt, die Qual
zu enden! Dazu gehört des Mannes ganze
Kraft, des Helben höchster Muth und des
Menschen heiligster Glaube an die Tugend
als das höchste Ziel! darum können wir wohl
sagen, von Allen, die für das Vaterland ge-
storben sind, hat keiner an Helbenmuth den
beutschen Philosophen Fichte übertroffen! Und
wir sollten sein Anbcnken nicht heilig halten,
uns nicht aufrichten an bem hohen sittlichcn
Vorbilde, daS er uns gegeben durch seine
Lehre und sein Leben!'! Wahrlich, dann wären
wir nicht mehr werth, daß Männer vom höch-
sten Werlh wie Fichte auch nur einen Tag
für uns opferten!

BadLscher Landtag.

Karlsruhe, 9. April. 36. öffentl. Si-
tzung ber zweiten Kammer. Vorsitz: Hilde-
brandt. Am Negierungstische: Gkheimerath
Weizel, Wasser - und Straßenbaudirektor
Bär und Ministerialrath Muth. Das L-e-
cretariat zeigt den Eingang von Peti/iouen an
und zwar der Äerzte aus Sittsheim um Frei-
gebung ber ärztlichen Tare, sodann solche um
Straßenbau, 3 um Eisenbahnbau von Donau-
eschingen über Freiburg nach Breisach und 2
um Kinzigthaleisenbahnbau. Die Kammer be-
ginnt die Verhandlung des Budgets des Han-
delsministeriums: Tit. I. Ministerium. An-
trag: Bewilligung von 32,725 fl. für jedes
Iahr. Angenommen. Tit. 11. Für Beförbe-
rung der Gewerbe und des Handels. Anträg:
die in jedem ber beiden Budgetjahre gefor-
derten 35,075 fl. zu genehmigen. Knies
rügt, daß man aus der Negierungsvorlage
nicht erkenne, zu welchem Zwecke einzelnen
Gewerben Unterstützungen gegeben werten;
diese' sollten künftig überhaupt wegfallen;
jede Verwendung dürfe nur der Allgemeinheit
der Gewerbe zu gut kommen. Geheimerath

Ein Stückchen vom alten Blücher.

(Fortsetzung.)

Die Nation verehrte ihn als Retter des Vater-
landes, und sein Bild, znsammengetragen aus den
hundert Geschichten, die ein jeder der zurückgekehr-
ten Krieger von dem alten feuer- und kugelfesten
Marschall zu erzählen wußte, trug damals ein jeder
Bürger als eine gebenedeite Reliquie in dem in-
nersten Schrein seines Herzens.

Diese Verehrung war so groß, daß sie sich selbst
" auf Alles übertrug, was mit dem geliebten Helden-
führer in irgcnd einer Verbindung gestanden hatte;
und so konnte es denn' auch nicht fehlen, daß der
vormalige Reitknecht Blücher's, der alte invalide
Huber, in dem kleinenStädtchen, in welchemer scin
kärgliches Gnadengehalt verzehrte, die "allgemeinste
Brachtung fand. Namentlich war es die Schul-
jugrnd, die ihm die größte Hochachtung widmete,
und wenn der Veteran an großen Festtagen in seiner
rothen fadenscheinigen Uniform in den Straßrn er-
schien, fehlten ihm die jugendlichen Adjutanten nicht,
die nach der Auszeichnung lechzten, durch irgend
einen Befehl von ihm beehrt zu werdcn. Der Alte

war übrigens für die Knabcn, die sich so gerne in
seine Umgebung drängten, nicht leicht zugänglich,
und es gehörte viel Ausdauer und Zähigkeit dazu,
sich seine Bcachtung zu gewinnen.

Der Verfasscr dieser Mittheilung, damals ein
zehnjähriger Knabe, kam zuerst durch die Pferde
seines Vaters, die der ehemalige Husar täglich einer
genauen Inspection unterwarf, mit ihm in cine
nähere Berührung, die dem Alten manchen Labe-
trunk aus der Speisekammcr der Mutter und auch
manche Pfeife Tabak aus dem Tabakskastcn meines
Vaters eintrug. Ich war bald sein beneidetcr Günst-
ling und durfte mich seiner hohen Person zu jeder
Zeit und ohne Beachtung der von ihm für andere
Knaben eingeführten Etikette nahen. In qieinen
Freistunden war ich sein beständiger Begleiter, und
wenn er, um zu angeln, unter den alten Weiden
saß, die den fischreichen See des Städtchens um-
gaben, so fehlte ich. selten an seiner Seite. Ich
grub für ihn Regenwürmer oder sammelte ganze
Schachteln voll Käfer, die tr als Lockspeise für die
Fische brauchte. Dafür mußte er mir Blücherge-
schichten, Geschichten von seinem Rittmcister erzäh-
lcn, denn der Feldmarschall Fürst Blücher war für

marschalls.

Von den unzähligen Blüchergeschichten, die ich
dem alten Schnurbarte abprcßte, erzähle ich die
nachstehende, weil sie so recht dcutlich zeigt, aus
welchem Holz der Mann gcschnitzt war, an drssen
Titanengröße zunächst dik Herrlichkeit des erften
französischen Kaiserreiches zerschcllte. Zum allge-
meinen Verständniß muß ich jcdoch der Erzählung
meines Altcn einige Worte vorausschicken.

Das v. Belling'sche Husarcn-Rcgimcnt, das sich
unter seinem tapfern Chef tm sicbcnjährigen Kriege
unverwelkliche Lorbeeren errungen hatrc, wurde nach
dem Frieden nach Hinterpommern bcordert. Eine

Schwadron garnisonirte in N.g, „cinem von

Gott'vergcssenen Rattennest", wie es mrin Alter
zu nennen pflegte, das in seiner damaligcn klcin-
bürgcrlichen Abgcschloffenhcit dcn an cin wildbe-
wegtcs Leben gewöhnten Offiziercn der Schwadron
wenige Zerstreuungen bicten konnte. Zu Ende der
sechziger Iahre des vorigen Iahrhunderts und wohl
 
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