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Heidelberger Zeitung — 1862 (Januar bis Juni)

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März
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9!» 71.

Dienstag. 23. März 18«2.

Zur MinisterkrisiS

in Preußen, die unter Umftänden bei unbe-
faNgener Beurtheilung der Sachlage so leicht
zu eiuer Verfassungskrisis werden kann, trug
nicht wenig die Spaltung der liberglen Partei
in der zweiten Kammcr bei. Dieselbe hatte
bekanntlich die entschiedene Oberhand, zerfiel
aber in verschiedene Parteigruppen, und zwär
in zwei Haupt- und zwei Nebenfractionen.
Diese Zersp!itteru.ng trug nicht wenig zür
Krisis bei, die nur zum Sturze des Ministe-
riums und zur Auflösung der Kammer geführt
hat. Die constitutionelle und die demokratische
oder sog. Fortschrittspartei waren in ihrem
Programme nicht so getrennt, daß nichk ein
gemeinsames Handeln möglich gewesen wäre.
Ganz besonders fiel dleses nothwendig in Be-!
zug auf Anbahnung so mancher nothwendiger
innern N^formen in Preußen (die deutsche
Frage, und andere äußere Vcrhältnisse waren
einstweilen lieber bei Seite zu setzen), und
wenn das frühere Ministerium die Stcherheit
gegeben hätte, diesen theilweije von ihm selbst
gewünschten Reformen den Weg durch das
Herreuhaus bahnen zu wollen, so war dieses
für alle Fälle so lange zu halten, als nicht
die Gewißheit vorhanden war, daß ein libe-
raleres und volksthümlichetes nachkomrüe. Der,
beste und sicherste Weg zugleich, den der König
von Preußen selbst hütte betreten können, üm
die Krifis dortselbst zu einem cinigermaßen
befriedigenden Ziele zu führcn, wäre ein Ein-
gehcn auf die Forderungen, welche bie cousti-
tutionelle Partei für ihre Uuterstützung gestellt
hatte, unb eine Ausscheidung der conservativ-
reaclionären Gruppe aus dem Ministerium
gewesen, anstatt daß nun die'se lctztcre geblie-
ben, und gerade der liberal-conservative ^heil
ausgeschieden, und ein einhkitliches Ministe-
rium auf Kosten des Liberalismus geschaffen
worden ist.

Zn einem strengconstitutioneüen Staate, oer
nicht mehr in der ersten Entwicklungsperiode
dieses Spslems befongen ist, wie Preußen,
würde die Krisis damit gcendek haben, daß vie
Krone ein Ministerium aus der siegenden
Opposition genommen hätke. An ein Miyi-
sterium ans den Neihen der Forlschrittspartei
wäre nun unter den jetzigcm Verhältnissen in
Preußen in keiner Weise zu dcnkcn gewesen.
AUes was unter bewandten Umstäliden von
dem Könige zu verlangen war, wäre ein volles
' und unbeschränktesEingehen auf das Programm
der constitutionellen Partei gewesen, die eben-
falls ein starkes Königthum will, und zur Zeit

noch eine Macht in Preußen ist. Diese Ent-
scheidung wäre die für die Regierung und das
Land und dessen innern Frieden maßgebende
gewesen. Nicht ganz ohne Grund trug man
sich auch in und außer Preußen mit der Ver-
wirklichung der hierauf gerichteten Hoffnung,
und wir haben diese vor einiger Zeit auch in
den Spalten dieses Blattes von weitem aus-
gesprochen. Die derselben zu Grunde liegende
Jbee svll in der That gewichtige Fürsprecher
in der nächsten Nähe des Königs, unter An-
derfl auch den. Kronprinzen gehabt haben.
Statt dessen ist uun geschehen, was wir alle
wiffen, und tief beklagen. Es macht sich auch
hier wieder ein in politischen Dingen immer
Geltung habendes Naturgesetz geltend, daß der
Fortschritt sich nicht in gerader Richtung, son-
dern in einer Art vvn Wellenlinien Bahn
b.richt, daß bald die eine, bald die andere
äußerste Richtung auf den Höhepunkt gelangt,
und daß erst aus dem Kampfe und der Rei-
bung dieser Ertreme die vernünftige und maß-
volle. Freiheit, die wahre gerechte Mitte
(nicht jener berichtigte Mittelweg zwischen
Gerade und Krumm) siegreich hervorgeht.

. Aencm politischen Fehler der Krone reihte
sich nur allzubald ein weiterer an, mittelst
der in ihrem Tone gewiß nicht weniger als
staatsmännisch, und theilweise in ihrcm Jn-
halte sogar nicht regelrecht constitutionell ge-
haltcnen Proclamation, welche in der vorigen
Woche zuerst in der preußischen officiellen sog.
Sternzeitung erschicnen ist. Wir haben uns
über dieses Actenstück bei einer andern Gele-
genheit bereits näher ausgesprochen.

Vortheilhaft von diesem Acte unterscheidet
sich der nur einen Tag später, zuerst im
preußischen Staatsanzeiger erschienene könig-
liche Erlaß an das neue. Ministerinm. Der-
selbe läßt in seinem Hauptinhalte die ehren-
werthe Gesinnung, die man sonst an dem
Könige gewohnt war, nicht verkennen. Doch
wird diifir Erlaß bei Gelegenheit der Wahlen
im Landc schwerlich bie gehoffte Wirkung thun,,
die mau von Seiten der Regierung von ihm
erwarkct. Man wird die in ihm ansgesproche-
nen Grundsätze in Bezug au^das Festhalten
üns-der Verfaffung nnd an dem im Jahr 1858
qufgestellten freisinnigen Programm kaum für
erpstlich gcmkint, wohl nur für bloße Schein-
versprechen halten. Äuch wenn das neue Mi-
nisterium den — bis jetzt noch in Frage
ftehenden — besten Willen hätte, in gesetz-
licher Weise vorzugchen, so wird es die
Zwistigkeiten zwischen der Regierung und der
Landesvertretung nicht schlichten können, und

es wird von nun an die preußische constitu-
tiostelle Partei in allen ihren Nüancen und
Schattirungen, in den Wahlen, wie auf dem
Landtage zur Opposition gehören. — Einiger-
maßen neutralisirt wird der günstige Eindruck
eines großen Theils jenes königlichen Erlaffes
ohnehin durch die am Schlusse deffelben vor-
kommende Mahnung an die Landräthe und
sonstige Beamte, die man nicht unschwer als
eine directe oder indirecte Aufforderung zur
Einwirkung auf die Wahlen im Sinne der
Regierung auffassen wird.

Wir halten es schließlich für geeignet, diesen
wichtigen Act seinem ganzen Jnhalte nach zu
geben:

Erlaß des Königs an das Staatsmini-
sterium: „Jch beauftrage das Staatsmini-
sterium, wegen der Ausführung der Wahlen
der Abgeordneten unverzüglich die erforder-
lichen Anordtzungen zu treffen. Hierbei ist es
Aufgabe meiner Behörden, ebenso hie gesetz-
lichen Vorschriften gewiffenhaft zur Anwen-
dung zu bringen, als auch den Wählern über
die Grundsätze meiner Regierung unzweibeu-
tigen Aufschluß zu geben, und Einfiüssen von
Verdächtigungen entgegenzutreten, welche die
Unbefangenheit des öffentlichen Urtheils zu
verwirren bezwecken, wie dies bei deu tetzten
Wahlen sich gezeigt hat. Jch halte unabän-
derlich fest an den Grundsätzen, welche ich
im November 1858 den Staatsministern er-
öffnet, und seitdem wiederholt dem Lande
kundgegeben habe. Sie werben, richtig auf-
gefaßt- auch ferner die Richtschnur der Negie-
rung bleiben; aber daran geknüpfte irrthüm-
liche Auslegungen erzeugten Verwicklungen,
deren glückliche Lösung die nächste Aufgabe
der gegenwärtigen Negierung ist. Zn wei-
terer Äusführung der bestehenden Verfassung
soll die" Gesetzgebung /und Verwaltung von
freisinnigen Grundsätzen auSgehen, es kann
aber ein heilbringender Fortschritt nur dann
gedacht werden, wenn, nach besonnener und
ruhiger Prüfung der Zeitlage, man wirkliche
Bedürfniffe zn befriedigen und die lebensfä-
higen Elemente der bestehenden Einrichtungen
zu benutzen weiß. Dann werden die Gesctz-
gebungsreformen einen wahrhaft conservativen
Charakter tragen, während Uebereilung und
Ueberstürzung nur zerstörend wirken. Es ist
meine Pflicht unv ernstcr Wille, der von mir
beschwornen Verfassung und den Rechlen ber
Landesvertretung volle Geltung zu sichern,
in gleichem Maße aber auch die Rechte der
Krone zu wahren, und sie in ungeschmälerter
Kraft zu erhalten, welche für Preußen zur

Varnhagen von Ense's Tagebuch.

(Fortsetzung.)

Am 19. März warf der Prinz dem K.ö.nig mit
vitterem Hohn Feigheit,vor, „bisher habe ich wohl
gewußt, daß du ein Schwätzer bist, aber nicht daß
bu eine Meme bist; dir kann man mit Ehren nicht
mehr bienen." Und damit warf er dem König den
Degen vor die Füße, der außcr sich rief: „das ist
zu arg, du kannst nicht hier bleiben, du mußtfort."

bedauerte seinen Bruder, der selbst ein Verführter
sei. Schon am 26. März klagt Varnhagen: die
Gkwaltknechte, hohe ünd fliedere, heben schon wieder
etwäs die Nase, sie hoffen den verlorenen Boden
zu gewinnen; nian hört schon: die Verbrecher, die
Empörer, das Heillose Gesindel, die sollenjetzt Hel-
den heißen! Verrücktheit! Jns Zuchthaus mit den
Nackern ! sie schwören blutige Nache allen, die jetzt
im Sinnc der neuen Zeit handeln und sprechen.
Ranke glaubt an- völligen Untergang der gehitde-
ten Welt, an Barbarei der wilden Gewalt, so was
sei noch nie gewesen; Bösewichter bewachten den
König, der Pöbel herrsche nach Willkür, alle Sitt-

lichkeit, alle Religion sei dahin. Man kann die
abgeschmackten Emigrantenmeinungen gar nicht an-
hören. Die Garde ist wüthend, weil der König
gesagt, daß er sich nie sichcrer gefühlt, als seit die
Bürger seine Wachen sind; die Offiziere sitzen an
des Köntgs Täfel stumm und antworten einsilbtg.
Der König billigt heimlich den Trotz der Ofstziere,
wird immer widrrhaariger, will Alles nicht und
hemMt und verzögert. Bei den Damchen armselige
Meinungen, Judenjungen und Eckensteher hätten
die höchste Gewalt. Das Junkergesindel ist nö'ch
nicht belehrt genug, man wird ihm die Züchtigung
ftärker zumeffen; das Geschmeiß muß mit Schande
fortgejagt wcrden. Der alberne Faselhans L. war
heute ganz voll von dem, was ihm die sauberen
Eollegen reichlich eingestopft. Wie viel gemeines
Gesindel hat sich bis jetzt an Höfen und tn der Dt-
plomqtie schändltch gemästet.

Bald darauf waren die Erwartungcn Varnha-
gens noch mehr herabgespannt; er klagt, wenn Je-
mand Minister werde, so werde er ein neuer Mensch,
eS sei falsch, daß er seinen alten Namen behalte,
er müßte einen neucn -ekommen, wic einer der ins
Kloster tritt; ist denn die Ministerschaft etn Gift,

das die Sinne umnebelt? „Auf den Oppositions-
bänken hatten die Männer doch guten Verstand,
sie haben ihn in ihre neue Stellung nicht mitge-
nommen; weil sie von der höheren Politik nichts
verstehen, fühlen sie sich unsicher, getrauen sich nichts.
Die Unfähigkeit, der Dünkel, die Verkehrthett sieht
man immer fort in der Welt amtlich thätig und
die träürigsten Ergebniffe liefern, aber nirgends so
groß und verhängnißvoll wie beim Regieren. Nach
solchen Stürmen sollte man einigen Wellenschlag
schon hinnehmen. Mit unserer Volks- und Frei-
Heitssache steht es sehr schwach, man denke sich eine
plötzliche Rückkehr der Fürstenmacht in Frankreich,
würden nickt alle deutschen Fürflen sygleich ihre
Zugeständnisse widerrufen, die Bewegungsführer
verfolgen und stvafen? wir leben von sremdem
Glück, von fremden Einwirkungen; im Thun ist
wohl einige Kraft, aber wie zersplittert und unge-
ordnet! Bci uns herrscht eine große Lüge, zu der
man sich stillschweigend veremigt hat. Regterung
und Volk schreicn nach Emhert, Kraft, Ehre deS
Vaterlandes - Vertrauen zwischen Fürst und Volk
u. s. w. Nickts kommt recht in Gang, alles lahm,
durch die Schwierigkcit mit dem König fertig zu
werden; er hat sich vom Schrccken allmältg erholt,
fühlt sich wieder, der Hinfluß der Kamarilla wird
wieder sichtbar." ^

(Fortsetzung folgt.)
 
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