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Heidelberger Zeitung — 1862 (Januar bis Juni)

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März
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Ukidtlbergkr Ikitung.

N; 73


Donnerstag, 27. Mär, 18«2.

1-/X Ueber Baumwollen-Cultur und
Jndustrie

Jn neuerer Zeit beginnt in dem blutigen
Bürgerkriege des NorvenS und des Südens
der vonnaligen Union das Kriegsglück sich
wieder mehr auf die'Seite des Ersteren zu
neigen. Nicht wenig hierzu mögen die unter
dem Sternenbanner fechtenden Europäer, be-
fonders Deutsche zu dieser glücklichen Wen-
dung beigetragen haben. Diejenigen von ihnen,
welche ^Zürger der transatlantischen Republik
geworden warcn, zauderten nicht einen Augen-
blick und schaarten ßch überall freudig um das
Unionsbanner.

Anders verhält sich,die Stimmung theilweise
in Europa. 'In England und Frankreich be-
sonders erheben sich laute Stimmen und fin-
den selbst mitunter in Deutschland ein leiseS
Echo die im Kampf des Nordens gegen die
ablrünnigen Südstaaten, mehr oder weniger
für diese Leßteren Partei ergreifen. Aus zwei-
erlei Ursachen rührt diese Stimmung zumeist
her. Es sind diese einmal die Erschwerung
.der Einfuhr europäischer Industrieartikel durch
den Tarif des. Nordens (im Gegensatze zu
dem des Südens, der' volle Handelsfreiheit
verspricht) und sodann die Verhinderung der
Ausfuhr ver amerikanischen Baumwolle durch
die Blokade der Südhäfen. Dfeser letztge-
nannte Handelsartikel ist hochwichtig genug,
um ihn einer eingehenden Besprechung zu un-
terziehen.

Eine Quelle reicher volkswirthschaftlicher
und zugleich politischer Aufklärung eröffnet
sich, wenn wir die Umwandlungcn in Bezug
auf die hauptsächlichen Productions- oder Be-
zugsländer der Baumwoüe ins Auge fassen.
Noch in der Zeit des ersten maschinenmäßigen
Aufschwungs der englischen Baumwollenin-
dustrie (zu Ende des vorigen und Anfang
dieses Jahrhuttderts) waren das Mittelmeer-
gestade undWeftindien die Hauptbezugsländer
des Nohstoffes. Die Einfuhr auS den Unions-
südstaaten, ben jetzigen Hauptproductionslän-
dern, war damals eine verschwindend kleine.
Dieß hat sich aber schnell geändert. Der
Süben der vereinigten Staaten wußte dem
massenhaft steigenden Baumwoüenbegehren Eu-
ropas am schnellsten und mit dem besten Stoffe
zu enlsprechen, nicht bloß, weil er vorzüglich
geeignete Ländereien, sondern auch disciplinirte
Arbeiter in den Sclaven und rationell bewirth-
schaftete Kapitalien durch die Pflanzer zur
' BaumwoÜencultur zu stellcn, und jo ben zwei
Grundbebingungen zu entsprechen wußte, wo-

von die Ausdehnung und Qualitat der Baum-
wollencultur abhängt. Im Jahr 1800 hat die
südlichß Union bereits 18, im Iahr 1859 aber
1797 Millionen Pfund (im Werthe von etwa
500 Millionen rhcin. Gulden) producirt, und
ist so zur Zeit die Hauptproducentin fürBaum-
wolle geworden.

Dieser Aufschwung der Baumwollencultur
'Amertka's während des laufenden Iahrhun-
dertö hat zugleich in Beziehung auf die Ver-
brauchsfähigkeit ver südlichen Union den Absatz
englischer Fabrikate dahin, sowie in Beziehung
auf bie Vermehrung der Sclavenbevölkerung
ungewöhnliche Wirkungen von größter poli-
lischer Bevcutung ausüben müssen. Für jktzt
spielten — wie gesagt — die vereinigten Sraa-
ten (d. h. vor bem Ausbruche des Bürger-
krieges) die Alles überherrschende Rolle in der
Baumwollencultur. Thatsache ist es, daß die
Union weir über die Hälfte aller in ben Welt-
hanbel kommenben Baumwolle lieferte,» und
daß England allein etwa die Hälfte der ame-
rikanischen Production abnahm. — Eine be-
deutende Zunahme in der Baumwollenzufuhr
weist außerbem nur noch Ostindien nach. Im
Iahr 1793 hatte Ostindien nvch dreimal so
viet Baumwolle nach England ausgeführt, als
Amerika. Seit 1820 ist aber biese Ausfuhr
enörm gefallen, währenv bem die der verei-
nigten Staaten sich zu gleicher Zeit außer-
orbentlich gehoben hat.

Die amerikanische Baumwoüe wird im Han-
del ,/Orleans" genannt, unb zerfäüt in eine
seinere Sorte, die von den Jnselu unb von
der Küste der Staaten Südcarolina und Geor-
gien kommt, und in eiuer weniger feinen, die
vaS Innerc dieser Sübstaaten liefert. Die in-
dische Baumwolle, vorzüglich in der Präsident-
schaft Bombap gebaut, heißt in ber Sprache
der Kaufleule „Surat", Letztere ist bei weitem
weniger wcrth, als selbst bie geringere ame-
rikanische Sorte, kürzer in der Faser, weniger
seidenartig unb weniger reiu. Sie gibt beim
Verspinnen mehr Abfall, läßt sich nicht so
rasch verarbeiten und taugt überhaupt nur
für geringere Garne, sowie zum Verweben
mit andern Sloffen. Die indischen unb ame-
rikanischen Baumwolleustauden sind specifisch
verschiedene Pflanzen. Die sogenannte Su-
rat ift in Ostindien einheimisch und dort
schon in uralter Zeit cultivirt worden. Sie
ist dort angebaut worden, und hat ur-
sprünglich ein vortreffliches Produkt geliefert,
aber stets ist sie nach kurzer Zeit ausgeartet,
und der einheimischen Staude gleich gewor-
den. Es wäre unter Umständen möglich, dies

zu verhüten, jedoch nur mit großen Kräften,
Mühe und Aufmerksamkeit, aber dazu sind
die Hinduarbeiter nicht zu bringen, und wä-
ren sie es, so würde der Preis des Artikels
die Mühe und Kosten nicht lohnen. Dazu
kommt, daß die Kofteu der Versendung in
Indien die Waare sehr vertheuern, da dort
verhältnißmäßig noch wenig für Eisenbahnen
und Kanäle gethan ist, selbst die gewöhnlichen
Straßen sind äußerst schlecht, während Ame-
rika bie besten Wafferstraßen der Welt und
zahlreiche Eisenbahnen besitzt. Diejenigen also,
welche sich jetzt, wo die amerikanische Baum-
wolle dem englischen Markte vorenthalten
ist, mit ihrem Kapital auf indische Baum-
wollenkultur werfen wollten, würden sich schwer
Verrechnen. Die Blokade der Südstaaten kann
nicht ewig dauern, und sobald sie aufhört,
werden alle größeren Anlagen in Indien, da ihr
Probuct nicht, oder zu nicht lohnenden Prei-
sea zu verkaufen wäre, nur Schaden und
Einbuße erleiden. Es wäre somit in Indien
ein sehr sorgenvolles Geschäft, sich namenrlich
im Innern des Landes mit dem Bau von
Baumwolle zu befaffen. — Nächst der Baum-
wollenkultur in Jndien kömmt nur noch, je-
doch nicht einmal in gleichem Grade, jene in
Aegypten und Südafrika in Betracht, rbenso
Westindien und Brasilien. An Kulturland für
Baumwolle fehlt es zwar in der Welt nichl,
aber immer nach einer -veite hin liegen die
Schwierigkeiten, nämlich in Bezug auf eine
Ausdehnung der Kultur der Baumwolle von
d?r besteu amerikanischen Qualilät, und auf
bie Emancipation von dem Alles beherrschen-
den amerikanischen Markte.

Von der in Amerika gebauten Baumwolle
verarbeitet England minbestens den dritten
Theil; das Uebrige geht nach Frankreich, Spa-
nien, Deutschland und nach den nördlichen
Unionsstaaten, namentlich nach Newyork. Im
Iahr 1859 führte Englanb von der in seinen
Fabrikstädten verarbeitetenBaumwolle für nicht
weniger als 48,200,000 Pfb. Sterling (baum-
wollene) Stoffe und Garne aus, von denen
ein großer Theil, man nimmt an, biS zu
4,635,000 Pfd. Sterling, als Austausch für
die von Amerika empfangenen Seudungen an
roher Baumwoll e nach den vereinigten Staa-
ten gingen.

* Politische Umschau.

Die Führer und viele einflußreiche-Mrt-
glieder der katholischen Partei im Abgeordne-
tenhause haben dieser Tage cine Zusammen-

Varnhagen von Cnse's Tagebuch.

(Fortsetzung.)

Wer es cinmal gewagt hatte, den Behörden ge-
genüber seine Selbstständigkeit behauptcn zu wollen,
der mußte fortan in tausend Plackereien die un-
versöhnliche Rache der Regierungsgewalt empfinden;
selbst die Brüder des Königs wurden überwacht
und belauscht,' ihre kleinsten Handlungen ausgezeich-
net und eiligst gcmeldet; ein nächtliches Abenteuer
des Prinzen von Preußen, das um 5 Uhr Mor-
gens stattgefunben hatte, war um 8 Uhr schon dem
Könige bekannt.

Daneben war ein starkes Vorstreben zur Freiheit
sichtbar. Der König hatte in der stockenden Luft,
die während seines Vaters Rcgierung herrschte, oft
einige Beklommenheit gefühlt und wünschte freiere
Bewegung um sich her zu sehen. Er glaubte die
öffentliche Mcinung ganz für sich zu haben, hatte
daher die ständischen Körper in lebbaftere Thätig-
keit gesetzt, die Freiheit der Preffe erweitcrt, red-
nerische Vorträge begünstigt und auch nicht verfehlt,
bei jeder Gelcgenheit durch freie Ansprachen und
Antworten sich als ersten Redner seines Landes dar-
zuthun; indeß war alles dieses von üblem Beiwerke

begleitet und wurde gleich wieder verkümmert. In
den meisten Fällen trat der Förderung die Hem-
mung sogleich auf die Fersen, wodurch die Gemüther
nur verdrießlich gemacht wurden. Ein ächter Staats-
mann, welchen Standpunkt er auch sonst haben
mochte, mußte jedenfalls ein Verfahren als thöricht
verdammen, das in solchen Wtdersprüchen sich be-
wegte, in allem den Schein der Freiheit, aber durch-
aus nicht ihr Wesen wollte.

Unter solcher Verstimmung und Aufregung wur-
den am 17. Ianuar die Vereintgten Ausschüsse des
Landtags eröffnet. Der Strafgesetzentwurf kam zu
Stande und stellte der obrigkeitlichen Willkür ein
Unmaß empörender Strenge zur Verfügung; da-
gegen sprach es Eamphausen offen aus, daß man
an dem Grundsatze festhalte, daß alle das Personen-
und Eigenthumsrecht und die Steuern betreffenden
Gesctze ohne den Beirath des Vereinigten Land-
tages nicht erlassen werden könnten, und daß der
Zwiespalt nicht geschlichtet sei, der zwischen den that--
sächlichen Zuständen und den früheren Regierungen
bestehe; „die Geschichte wird richten zwischen uns
und der Regterung." Ieder Unbefangene konnte
jetzt einfehen, -er König wollte keincn Widerspruch

dulden, sondern begehrte unterthänige Zustimmung,
höchstens gestattete er demüthige Vorstellüng; das
Ständewesen sollte nur als Werkzeug der Regie-
rung, nebenher 'auch zum Prunk und Glanze dienen.
Pstichtgrfühl sollte sich in Gehorsam verwanbeln,
Widerspruch galt als Verbrechen; dem königlichen
Änsehen gegenüber müsse Vernunft, Recht und
Gewissen schweigen, wo der Herr befahl, sei der
Diener nicht mehr verantwortlich, der Herr selbst
aber nur dem höchsten Gott.

Unter allen vielfachen Beschwerden waren dte
häufigsten und lautesten die gegen die Anmaßung
und Willkür der Polizei und gvgen die Unter-
drückung der Oeffentlichkeit, besonders der freien
Schrift und Rede. Die Deutschen fühlten die
Schande, unter den gebildeten Völkern Europa's
das einzige zu sein, welchcs der Preßfreiheit ent-
behrte; dte literartschen, gelehrten und bücherbe-
dürftigen Deutschen, welche die Buchdruckerkunst er-
funden hatten, mußten die unwürdigste Aufsicht,
den schmachvollsten Zwang erdulden. Die Bosheit
der Polizetgewalt wurde nie härter geübt, als tn
dieser Zeit, wo das Verlangen, nach festem Gesetz
regiert zu werden, allgemein, wo die gesetzliche Frei-
 
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