Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1862 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
März
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2810#0259

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Mittwoch, tS. Marz


18«2.

T Preußen.

. Die Dinge in Preußen sind aus eim-m
Puukte der Entwickelunq angelangt, ddr,un-
sere ungetheilte Aufmerkfamkeit aus sich ziehen
mnß. Als wir vor einiger Zeit m diesen
Blättern die bortige Krisis besprachen, und
avf die Möglichkeit eines Nückschrittes Hin-
wiesen, die in Folge eines liberalen Wahl-
resultats nur zu sehr zu besürchten wäre, da
konnten wir kaum ahnen, daß die Ereigniffe
uns schon so bald Necht geben würden. Und
doch ist es so. Denn ist der Conflict, der
in Preußkn.entbrannt, etwas Anderes als etn
Kamps zwischen dem Königthum vvn Gottest
gnaden und dem Coitstitutionalismus? Wäh»
rend ras.prcußische-Volk, wie 'es in seinen
Abg> ordnetkn 'rcpräsenttrt ist, auch etwas be-
deulen wilt; wahrend es den wahren consti-
tutioneUen Principien gemäß., nicht nur in
Sachen der Gesetzgebung, sondern wenigstens
^mittelbar auch in Dingen. der Verwaitnng
seiNen Eiufiuß geltend zu machen bemüht ist^
erkennt die Krone Piestn Standpunkt nichts
weniger, denn als kinen berechtigten an; all
rh.r Streben geht offenbar dahin, die. Macht,
statt sie mit den Kammern zu theilen, mög-
lrchst unversehrt für stch zu erhalten, und,
wenigstens was die Verwaltung oder das
-eigentlich Politische anbelangt, den Ständen
auch nicht das Minimum einer beflimmenden
Einwirkung cinzuräumen. Jedermann sühlt
ober deutlich, daß die Negierung im weiteren
Verlaus des Kampses vie! weiter getrieben
werden könnte, als sie anfangs woUte; ja,
daß vielleicht bald sogar das xetzige Ministe-
rium noch zu freistnnig sein bürste. Die ganze
'Gituation entsprangsa einzig dem'Lchwankett u.
der Halbheit der Negierung. Kann aber die grö-
ßere Entschiedenheit unv Klarheit, welche biese
nun ganz nvthwentig annehmen muß, in der
Nichtung 'des Liberalismus liegen? Schwer-
lich ! Denn unter dieser Annahme erschiene ja
die Kammerauflösung geradezu sinnlos. Wozu
auch eine solche mchr obex weniger ertreme
Maßregel, wenn man hitttknher bem Libera-
lismns boch Concesstonen machte? Oder soüte
man an maßgebender Steüe° jetzt schon zur
Ucberzeuguug ^gelangen, daß der sttzige Weg
ein durch und durch versehlter sei, daß er
nicht nur in Preußen, sondern mehr otzer we-
niger in ganz Deutschland .Unheil und.Ver-
derben stisten werde. Mag also oer Äönig
immerhitt entschloffkn sein, nach wie vorher
an seinem altrn Programme festzuhalten ; wie
die Dl'nge sich entwickelt. haben, ist nur eines

von Beiden möglich: entwever muß die Re-
gierung eineu voUen Lchritt vorwärts
macheii , und so wiedcr Hand in Hand mik.
dem Volke gehen ; ober sie muß einen SchrM
rückwärts thun, und mit aller Entschieden-
heit dem Volke cntgegentreten. Aus diesen
Gründen werden wir dänn b(e Gerüchte ei-
ner Cab inet skrisis vollkommen begrei-
fen. Es ist geradeZu nothwendig, daß ent-
weder die conservativen, oder daß die libe-
raleii Ministkr zurücktreten.Die großereWahr-
scheinlichkeit hat offenbar lctzteres sür sich.
Aber welche Stütze könnte ein sogenanntes
BureäucratenMi'nisterlnch im Völke finden^
Sein ganzer Halt wäre die Partei der Feu-
dalen und der Ültramontauen. Scheinl es
doch, chaß aus die ConstltukisNkUen nicht eist-
mal tas jetzige Miniftbt ttim mehr zählen darf.
Oder wenn fle in ihr'em jungst 'veröffentlsch-
ten Prograunn die volle Geltung. bcr dem
Volkc verbürgten Rechte verlangen; wenn
sie wollen, daß Preußen nach anßen cine fest e
nationale Politik einhalte; wenn sie im Inüern
eine freiflnnige Regierung und den Ausbau
der Verfaffung in deren Geist fordern; wenn
sie serner die Einheit in der Leilung und
Führnng der Staatsgeschäste für eine uner-
läßliche Bedingung eines.starken und. segens-
reichen Regkments erklären, und zwar nicht
nur die Einheit in der UebereiNstimmilng der
leiteuden Staatsmäiiner vder der Minifter,
sondern auch in der Wahl der höhcren Ver-
waltungsbeamtkn; wenn sie endlich das Her-
renhaus in seiner gegenwärtl'gen Zusammen-
setzulig als däs Haupthlnderttiß einer fre'isin-
nigen und nationalen Politik und einer ge-
beihlichen Entwicklnng der Gesetzgebung hin-
stellcn — dann ist klar, daß selbst die Con-
stitutioneüen dem Ministerium, so wie es jetzt
zusaännengesktzt ist, so wie es jetzt eine Po-
litik besolgt, Opposttion machen würden. Und
erst einem rein conservativeil beziehungsweise
einkm rkactionären Mlnisterrum! Wenn also
das jetzige Ministerium höchstens dann aus
eine Mehrheir der nächsten Wahlen >echnen
kann, salls es sich, jenem Prögramme gemäß,
in liberalem Sinn regenerirt ; wenn aber dies
leider kaum zu hoffen ist, was bleibt dann
anders übrig, als daß das Ministerium ohne
eine Kammermehrheit fortregiert, oder, was
wahrschel'nll'cher ist, einer ganz conservativen
Negterullg Platz machlD In beiden Fällen
aber haben wir einen Conflict zwischen der
Regierung und dem Volke, und höchst uncon-
stitutionelle Vcrhältnisse. Das ist bie Gefahr,
die nicht nur Preußen, die mittelbar uns Al-

len droht, invem auch unsere Züstände ei'ne
nachthetlige El'nwl'rkung erleiden dürften, Ln-
dem Deutschlanv überhaupt nicht gertngen
Schaden davon trägen würde. Denn, auch
ganz abgesehen von der eigentlich innern Po-
litik, welche Stellüng können wir nach Au-
ßen hin einnehmen, wenn in dem größten
bentschen Staate ein derärtiger Conflict zwi-
scheü Negierung und Volk aüsgebrochen? Und
was dürfen wir bezüglich der deutschen
Frage hoffen, wenn es derart in Preußen
xückwärts geht? Wahrlich! könnte der Ernst
der Läge größer sein? Und stehen wir nicht
an einem Pünkte, der vieüeicht über sehr
Ai'ele.s entscheiden- wird ?

* Politische Umschau.

Der Wahlaufrus der Fortfchrittspartei wird
von der Berliner Bevölkerung sehr günstig
aufgenommen; dagegen findet das Programm
der Constitutlonelleü gar keinen Anklang und
nur selten einen Unterzeichner von bekanntcm
Namen. Selbst in Breslau^ wo v. Kirchmann
bei den leßten Wahlen nur in einem sehr
günstigen Augenblick. siegte, ist die Stimmung
ganz zu Gunsten der Fortschrittspärtei um-
geschlagen.

Aus Anlaß des Geburtstages seines Sch-
nes hat Napoleon HI. einer Anzahl von nicht
weniger als 64 Bürgermeistern kleiner Städle
und Dörfer das Kreuz der Ehrenlegion ver-
liehen.

In der heutigen Unterhaussttzung stellte
Griffith die Frage, ob das neue italienische
Minlsterium die Abflcht habe, einen Theil des
Gebietes abzutreten. Lapard antwortete, Rica-
soli habe England die Verficherung ertheilt,
daß weiter keine Abtretungen als die bishe-
rigen geschehen würden. — Lapard erklärte
ferner, der Bericht der Herren Forster und
Hobart thue dar, daß die Finanzen der Tür-
kei auf verständigen Grundlagen beruhen.

Jn der Deputlrtenkammer zu Turin inter«
pellirte Petruceüi wegen der Zusammenkunft
der Blschöse in Nom, die als Beamten von
der Negierung abhängig wären und folglich
der Erlaubüiß bedürfen, nach Rom zu gehen.
Die Bischöse bekümmerten flch mehr um die
weltl. als um die göttl. Macht. Nom willdie welt-
liche Macht als ein Dogma verkünden und einen
Aufrufan alle Katholiken gegen Frankreich und
Italien erlaffen. Nur als Bürger bürste man die
Bljchöfe nach Rom gehen lassen. Minister Poggi
erwidert, der Zweck der Versammlung sei un-
bekannt, nur so viel sei sicher, daß er kein

Varnhagen vvn Ense's Tagebuch.
i.

Jn dem kürzlich erschieneuen dritten und vierten
Band dieser Tagebüchcr, welche die. Jahre 184s
b.is 1848 umfaffen, läßt der Verfaffer-ein helles
Licht in dunkle Räume fcheinen und zeigt in der
Nähe, was man bisher. nur äus der Perspective
kannte. Die .Hofblätter schimpfen über den Ver-
räther, der das„ was er im Umgang mit Regie-
rnngsleuten erfahren, nun ins Publikum bringe;
allein sie hätten ihre Mahnungen besser an die,
welche zu seinem Tadel Anlaß gegeben, und an jene
gsrichtst, welche aus gegenftitiger Eifersucht und
Standesvornrtheil den Verfaffer, der ihn.en.Ge-
heimhalfung nie versprochen, so gut unterrichtet ha-
ben, und für welchen übrigens aüe dieft Vertr«lü-
lichkeiten gar kcinen Werth hatten, wenn er sicAls
scharftx Beobachter der- Menschen änd Dinge nicht
zu Bemerkungen über die Sachlage hätte. gebrau-
chen dürfen ; das Geschrei, das nun über Vertrau-
ensmißbrauch sich laut macht, ist daher ebenso ab-

Varnhagen berichtet, bald nach Ncujahr1845 habe

verlautet, daß der König entschlossen sei, Reichs-
stände zu berufen und den Entwurf bereits tn der
Hauptsache ausgearbeitet habe; er halte sich ver-
pflichtet, das Versprechen ftines Vaters'auszuführen,
„es hanoelt sich darum, ob ich ein rechtlicher Mann
bin, oder ein Lump; wenn mein Bruder Wilhelm
entgegen ist, so wird es meinem Herzcn weh thun,
aber sonst krinen Einfluß üben", sagte er. Mit
französischen Einrichtungen zu regieren, ftt ihm zu-
wider, er wolle den Deutschen zetgen, daß mit ächt-
deutschen Elementen dte Sache gebildet werden
könne. Auf wie langwierigen, schmutzigen und
rauhen Wegen soll aber Preußen zü einer Eonsti-
tution gelangen? Der König bildet es sich ein,
die Provinziälftände ftien etwas deutsch-historisches;
von älteren deutschen Landständen ist kaum eine
Spur darin, die bewilligten oder versagten Steuern,
und griffen in die Verwaltustg ein; unftre Pro-
vinzialstände dagegen sind nur nach dem Maße der
Angst und Furcht gemacht; ahmt man den Fran-
zosen ihre Kanonen,» I» ?sixb»«8 nach, warum nicht
auch ihre Verfaffung. Der vorige König hatte seine
Meinung aufgeschrieben, daß er die Provinzial-
stände wohl allmälig erweitern, aber nie Reichs-

stände geben wolle, vergaß aber das Blatt ins Reine
zu schreiben; ein solches Papier zu gelegener Zett
vorgebracht, könnte den Willen des Königs um-
werfen. Wcnn der Köntg erst eine Constitution
gegeben hat, kann es noch zwanzigjährige Kämpfe
kosten, ehe die Sachen so zurcchtgerückt sind, wie fie
eintgermaßen bleiben könnten.

Varnhagen schildert dann den Widerstand, den
der König bei dem Wenigen, das er bewilligen
wollte, von Seiten dcs Prtnzen von Preußen, der
Iunker und der Frömmler erfuhr. Der Prinz sei
mit dem König hart zusammen geweftn, habe ihm
vorgestellt, er werde solche Bewegungen nicht leiten
können, er sei nicht zum conftitutionellen Regenten
gemacht ünd werde wüthend werden, wenn thm die
Stände daö Geld zum Bauen und Reisen abschlü-
gen; die Provinzialstände maßten fich schon an,
was ihnen nichtzukomme. Der Prinz ließ sichdann
staatsrechtliche Gutachten aüsarbeiten, dft thm ein
Recht des Widerspruches zuerkanntcn; der König
setzte dieftn andere entgegen, welche diefts Recht
verneinten; schon nach wenigen Tagen äußerte der
Prinz: „Ich habe einen Knüppel dazwtschen ge-
worfen, der fthr hinderlich ftin wtrd." (Forts. s.)
 
Annotationen