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Heidelberger Zeitung — 1862 (Januar bis Juni)

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Februar
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https://doi.org/10.11588/diglit.2810#0147

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Htidelt>rrgrr Iritung.

M; 38.


Freitag, IL Kebruar


Mexiko und die europäische Jnter-
vention.

Die merikanischen Wirren, welche jetzt zur
unmittelbaren Einmischung der drei Mächte
England, Frankreich und Spanien qeführt
habLn, gchen, wenn wir nicht überhaupt dis
zu den Unabhänqigkeitskriegen zurückgeheu
wollen, seit welchen (mit Ausnahme etwa
von Chili) das ganze spanische Amerika fast
ununterbrochen an anarchischen Convulffonen
leidet, bis zum Sturze des Präfidenten Santa
Anna zurück, der, wenn auch unter fortwäh-
renden Kämpfcn, dreimal den Präffdentenstuhl
inne hatte, den Sieg der centralistischen, kkcri-
kalen Partei über die föderalistische, lrberale
entschieden zu haben schien und im Dez. 1853
sich selbst zum lebenslänglichen Präfidenten
der Republik erklären konnte. Allein dieser
Schritt, der schließlich zur Monarchie führen
mußte, rief auch die äußerften Anstrenguttgen
der republikanischen Partei heraus, und dekr
wilden Indianergeneral Alvarez aus dem
Staat Guerrero im äußersten Svden, der
durch seine Grausamkeit gegen alles Spanische
sich den Namen „Panther des Süden" er-
warb, gelang es, Santa Anna zu stürzen u.
die radikale Partei an's Ruder zu bringen.
Er traf sofort energische Maßrcgeln Aegen
die Clerikalen, vertrieb die Jesuiten, entzog
der Geistlichkeit und dem Militär die beson-
dere Gerichtsbarkeit, trat aber nach wenigen
Wochen den Präffdentenstuhl einem Parteigenos-
sen, Jgnacio Comonfort, einem Zollbeamten,
ab und kehrte in den Staat Guerrero zu' ück,
wo er jetzt noch mit seinen Indiauerhorden
haust. Comonfort versuchte es, duxch An-
nähcrung an die Gemäßigten eine dauerhafte
Regierung zu begründen, und berief im Fruh-
jahr 1856 einen constituirenden C.ongreß, der
nn Juni zusammentreten und dem Land eine
neue Verfaffung geben sollte. Einer der ersten
Akte des Congreffes war ein entscheidender
Schlag gegen die Geistlichkeit: ein vom Prä«
sidenten vollzogenes Decret verbot sämmtlichen
Körperschaften, liegendes Eigenthum zu
befftzen, und sprach daffelbe den jeweiligen
Pächtern zu. Hiedurch aufgereizt, seiner
Reichthümer beraubt^, in seinem Einfluß ge-
fährdet, unterhielt der Klerus einen fort-
währenden Krieg gegen die Regierung durch
Aufhetzung des Volkes von den Kanzeln und
durch Uttterstützung der reactionären Militär-
aufstände, welche die ganze zweite Hälfte d.es
Iahres 1856 ausfüllten. In dieselbe Zeit
fielen auch die ersteu Zwistigkeiten mit dem

Ausland. Santa Anna hatte mit Spanien
einen Vertrag abgeschloffen, worin er aus-
drücklich die spanische Schuld anerkannte:
diesen Vertrag aunnllirte die Regiernng Co-
monforts. Als dann im Dezember desselben
Iahres Alvarez auf einer Hacienda sämmtliche
dort wohnende Spanier überfallen und er-
morden ließ, und anstatt daß Alvarez bestraft
wurde, ähnliche Vorfälle fich wiederholten,
beschloß Spanien mit Waffen Genugthuuug
zu verlangen. Schon damals aber bot das
Cabinet von Washington der Republik finan-
zielle Unterstützung an, was Spanien veran-
laßte, seinen Angriff aufigünstigere Zeiten zu
vertageu und ffch zunächst damit' zu begnügen,
die reaftionäre Partei unter der Hand zn
unterstüßen. Am 5. Februar 1857 vollendete
dcr Eongreß die neuF Versassung, welche zum
erstenmal religiöse Duldung, Freiheit des
Unterrichts und der Preffe, Civilehe, Auf-?
hebung der beionderen Gerichtsbarkeit nnd
das Verbot für die Körperschaften, liegende
Gütcr besitzen, aussprach. Obwohl Bürger
und Militär den Eid auf die Verfaffung
leisteten, wuchs doch die Unzufriedenheit unter
dem Klerus, der ?Ärmee, den Eigenthüuiern
und den höheren Claffen überhaupt, und noch
in demfelben Iahr im Dezember brach der
Aufstand aus. General Zuluaga in Tacubapa
erklärte sich gegen die Verfaffung, marschirte
nach Mcrico und jagte den Congreß ansein-
ander. Comonfort sah sich zur Abrcise nach
den Verein. Staaten genöthigt, und die
klerikale Partei rief nun Zuluaga zum Präsi-
denten aus, während die Liberalen, die an
der Verfaffung festhielten, Benrto Iuarez,
den Vorsitzenden des obersten Gerichtshofes
zu Guanajuato, der fchon unter Comonfort
Vr'zepräsident gewesen war, ihrerseits zum
Präsiv.enten wähkten. Damir war nun Meriko
in zwei .Hälfken getheilt. Die meisten süd-
lichen Staaten hielten zu Zuluaga, der in
Meriko residirke, während der Norden und
der ÜUßerste Süden nebft der Küste zu Juarez
hielt, der zn Veracruz seine Restdenz hatte.
Als auch Zuluaga durch einen Militäraufstand
gestürzt wurde, übertrug die Priesterpartei
den Präsidentenstuhl an den 27jährigen, talent-
vollen imd energischen Miramon (aus fran-
zösischer Familie), und uun entspann sich ein
5jährigLr Kampf zwischen Miramon und
Iuarez, zwischen Merico und Veracrnz, den
Klerikalen und den Liberalen, den Centralisten
und den Föderalisten. Iene hatten den größ-
ten Theil des He.ers, den Einfluß und das
Geld der Geistlichkeit auf ihrer Seite und

waren meist in den Schlachten siegreich: diese
aber wußten sich nach jeder Niederlage wie-
der zu sammelu, ihre Hauptstützen waren die
Nationalgarden, die öffentliche Meinnng nnd
die Zölle der Hafenstädte. Ein zweimaliger
Sieg bei Guadalarara entschied endlich für
Iuarez. Miramon floh nach Veracruz und
von da nach Europa, wo er seitdem geqen
sein Vaterland conspiririe. Iuarez konnte im
Ian. 1861 die Nesipenz nach Merico verlegen,
wurde von dem Congreß, den er berief, förmlich
anerkannt, trat am 1. Iuli 1861 in'e Regieruug
als constitutioneüer Präffvent Mericos an,
und wurde als solcher auch vom ganzen di'plo-
matischen Corps anerkannt. Allein der fünf-
jährige Krieg hatte nicht «ur auf tranrige
Weise das eigene Land verwüstet, sondern
auch vielfach die Jnteressen des Auslandes
verletzt. Ein für das Ausland bestimmter
Silbertransport von 1,200,000 Dollars war
unter Obhut des Generals Degollado (jetzt
Minister des Auswärtigen) von St. Louis
nach Tampico abgegangen. Degollade bemäch-
tigte sich des Gelds und vertheilte es bis
auf 40,000 Doll. unter stine Soldaten.
Iuarez setzie den General zwar ab und gab
den Rest den Eigenthümern zurück, konnte
ihnen aber die Hauptsumme nicht ersetzen.
Einen andern Raub ließ sich Miramon zu
fchulden kommen, indem er im letzten ver-
zweiselten Stadium seiner Regierung ein
Zwangsanlehen von 300,000 Doll. ausschrieb,
und da dieß nicht aufgebracht werden konnte,
100,000 Doll, welche englischen Staats-
gläubigern gehörten und im Hotel des briti-
fihen Gesandten deponirt waren, gewaltsam
wegnehmen ließ. Das Stärkste aber war
das Decret, welches Iuarez im Iuli 1861
erließ, wodurch sämmtliche Verbindlichkeiten
gegen das Ausland aus 2 Jahre für aufgc--
hoben erklärt wurden. Auch abgefehen von
diesen.finanziellen Verlusten fehlte es nicht an
Beschwerden aüer Art. Kaum war Iuarez
in Meriko angekommen, so wurde der spanische
Gesandte Pacheco und der päpstliche Nuntius
auf brutale Art ausgewiesen. Von den
Zwangsanleihen waren auch die Fremden
nicht verschont geblieben, häufig wurden sie
selbst gewaltsam zum Kriegsdienst gepreßt.
Dazu kamen noch Insnlten grgen die Ge-
sandtschaften, wiükürliche Verhaftungen von
Vizeconsuln, Gefährdungder öffentlichen Sicher-
heit überhaupt, endlich die alten srüher er-
wähnten spanischen Beschwerden — dieß die
Gründe, aus welchen sich die europäischen
Mächte schließlich zu der gemeinsa-men Inter.

Prvceß Dumollard.

Die großen Criminalprocesse jagen sich in dem
jüngsten Zeitabschnitte. Kaum ist der schwarze
Schleier über die Bande vom Hennegau gebreitet)
noch ist kaum über den Giftmord zu Darmstadt ver-
handelt worden, als sich schon wieder Lm Depärte-
ment ve l'Ain der Vorhang aufrollt, um ein durch
fieben Iahre hinspielendes bluttriefendes Drama
den entsetztcn Augen der Mitwelt vorzuführen. In-
dem wir uns auf eiuen Auszua der sehr umfang-

wir bedauern, wenu dies einige llnklarheiten im
Gefolge haben sollte; doch sind selbst diese einer
Ermüdung des Lesers vorzuzieben.

Vor acht Monaten wurde die Ergreifung eines
jener Menschen gemeldet, welche bestimmt sind, die
Helden jener unheilvollen Legenden zu werden, deren
fluchwürdiges Andenken von Geschlecht zu Geschlecht
forterbt, An seine Verhaftung knüpfte sich eine
Reihe von Vermuthungen, die sich sämmtlich auf
eine große Anzahl von Verbrechen bezogen, deren
Urheber während dcr letzten Iahre unentdeckt ge-
blieben waren. Iunge Mädchen und Frauen, alle
gleichcn Standes, sämmtlich Dienstboten in und um
Lyon, waren theils spurlos verschwunden, theils
ihrer Habe beraubt^ den gelegten Schlingen entgan-
gen, oh"e der Justi; irgend einen haltbaren Nach-

we.is über die Thäter ltcfern zu können. Allein
kaum war mit dem Verbrechen vom 26. Mai der
Name Dumollard genannt worden, äls ein ein-
müthiger Schrei^ der Entrüstung^ das Volk durchzit-

angeknüpft wurden, welche der allgemeine Schrecken
btsher niedergehalten. Dte öffentliche Stimme zö-
aerte, den Enthüüungen der Iustiz vorgreifend,
keinen Augenblick, diesem Menschen sammtliche bis-
her ungestraft gebliebenen Verbrechen zuzuschreiben,
und die Worte: „Er muß irgendwo errien Kirch-
hof haben", waren in Aller Munde.

Ia, dieser Mensch hatte allerdings irgendwo einen
Kirchhof, und die Untersuchung hat ihn gefunden;
seit acht Monaten hat sie, von Grab zu Grab schrei-
tend, alle diese Leichen ausgegraben, welche sich heute
als unerbittliche Ankläger gegen den Mörder er-
heben. Dicse Ermtttlungen der Justiz konnten nicht
das Werk eines Tages sein; jedes entdeckte Ver-
brechen führtc zur Entdeckung des vorhergegangenen;
186l deckte 1860 auft und so gelangte man bis zu
1855, in welchem Zcitpunkt Dumollard die Rcihen-
folge jeiier Gräuelthaten begonnen zu haben scheint,
deren Begehung er seitdem nicht mchr unterlaffen
konnte. In der That, während sieben Jähren hat
dieser Mensch ein Geschäft daraus gemackt, nach
Lyon zu gehen, dort unter Vorspiegelung eines
Dienstes junge Mädchen und Krauen anzuwerbcn,
sie in Wälder und abgelegene Orte zu locken, sie
dort nach Beftiedigung ftiner thiertschen Gelüste zu

graben und alsdann ihrc armen, blutbcfleckten Hab-
seligkeiten nach Hause zu tragen.

Dieser Mann hatte eine Frau, wenn der Genos-
fln eines solchen Ungeheuers nock dieser Name ge-
bührt. Diese Frau, sie wußte um alle seine Ge-
heimnisse. Mil den Wortcn: „Ich habe eben ein
Mädchen umgebracht, wasche das Zeug da!" —wirft
er ibr blutige Kleiver uud Wäsche zu. Und die
Frau wusch dieses Geräthe, trennte dic Zcichen aus
unv bekleidete sich damit. So durch das Verbrechen
vcreint, lebten diese beioen Wescn während voller
sieben Iahrc; sie aßen ein in Blut getauchtes Brod
und schmückten sich mit dem Raub ihrer armen
Opser.

Doch' wir brechen diesen Eingang ab, um der
Anklageacte nicht vorzugreiscn. Beiläufig nur be-
merken wir, daß die Zahl der Actenstücke in dem
Gcneralfascikel 1250 beträgt und die der Zeugen
mehr als 70 Personen umfaßt. Noch erwähnen wir,
daß die Presse eine Art Gcuugthuung ausfprach,
als man entdeckt zu haben alaubte, daß der Hcld
des Processes nicht französischen Ursprungs, vicl-
mehr sein Vater aus Ungarn eingewandertsei. Da
unsere Blätter in dem Bccker'schen Proceß der Na-
tionaleitclkeit einc gleiche Beschämung zu erfparen
fuckten, so> ist hierüber 'nichts weiter zu bemerken.

Die Sitzung wird im Assisensaal zu Bourg er-
öffnet. Beim Einführcn der Angeklagten sanden
fich Diejenigen sehr getäuscht, wekche in Dumottard
 
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