Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1862 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
März
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2810#0283

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Undtlberglr Ieilung.




M-. 72.

Mittwoch, 28. März

18«2.

C Der Systemswechfel in Preußen.

Das wär eine kurze Herrlichkeit mit der
sogenannten „neuen Aera", wenn es überhaupt
eine Herrlichkeit war! Kaum vier Jahre,
als der König als Regent die Regierung an-
trat und von Fortschritt und moralischen Er-
orberungen sprach,,und Atles schon wieder
vorüber, und Alles' wie weggeblasen. Und
warum denn auf einmal dieser Rückfall in
einer Zeit, die für Viele für immer begraben
schien? Was ist denn vorgefallen, was die-
sen bcdenklichen, ja vielleicht schicksalschweren
Schritt nur eintgermaßen motiviren könnte?
Das dürfte gewiß schwer zu sagen sein. Doch
istnicht dieliberale Kammer dieallcinigeUrsache
des so traurigen Conflicts? Wohl ward ihr
von gewisser Seite die ganze Sünde aufge-
bürdet. Uber was that ste denn, um diesen
Vorwurf zu rechtfertigen? Hat ste ein Atten-
tat auf die Prärogative der Krone gethan,
oder gar das monarchische Princip iu Frage
gestellt? Nichts von all' dem. Ihr einziges
Verbrechen bestund darin, daß ste das Ver-
sprechen des Königs, Preußen auf der Bahn
des Fortschritts und der moralischen Erobe-
rungen zu-führen , zur Wahrheit machen
wollte. Ihre ganze Schuld beruht in dem
Bestreben, das constitutionelle System, das
bisher nur auf dem Papier stunv, in das
Leben, in die Wirklichkeit einzuführen, wäh-
reud man auf Seiten der Krone eben ganz
andere Anschauungcn festhält, das „König-
thum" in Preußen in einem ganz andern
Sinne auffaßt. Sicherlich liegt hierin der
ganze Kern und Schwerpunkt des Conflicts.
Es ist ein Kampf des Constitutionalisinus
mit dem in Königsberg proklamirten König-
thum.. von Gottesgnaden, d. h. mit jenem
Königthum, das, wie es stch in gewissen Be-
zichungen befchränken läßt, in den Hauptge«
sichlspunkten nach wie vor unbcschränkt sein
will. Und doch ist keine Frage, vaß Preu-
ßen nur dann, wenn es im Sinne der Fort-
schrittspartei bezüglich der innern und äußern
Politik auftrat, diejenigen moralischen Er-
oberungen gemacht hätte, welche ihm für die
von ihm erstrebte Stellung so unumgänglich
uothwendig waren. Und doch ist keine Frag§,
daß Preußen nur auf diesem Wege das, was
es bisher gesündigt, nach und nach wieder
auslöschen, und den festen Kern einer ein-
heitlichen Gestaltung Deutschlands bilden
könnte. Aber wie nun jetzt, da man nicht
nur nicht im Fortschritt begriffen ist, sondern
Mit voüen Segeln wleder rückwärts geht?.Sieht

man nicht ein, daß man auf diese Weise auch
den letzten Rest von Sympathie, welche man
da oder dort noch hatte, die leiseste Spur
von Hoffnung, die man etwa noch auf Preu-
ßen setzte, mit einem Schlage zerstörte? Wüß-
ten wir daher nicht, wie sauer es von jeher
den deutschen Ministern war, auf ihre Stel-
len zu verzichten, so wäre es wahrhaft un-
begreiflich und ein vöttiges Räthsel, wie Graf
von Bernstorff auch jetzt noch die auswärti-
gen Angelegenheiten leiten kann, er, der doch
den Sturm der identischen Noten hervorge-
rufen, der den Bundesstaat^unter preußischer
Führunq als das Ziel seiner deutschen Poli-
tik proklamirt. Denn sieht er nicht ein, daß
au,f dem jetzt beliebten Wege für Preußen
eher alles Andere zu erreichen ist, nur nicht
die Führerschaft Deutschlands? Oder hat es
Graf Bernstorff schon früher nicht so ernst
qemeint? Blieb Alles nur in der Sphäre der
Theorie, ohne daß man im geringsten ge-
willt war, auch mit entsprechenven Thaten
dafür einzustehen? Dann haben wir freilich
nicht viel verloren, Höchstens die Jllussion,
die man da und dort in Bctreff ber deutschen
Politik des Grafen Bernstorff haben mochte.
Aber auch anqenommen, daß es in der That
in der Intention des Grafen gelegen habe,
nach Krästen auf das Zustandekommen eines'
Bunvesstaats hinzuwirken, so darf mi't aller
Sicherheit behauptet werden, daß nunmehr
jetzt jede solche Abstcht aufgegeben sei, daß
also Preußen nicht nur bie innere, sondern
auch die äußere Politik gewechselt habe.
Iedenfalls kann jetzt von einem Bundesstaate
mit preußischer Spitze keine Rede mehr sein.
Und so bildet anch in den deurschen Ei'nhel'ts-
bestrebungen der Systemwechsel in Preußen
eine Epo^e.

Di'e Folgen des betrübenden Borgangs in
Preußen stnd noch gar nicht zu berechnen.
Es ist möglich, daß sie sogar heilsam; cS ist
aber auch leicht möglich, vaß sie- geradezn
verderblich stnd. Oder ftihlt nicht Jedermann,
was es Heiße, einen derartigen Conflikt in
einer Zeit hervorzurufen, wo vielleicht nur
zu bald die ganze Hl'ngebung, die größten
Opfer des Volkes in Anspruch genommen
werden müffen? Wenn der König sonst bei
jeber Gelegenheit die volle Bedentung der Ein«
heit, in der er mit seinem Volke stehe, her-
vorhob, und vollkommen zu würdigen schien,
soü denn der Werth dieser Einheit wieder
auf einmal verschwunden sein? Oder glaubt
man, das Volk sei auch jetzt noch in Ueber-
einstimmung mit der Regierung, mit der

Krone? Glaubt man, der König dürfe nur
seinen Willen, seine Erwartung gegen das
Volk anssprechen, und dieses werde unfehlbar
ganz im Sinne des Königs wählen? Dann
freilich wäre der Conflict gchoben. Aber ist
man nicht eher zur Ämiahme des Gegentheils
berechtigt? Und so ftünde denn Preußen je-
denfalls eine ernste Zeit bevor. Aber auch
auf andere deutsche Staaten wird vielleicht
die Reaktion in Preußen ihren traurigen Ein-
fluß ausüben. Därum ist uns Allen Man-
nesmuth, Besonnenheil und Ausdauer mehr
als je geboten.

Badischer Landtag.
Karlsruhe, 24. März. 12. öffentliche
Sitzung der I. Kammer. Vorsitz: Fürft von
Löwenstein. Am Regierungstische: Staats-
minister Stabel, Geh. Rath Lamey nnd Mini-
sterialprästdent Freiherr von Roggenbach.
Das Präsivium macht Mittheilungen der II.
Kammer und das Secretariat den Einlauf
von Petitionen bekannt, darunter von den
gabholzberechtigten Bürgern Freiburgs um
Schutz des corporativen, städlischen Eigen-
thums wieder Eingriffe der städtischen Behör-
den; aus bem Kulzigthal und Elzthal, sowie
von. Radolfzell uiiv Stockach wegen Eiscn-
bahnbauten; von Aerzten aus den Aemterkr
Lörrach, Bühl, Schwetzingen und Mannheim
um Freigebung der ärztlichen Tare. Lauer
legt seinen druckfertigen Bericht, den Staats-
vertrag über den Eisenbahnbau von Pforz-
heim nach Mühlacker betr., vor. Graf von
Hennin widmet dem kürzlich mit Tod abge-
gangenen früheren Mitgliede der l. Kammer,
Freiherrn Adolph v. Nüdt, einen ehrenden
Nachruf, nach welchem sämmtliche Mitglieder
znm Zeichen ihrer Zustimmung sich von ihren
Sitzen erheben. Das Präsibium zeigt au,
daß Frhr. v. Stotzingen in nächster Dl'tzung
an den Prästdenten des Ministeriums der
auswärligen Angelegenheiten eine Anfrage be-
züglich der Ernennung des Herrn Traumann
in Mannheim zum Consul des Königreichs
Italien stellen werve. Geh. Rath Lamey legt
die Nachweisung über Erledigung der von
der I. Kammer aäf letztem Landtage dem
Ministerium des Jnnern überwiesenen Peti-
tionen vor. Das Prästdium will vor Er-
öffnung der allgemeinen Discusston über den
Bericht dcs Hofraths Bluiitschli, das Regent-
schaftsgesetz belr., die Vorfrage der Beraihnng
aussetzen, ob die Kammer zgr Beschlußfaffung
über ein VerfassungSgesetz vollzählig sei? (Die
Standesherrn sind fämmtlich ausgeblieben).

Barnhagen von Ense's Tagebuch.

(Vortfttzung.)

Wir schlt-ß-n unsere Mitth-ilung-n mtt -tnem
AuSzug <ruS ctucr Darstrllung d-s AahreS 1848,
w-lch- dcr Verfaffrr l-ider nicht vollcndct hat.

Dirses Jahr beginnt für uns mit widrigc» po-
litischen Eindrück-n. Der König hatte slch auf
Oestcrreichs Anrelz in dic inncren Ang-leg-nheit-n
d-r Schwciz g-mischt und wolltc d-n pfäfjisch-n
Sonderbund -inig-r Kantonc gegcn di- g-setzliche
Oderbchörde der Schwciz mit allcr Macht untcr-
stützen. Da cr für sich allcin d-r Schwciz nickts
anhabcn konntc, s° suchte cr den d-utsch-n Bund
gcgen sie aufzurcgcn, und mcintc, di-s fti die schönstc
G-l-g-nhcit, ihn einmal nach Außen alü Einhcit
wirken zu lassen, cr bot 50,000 Mann sciner Trup-
pen für dirfen Zweck anz allein der dcutschc Bund
hiclt sich klüglich zurück. Der König wolltc ourchauS
Recht b-halten und sandtc Ravowitz nach Wien und
Paris, um cin kricgcrischeS Einschreiten jll bcwir-
ken; an beiden Orten war man aber nicht gcneigt,
den Etnfällen des KöntgS blindlingS nachzugebcn;

die drei Höfe versuchten nur diplomatische Einschuch-
terung; die Schweizer antworteten. mit siegreich star-
ker Widerlegung und änderten an ihrem Bundes-
vertrage, was ihnen zu ändern war. Dadurch war
der Stolz des Königs aufs tiefste gebeugt, er mußte
nach den stärksten Großsprechereien geschehen lassen,
wäs er keine Mittel hatte zu verhinvern. Die
frühere Meinung von seiner Größe, seinen Fähig-
keiten war längst gesunken, aber eine solche De-
müthigung hatte er noch nicht erfahren.

Ein anderer Gegenstand, welcher die öffentliche
Aufmcrksamkeit anregte, war der Polenproceß. Der
unvertilgbare Vaterlands- und Freiheitsdrang, der
in den Polen durch kein wicderholtes Unterliegen
jemals entmuthigt wird, hatihnen die Achtung und
das Mitgefühl aller Edeldenkenden zugewandt und
das große Verbrechen am Ende des achtzehnten Jahr-
hunderts, die Theilung Polens ist seither immer
als verhängnißvolle Mahnung erschienen,'daß das
nicht gesühnte Unrecht seine Strafe sucht. Die neueste
Gewalthandlung, die Uebergabe des Freistaats Kra-
kau an Oesterreich, hatte in Berlin lauten Unwil-
len erregt; a'n den wegen des Aufstandes verur-
theilten Polen, namentlich an Mieroslawski, nahm

man den lebhaftesten Antheil. Der König war
zur Gnade geneigt, allein man wußte ihn von Leu-
ten umgeben, die im knecktischen Eifer für unbe-
dingte Herrschermacht das Mcnschliche für nichts
achteten; man wußte, daß der König leicht zu cr-

die ängstliche Rücksicht auf Rußland, das jede Milde
gegen bie Polen als eine Beleidigung feiner zu
nehmen schien. Entschieden wurde Vor der Hand
nichts, die ganze Sache hing in besorglicher Schwebe,
und um so lebhafter blieb im Volke das Mitgefühl
für die Polen wach und thätig.

Von anderen Seiten her wurde die öffentliche
Stimmung nicht minder aufgereizt und beschäftigt.
Die Beamtenwillkür, der Ucbermuth aller Hoch-
stehcndeir, die adlige Hoffart im Offizierstande, das
in Staat und Kirche stcts wachsende Ucbergewicht
der Frömmler gaben täglich die schreiendsten Zeug-
nisse der verhaßten und verderblichen Richtung, in
welcher die ganze Regierung sich bewegte. Die Uebcr-
griffe und Beläftigungen der Polizei nahmen gren-
zenlos überhand.

(Kortsetzung folgt.)
 
Annotationen