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Heidelberger Zeitung — 1862 (Januar bis Juni)

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Februar
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N- L3


Donnerstag. 2«. Februar L8S2.

Die nationale Fraqe steht an einem jener
Entscheidunqspunkte, die, nur für den Augen-
blilk entscheibend und für die Zukunft frucht-
ly^, in langer trostloser Reihe sich durch die
deutsche Geschichte hinziehen. Verwirrt und
in unklarem Gemenge haben bisher die Prä«
tensionen einzelner Regierungen mit einander
und unter einander gekämpft; List und Schlau-
hfit, Verheißungen und Vorspiegelungen, Täu-
schungen und Enttäuschungen, was haben wir
Nicht alles erlebt! Hier ward prcußische Ver-
grhßerungssucht verhöhnt, dort die kleinstaat-
liche Anmaßung einer nicht berechtigten Eri-
stenz bespöttelt, dort wieder österreichische Aus-
beukung der deutschen Nation zu Habsburgi-
schen Zwecken angeklagt; und seder Hohn und
jeder Spott und jede Anklage von jeder Seite
her vermochte sich auf überzeugende Gründe
und auf den traurigen Beweis der Erfahrung
zu stützen. .Preußen kann nur bestehen, wenn
es zu Deutschland wird; Oesterreich besorgt,
sich vor dem Zerfall nicht wahren zu können,
wenn Deutschland ihm nicht seine Kräfte leiht.
Fürstengeschlechter wollen ihre Herrschaft „bis
an der Welten Ende" erhalten; Großstaaten
wotten das Mark ihrer Größe aus Deutsch-
lands Blut und Lebenssaft erneuen: aber von
der dcutschen Nation ist bei alle dem nie die
Rede. Es ist als ob es all diesen Freiern
um Deutschland nicht darauf ansäme, die Nei-
gung emer Braut zu erwerben, sondern die
Dienste einer Sclavin zu erobern.

Jm Iahre 1859 rief Oestcrreich die Macht
Deutschlands auf, fast als sei ste sein zum
Gehorsam geborener Heerbann, um Italien im
Ioch zu halten. Die Deutschen hätten wohl
den Kampf gegen Napoleon gewollt, aber nicht
Vie Niederdrückung der Italiener; an diesem
Widerspruch und Gegensatz erlahmte die Sym-
pathie der Deutschen für einen Krieg, den so-
dann nicht die Uebermacht der Sieger, son-
dern das Ungeschick der Besiegten zu Ende
führte. Preußen hätte die Gnnst des Augen-
blicks, der den Nebenbuhler nm Die Obmacht
in Deutschland kraftlos niederwarf, zur raschen
Krönung seiner hundertjährigen Kaiserpläne
benutzen können; Oesterreich wenigstens hätte
sich gewiß eine so gute Gelegenheit nicht ent-
gehen lafsen, das hat das Beispiel von 1850
gezeigt: aber zu solchen Wagnifsen war Preu-
ßen zu schwach oder zu redlich, wie man es
nennen mag; in der Weltpolitik sind beide
Eigenschaften oft, wenigstens im Erfolge,
gleichbedeutend, und wer von der Redlfchkeit

Friedrich H. die Größe Preußens ableitet, der

-- irrt sich. Preußen schien aber zur sel-

ben Zeit einen Anlauf zu nehmen, um die Zu-
neigung der deutschen Nation, eine wahrlich
nicht schlver zu erobernde Veste, iin Sturm
zu gewinnen; man nannte das: „moralische
Eroberungen". Es kam aber nicht über den
ersten Anlauf hinaus. Man hatte zu Berlin
weder gegen die dent.schen Regierungen den
Muth rasch zuzugreifen', noch gegenüber dem
deukschen Volke die großartige Entschloffenheit,
es durch ein vollwichtiges Aufgebot von Necht
und Freiheit zü sich herüber zu ziehen; man
schwankte zwischen Beiden hin und her,-wollte
das Volk gewinnen und doch vom vergr'lbten
Mantel dxs Gottesgnadknthttms kein Zipfel-
chen abschneiden, die Regierungen unter eine
preußische Führerschaft uöthigen und ihnen
doch den Schein des freien Wiüenö laffen,
Man wollte Alles und nichts. Die Folgen
treten nun endlich blendend hell vor die star-
renden Augen der überklugen Herren; und ist
es auch noch zu früh, Preußen mit einem
„zweiten Tage von Olmütz" bedroht zu er-
kläxen, so hat das Ministerium ischwerin
dpch daS herrliche Ziel erreicht, daß Preüßen
so verlassen steht von den Regierungen wie
vereinsamt in der Nation. Oesterreich be-
kämpft in ihm den alten Feind, den es um
so mehr haßt, als seine Fcindschaft sich nie
bis zu einer That versteigt; die Mittelstaaten
haffen in ihm den sich ausdrängenden Führer,
den sie höchstens als ebenbürtig anerkennen;
und die Nation, — die Nation fragt, was
Preußen für sie gewollt und gethan hat und
welche neue Formen der Eristenz es ihr ge-
Währleistet, bevor sie sich cntschließt, zu seinen
Gunsten alte Zustände zu zerstöreu.

Es ist wirklich ein scltsam Ding um die
preußischen Führerschaftsgelüste. Dies Preu-
ßen will die deutsche Nation unter seinem
Banner einigcn, und als das einzige Mittel
zu diesem Zweck gebraucht es diplomatische
Noten, in denen es durch Paragraphen von
Verträgen und Artikel von Bundesgrundge-
sehen den pedantischen Bcweis führt, daß die
deutschen Negierungen berechtigt sind, sich zu
einem engeren Bundesstaat innerhalb des deut-
schcn Bundes zu verschmelzen. Und wenn
nun dies durch Urkunden und Zeugen bis zum
Erfüllungseid und darüber hinauS bewiesen
wäre, waS weiter? Die Regierungen mögen
immerhin kazu berechtigt sein; aber Nicmand
ist verpflichtet, von seiner Berechtigung Ge-
brauch zu machen. Die Negierungen dürfen,
aber sie wollen nicht; sie erkläreu, daß sie

nicht wollen. Damit hat die Sache ein Ende,
und das politische Rechenerempel wird durch-
strichen. Das deutsche Volk ist nicht gewon-
nen, die deutschen Regierungen aber abge-
stoßen; die moralischen Eroberungen sind nicht
gelungen, die kriegerischen unterbleiben. Was
wird nun Preußen thun? sich bis auf bessere
Zeiten in den Mantel der Enthaltsamkeit hül-
len, und die Deutschen anklagen, daß sie ihr
Glück zurückgcwiesen? Solche Nolle wird ihm
ebensowenig in der Nation Zutrauen erwer-
ben, als die Vergrößerung feines Heeres ihm
wirkliche Macht zugewendet hat.

Das Schlimmste für das preußische Cabinet
ist aber, daß die Beweisgründe, die es erfun-
den,.die politische Schöpfung, die es entwor-
fen und vorgezeichnet, jetzt von seinen Gegnern
Ln die Hand genommen und weit beffer benutzt
werden, als man es zu Berlin vermochte.
Der neue engere Bund, den zu stiften bisher
Preußen als in Rechten erlaubt verkündigte,
ihn wollen jetzt die Mittelstaaten mit Oester-
reich schließen; und mit welchen Rechtsgrün-
den vermöchte Preußen zu bestreiten, wofür
seine Radowitz und Bernstorff beharrlich ins
Feld des Notenwechsels gezogen? Was mit
Preußen Nechtens war, kann mit Oesterreich
nicht Unrecht sein. — Preußen wollte mit den .
anderen Staaten einen engeren Bund, deffen
bloßes Bestehen schon Oesterreich aus Deutsch-
land herausgedrängt hatte; wenn diese anderen
jetzt einen solchen Bund mit Oesterreich wol-
len, kann Preußen seinerseits sich nicht be-
schweren, daß es durch ihn von Deutschland
abgerissen werde. Was Einem recht, ist dem
Andern billig; als Staaten betrachtet, und
lediglich vom politischen Standpunkte aus,
hat Preußen keinen Vorzug vor Oesterreich
bei den lHutschen Regierungen zu beanspruchen.

Das ist die unvermeidliche Folge jenes
schwächlichen unklaren Berliner Systems, das
auf ein Ziel nur mit dem Finger zu deuten
wagte, anstatt darauf den kräftigen Gang zu
richten; das ist die Folge davon, daß man
den Zweck will und die Mittel scheut; das ist
die Folge davon, daß Preußen sich an Ven
realen Egoismus statt an die ideale Begeiste-
rung, daß es sich an die Regierungen statt an
das Volk gewend'et. (Schluß f.)

Badischer Landtag.

^ Karlsruhe, 18. Febr. Jn der heu-
tigen Sitzung der zweiten Kammer wurden
zunächst folgende Petitionen angezeigt:

1. Von mehreren Bürgern der Stadtge-

ProceH Dumollard.

Eröffnet zu Bourg am 29. Ianuar.'

(Fortsetzung.)

Jm vergangenen Mai begegnete ich ihnen auf
dem Platz Bcllecour und vernahm sogleich von
ihnen, sie kennten eine hübsche Person, die außer
Dienst treten wolle und täglich über die Brücke käme.
Sie fügten bei: „Wemr wir sie kriegen können,
muß sie in den Wald von Eote-Enperse gelockt wer-
den; dort soll sie ihr Theil bekommen!" Einige
Stunden hatten wir gewartet, als mir der Eme
ein Mädchen zeigte unv ausrief: „Das ist sie!" Es
war Marie-Pichon. Ich näherte.mich ihr und machte
ihr ganz die Vörschläge, wie sie angegeben hat.
Wir hatten uns verabredet, uns im Bahnhof vor
dem Nachtzuge zu treffen. Ich machte rhncn ein
Zeichen des Einverstanvmffes, wurde dann mitder
Pichon einig und folgte thr, um ihren Koffer ab-
zuholcn. Gcgen 7 Uhr- waren wir im Bahnhof.
Meine zwei Leute stiegen in denselben Wagen, ohne
mich anzusprechen. ElN Gendarmerte-Wachtmeister
saß im nämlichen Coupe. Beim Aussteigen stieß
mick der Eine an und raunte mir zu, ich solle voraus-
gehen. Jch hielt eS für gerathen, nicht die Heer-
straße zu verfolgen, sondern mich mitten in die Fel-
der zu werfcn. Unterwegs legte ich den Koffer, ber
mir zu schwer wurde, in einem Repsfelde ab. Wir
kamen dann nahe an dem bezeichnelen Wäldchen

vorbei; da ich aber die Leute nicht bemerkte, wurde
ich unruhig. Auch die Pichon zeigte eine gewisse
Beängstigung. Schon mehrmals hatte sie mich ge-
fragt, ob wir nicht am Ziele seien, bis sie auf ein-
mal erklärte, jetzt gche sic keinen Schritt weiter.
Jch wollte sie erft niedersitzen lassen, um meine Leute
zu erwarten, dachte aber wieder, irgend ein Hin-
derniß habe sie aufgehalten. Ich fage mir also:
„Desto besscr! sie sollen sie nicht haben! Jch wtll
ihr Furcht einjagen!" In diesem Augenblick warf
ich ihr nicht eine Schlingc, sondern meine Arme
um dcn HalS. DaS Mädchen stieß mich kräftig zu-
rück, sticß einen Angstschrei aus und entsprang. Ich
folgte ihr nicht, sondern dachte nochmals: „Desto
besser für fie!" DaS Einzige was ich that, war,
daß ich dcn Schirm und den Carton, die sie fal-
len gelassen, nebst dem Koffer zu mir nahm. Zehn
Minuten später stieß ich auf meine Genossen. Als
ich ibnen die Geschichte erzählte, sagten sie: „Gut,
wir kriegen sie schon auf ein andermal!"

Jetzt habe ich Alles gestanden und weiß keine wei-
teren Enthüllungcn zu machen." —

Nach dieser Ernschaltung kann das Hauptverhör,
dieser allerdings ungleiche Zweikampf der französi-
schen Präsidenten mü den Angeklagten, kürzer ge-
faßt werden, zumal da Dumollard bei dem Ammen-
mährchen von den beiden Unbekannten hartnäckig
stehen bleibt. Seine Haltung dabei gibt den Ein-
druck einer Mischung von Dummdreistigkeit, Pfiffig-
keit und Tüche. Seine Redeweise darf man natürlich

nicht nach den vom Untersuchungsrichter redigirten
Protocollen bemeffen; seine Ausdrücke sind theil-
weise grob und pöbelhaft und manchmal schwer
wiederzugeben. Seine Familie anlangend, so wird
conftatirt, daß sein Vater, ein geborner Ungar,
Frankre,ich verlassen hat und in Venetien gehängt
worden ist. Mit seiner Frau .ist er seit 1840 ver-
heirathek. Wir geben in Folgendem einenBegriff
von seinem Vertheidigungssystem. Es handelt fich
zunächst um Marie Pichon. Nachdem er seine be-
kannten Erklärungen wicderholt, fragt ihn der Prä-
fident, warum er den Weinbergspfahl ausgerissen
habe?

Antwort: Es war Etwas, was mich ängstigte.
Jch will es Ihnen nachher sagen.

Vorhalt: Warum nicht gleich? Jetzt' ist es an
der Zeit!

Antwort: Nein, Sie sehen die Sache nicht, wie
fie ist.

Nachdem der Präsident ihm die ganze Sache noch-
mals vorgehaltcn, versetzt Dumollard mit großer
Kaltblütigkeit:

Erlauben Sie, die Sache zu erzählen, wie fie ist.
Ich war allerdings an jenem Tage an der Brücke
von Guillotin, aber die beiden Leute waren auch
da!

Prasident: Wer find diese Lcute?

Antwort: Ei, wer anders als die Mörder, die
beiden Herren, die mir die Effecten gaben, damit
ich ihnen Mädchen zuführte. . . Wenn ich einen
 
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