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Heidelberger Zeitung — 1862 (Januar bis Juni)

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April
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Undelbergtr Irilung.

N;: 82.


Bestellungen auf die Heidel-
berger ZeitUNg für das zweite Quartal
werden sowohl bei allen Großh. Postämteru,
als auch für hier bei der Erpedition d. Ztg.
angeuommen.

§ Herr v. Beuft und der Fortschritt
in Preußen.

Man glaubte bisher allgemein, die „neue
Acra", welche eine so kurze Dauer und ein
so kiägliches Ende gehabt, sei eine^Zeit, wenn
auch nicht dcs Fortschritts, so doch des Fort-
schreitenwollens gewesen, bis uns endlich
Herr v. Beust durch sein Organ (die ofsicielle
Dresdener Zeitung) darüber belehrt, wie sehr
wir im Jrrthum waren, und uns erklärt,
daß die allerneueste Aera (das Ministerium
Hohenlohe-Iagow) eigentlich erst den wahren
Fortschritt gebracht habe und noch ferneren
Forlschritt verbürge. Das genannte Blatt
nämlich wünscht der preußischen Regierung
Glück dazu, daß sie endlich den richtigen
constitutionellen Weg gefunden habe, also Hr.
v. Beust ist jetzt mit Preußen zufrieden und
auögesöhnt; denn was ihm vor Kurzem noch
an Preußen mißfalleu hat, ist nur das eine,
daß man dort andere Begriffe von constitu-
tionellem Leben zu haben schien, als die in
Dresden gebräuchlichen; nnn aber ist wenig-
stens die Negierung zur Einsicht gekommen,
nämlich zu den einzig wahren Dresdener Prin-
cipien; doch die offentliche Meinung in Preu-
ßen ist nicht gleichzeitig mit der Regierung
fortgeschritten, sie steht noch auf dem alten
Standpunkt; der „neueste Fortschritt" bedingt
einen argen Bruch zwischen der Regierung
und Volk und dazu wünscht ihr Hr. v. Beust
Glüü? Das muß ein boshafter Glückwunsch
sein, werden Manche im Stillen deuken, eine
feine Ironie von dem feinsten aller Staals-
männer; aber sie irren; so viel Witz dieser
Minister auch besitzt, in politischen Dingen,
in so ernsten m;d wichtigen Angelegenheiten
hat er ihn niemals spielen laffen, unv auch
biesmal meint er es ganz ernst! —

Aber wie ist es möglich, fragen Viele, daß
Herr v. Beust, ein Mann von so tiefer Ein-
sicht, von so feinem staatsmännischem Takte
nicht einsehen sollte, daß die Regierung,
welche mit den Anschauungen eines ganzen
Volkes im Widerspruch steht, höchstens zu
beklagen, aber gcwiß nicht zu beglückwünschen
sei? Wie kann er gar solche Zustände im
Ernste constitutionell nennen? — Um bieses

Sonntag» 6. April

scheinbare Räthsel zu lösen, müffen wir uns
erst von unserem bürgerlich beschränkten Stand-
pnnkt erheben, zu jenen klareif sonnigen Hö-
hen, wo Beust und viele andere conßitulio-
nelle Minister thronen in ewiger Ruhe und
Heiterkeit, gleich deu unfterblichen Bewohnern
des Olymp, von wo aus die schwarzen Wel-
ken der allgemeinen Entrüstung, deS Zorns
einer Nation, sich wie kleine unschuldige Schaf-
wölkchen ausnehmen. Wo es eine öffent-
liche Meinung gibt, liegt nach Herrn von
Beust's Erfahrung die >schuld an der man-
gelhaften Regierungskunst; er selbst aber ist
Meister in dieser Kunst; wo solche Meister
regieren, giebt eS keine öffentliche Meinung
— und umgekehrt! dieser constitutionelle Mi-
nister hat das Regierungsmeisterstück gemacht,
um das ihn die Herren der allernenksten
Aera einstweilen uoch beneiden müffen: er
hat die öffentliche Meiyung seines Landes zu
todt regiert; darum geräth er mit ihr in
Widerspruch, darum darf er getrost zu jeder
Stunde sich auf sie berufen und sprechen:
„ist Sachsen nicht cin ächt constitutioneller
Staat, und ich das Muster eines constitutio-
nellen Ministers? — Herr v. Beuft versteht
die Kunst — auf rein verfassungsmäßigem
Wege natürlich — nur solche Abgeordnete
wählen zu lassen, die von unbeflecktem gutem
Rufe sind und rein von aller politischen S-chuld;
er hat es dahin gebracht, daß, wie ein Sachse
selbst es schildert, die Landesvertretung mini-
sterieller ist als das Ministeriüm selbst, und
es den Herren Ministern manchmal ernste
Sorgen macht, eine kleine Opposition zu Stande
zu bringen; denn Herr v. Beust hält viel
auf ächt constitutionelles Leben und dazu ge-
hört ja auch so ein bischeu Opposition! —
WLre man in Preußen doch auch schon so
rcif, um für Oppositiön sorgen zu müssen;
aber hier ist das Berhältniß leider bis jetzt
noch beinahe das umgekehrte und, wenn alles
Opposition macht, können selbst die muthig-
sten Minister, wenn auch nicht den Kopf, >o
doch das Portefeuille verlieren. Doch man
muß nicht zu früh verzagen; wem es möglich
ist, dic Achtung des Herrn v. Beust -zu ge-
winnen, dem ist noch Vieles möglich; auch
kann man von diesem Manches lernen und
er gibt gerne seinen guten Rath denen, die
er achten gelernt hat; also möchte man gerne
den jungen prenßischen Ministern zurufen,
wenn man nicht voraussetzen müßte, daß ste
bereits ihren Meister erkannt und sich den-
selben zum Vorbild genommen haben; und
sie berechtigen in der That zu den schönsten

Hoffnungen; ja, wenn man ihnen nur Zeit

läßt-aber wer ist jetzt Herr der

Zeit?! — Was wird nun das preußische
Volk zu diesem Glückwunsche sagen? — Ich
denke, es wird sich höflich bcdanken und Hrn.
v. Beust sagen: „es ist noch zu früh!" —
— Noch ist Preußen nicht ganz so constitu-
tionell als Hr. v. Beust wünscht und glaubt;
das Ministerium zwar läßt in dieser Bezie-
hung ka.um etwas zu wünschen übrig; aber
das Volk ist noch nicht auf dieser Höhe; noch
findet es nicht Alles gut, was von Oben
kommt; noch glaubt es an sein Recht und an
diejenigen, welche es mannhaft verfochten
haben; es wird daran glauben, troß allen
ministeriellen Warnungen und landräthlichen
Drohungen; es wird sich nicht durch den
Popanz „Demokraten und Umsturzpartei" er-
schrecken lvffen und dann — wirb Preußen
hoffentlich von Herrn von Beust wieder be-
klagt und bemitleidet werden! —

Badischer Landtag.

Karlsruhe, 4. April. Fünfzehnte öffent-
liche Sitzung der Ersten Kammer; unter dem
Vorsitze des ersten Vicepräsid enten, des
Hcrrn Generallieutenants Hoffmann.

Auf der Regierungsbank der PräFdent des
Finanzministeriums, Herr Geheimerath Vo-
gelmann, und Herr geheimer Neferendär v.
Boeckh.

Nach Eröffnung der Sitzung zeigt das
Secretariat ven Einlauf folgender Petitio-
nen an.

1) Beitrittserklärungen zu der Petition
um Erbauung einer Eisenbahn von Radolf-
zell nach Meßkirch aus den Gemeinden des
Amts Stockach unv Meßkirch.

2) Bitte des Handelsstandes aus der Stadt
Gernsbach, die Richtung der Schwarzwaldbahn
durch das Murgthal betr.

Z> Bitte des Gemeinveraths von Frei-
burg, die Anlage einer Eisenbahn von Do-
naueschingen über Freiburg nach Breisach
betreffend.

4) Beitrittserklärungen zu der Petition
um Erbauung einer Kinzigthal-Bodensee-Eisen-
bahn aus den Gemeindeu Aach, Lirlen, Beu-
ren u. A. und Volkertshausen.

Geheimerath Fromherz übergibt eine Pe-
tition, die Herstellung einer Straße von Ran-
den nach Hilzingen und die Correction jener
von Engen nach Hilzingen.

Lauer erstattet hierauf Bericht über den
Gesetzentwurf, die Umwandlung der 4^/zpro-

Schwurgerichts-Verhandlungen.

Freiburg, 1. April. Gegenstand der schwurge-
richtlichen Verhandlungen von gestern und heute
war die Anklage gegen Marie Felber von Wehr
wegen Tödtung ihres Kindes. Diese, eine leicht-
sinnige, dem umherziehenden Lebenswandel ergebene
Dirne von 28 Jahren, wurde wegen Diebstahls im
Ianuar d. I. in das Amtsgefängniß zu Lörrach
eingeliefert und zwar ihrer Niederkunft nahe; fie
läugnete jcdoch selbst dem sie untersuchenden Ärzte
thren Zustand, bis fie am 20. Januar ein gesun-
des Mädchen gebar. Aus dem Amtsgesängniß ent-
lassen, wurde fie, weil der Vater sie nicht aufneh-
men wollte, mit dem Säugling im Armenhaus zu
Wehr untergebracht, wo Letzterer ganz wohl gedieh.
Am Nachmittag des4. Februarklagte MarieFelber
über Unwohlsein, zog sich mit dem Kinde in ihr
Zimmer zurück und begab sich zu Bett. Um Mit-
ternacht weckte sie die Frau des im Armcnhause
wohnenden Arztes und bat um Wasser zum Trin-
ken. Diese gab ihr das Verlangte und benützte den
Anlaß, nach dem Kinde der Felber, an welchem fie
großen Antheil nahm, zu sthen. Sie fand es gut

eingewickelt im Bette liegen, aber todt. WLHrend
diese und andere hcrbeigerufene Frauen weinten,
hatte die Mutter weder für das Kind eine Thräne,
noch den Fragen und Vorwürfen eine Antwort, ja
sie fand'sich nicht einmal veranlaßt, oer Leiche, welche
zum Zweck von Wiederbelebungsversuchen aus dem
Zimmer gctragen wurde, zu folgen,sondern leg.te sich
wiederin ihr Bett. Die ärztliche Untersuchung ergab
alS unzweifelhaft, daß daß Kind den Erstickungs-
tod gestorben war. Marie Felber machte über den
Hergang mehrfach abweichende Angaben, welche im
Wesentlichen enthalten, daß das Kind heftig ge-
schrieen unv obgleich sie überzeugt gewesen, daß es
'zu trinken Bedürfniß gehabt, doch nicht habe trin-
kcn wollen. Unwillig hierüber habe sie das Kind
mit beiden Händen an die Brust gedrückt; etwa
L-Minuten.lang, um es zumTrinken zunöthigen.
Als das Kind zu schrcien aufgehört, habe sie es
neben sich gelegt, eingewickelt und, in der Meinung,
es schlafe, sei sie selbst wieder eingeschlafen, bis sie
durch heftigen Durst wieder geweckt worden. An
dem Halse des Kindes waren Spuren von heftigem
Drucke sichtbar, und mit Rücksicht auf das Beneh-
men der Muttcr -eschuldigte dte Anklage die Maria

Felber, ihr Kind gemordet zu haben, während dte
von Hofgerichtsadvocat v. Wänker geführte Ver-
theidigung den Tod des Kindes als Folge einer
brutalen Nachlässigkeit darstellte. Dke Geschworenen
nahmen an, daß die Wahrheit in der Mitte liege
und die Angeklagte im Affect den unbestimmten
Vorsatz gefaßt habe, ihr Kind ^u tödten oder zu
mißhandeln, worauf der Gerichtshof das Urtheil
auf 12 Jahre Zuchthaus fällte. Damit schloffen
die Sitzungen dcs ersten Quartals.

Aus Städtel bei Carlsruhe in O.-S. wird Fol-
gendes mitgetheilt: EineSticfmutter hatte mit Hülfe
einer mit ihr zusammenwohnenden Frau ihren 16
Iahre altcn Sohn, welcher emen Ausschlag am
Körper hatte, mit Theer und Schwefel eingcsalbt,
den Unglücklichen sovann in ernen Sack gesteckt, den
Backofen crtra geheizt und ihn in denselbcn hinein
befördert; der arme Mensch schrie in Folge großer
Hitze jämmerlich und wollte wieder heraus, scine
Stifmutter aber gab dies nicht zu. Thräncn, Hilfe-'
rufen rc., allcs ^ruchtete nichts — der Sohn ist,
auf jämmerliche Weise verbrannt, endlich heraus-
gezogcn worden und binnen einer halben Stunve
gestorben.
 
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