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Heidelberger Zeitung — 1862 (Januar bis Juni)

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Februar
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Wdtlbergrr Irilung.

N 38


Samstag, IS. Februar L8S2.

Stimwen über die preußifche Politik.

Es ist ni'cht unl'ntereffant, über das Mini-
sterium Schwerin die Urtheile solcher Blätter
zu verzeichnen, die dnrch Tendenz und persön-
liche Verhältnisse näher mit der preußischen
Regierung zusammenhängen. Die „Kölner
Zeitung" sagt: „Die preußische Negierung hat,
um die deutsche Einigkeit herzustellen, kein an-
deres Mittel Ln Händen, als sich rücksichtslos
der deutschen Nation anzuschließen. Davon
ist sie weiter als je entferntt Jm Gegentheil,
wenn die Stimmung Deutschlands gegen Preu-
ßen augenblicklich mehr als lau ist, so hat die
preußische Negierung zu dieser Stimmung das
Ihrige beigetragen. Weit enlfevnt von jeder
Begeifternng für die deutsche Einheit, werden
die Zeichen derselben in Preußen mit Muhe
und kaum geduldet . . . Preußen hat in Be-
treff Deutschlands gar keinen Plan, und noch
weniger eine deutsche Regierung, welche eincm
solchen Plane zustimmt. Dazu kommt noch
die wachsende Mißstimmung in Preußen über
den immer höher geschraubten Steuerdruck und
die ganz übertriebenen Anforderungen für ein
plötzlich um die Hälfte vermehrtes stehendes
Heer und ein um ein Dritte! erhöhtes Mili-
. tärbudget, das Kriegssteuern im Frieden, De-
ficits und Anleihen ohne Ende in Aussicht
stellt, das Verbleiben so vieler und fast über-
wiegender reactionärer Elemente im Ministe-
rium und den höheren Beamtenstellen, die Fort-
dauer des Herrenhauses in seiner gegenwär-
tigen, jeden nennenswerlhen Fortschritt un-
möglich machenden Zusammensetzung u. s. w.
Kann man sich unter allen diesen Umständen
wundern, wenn die Stimmung der deutschen
Nation jetzt mehr als flau ift? . . . Mau muß
Nfirklich ein Träumer und Schwärmer sein,
um von der gegenwärtigen preußischen Regie-
rung 'Großthaten für die deutsche Einheit zu
erwarten. Es erwartet sie auch ehrlicher
Weise Keiner. Es gibt unter uns aber „Li-
berale", welche alles zu thun wünschen, was
die Negierung haben will, namentlich die über-
mäßigen Forderungen für das Militär zu be-
willigen. Diese schnappen förmlich nach Grün-
den, womit sie den Abfall von allen ihren
früheren Ansichten in dieser Frage vor der
Welt beschönigen möchten. . . . Wir haben ge-
sehen, daß die Würzburger Pläne in Nichts
auslaufen müffen, auch wenn Preußen sich gar
nicht darum kümmert. Und von Herr« von
Roon. ist zu erwarten, daß, wenn man ihm den
Gefallen thue, die geforderten Millionen zu
bewilligen, er dagegcn uns den GefaUen thun

würde, für die deutsche Einheit zu marschiren,
das ist in Anbetracht aller Umstände eine so
große Thorheit, daß man sie einem Menschen,
der anch nur mit mäßiger Urtheilskraft begabt
ist, unmöglich zutrauen kanu." — Ein an-
deres Blatt, welches gewiß- nicht leicht Un-
freundtiches über Prenßen in seine Spalten
aufnimmt, (auch wir möchten weit lieber einen
zwingenden Anlaß haben, „freudige Begrü-
ßung" ergehen zu laffen!) nämlich die „Zeit"
sagte vor einigen Tagen, indem sie jetzl das
Zutrauen der Nation zu Preußen als welt
schwächer, denn im Jahre 1850 darstellte:
„Wer uns 1859 gesagt hätte, daß Oesterreich
und die Mittelstaaten es Preußen zuvorthun
würden in einem ernstlichen Schritt zur Ab-
änderung der Bundesverfassung! . . . Wir
wollen sehen, ob Graf Bernstorff noch der
Mann ist, der er 1850 zu sein schien, und ob
er unter verschlechterten Umständen gut zu
machen versteht, was Herr v. Schleinitz' unter
den günstigsten schmachvoll versäumt hat. Aber
vor allem wollen wir sehen, ob die gepriesene
nationale Gesinnung der liberalen Parteien,
mehrere Minister eingeschlossen, die erste über
Redensarten hiyausgehende Probe bestehen
wird. Wenn jetzt die feige und bequeme
Weisheit, Deutschland sich selbst zn überlaffen
und sich auf den eigenen Staat zurückzuziehen,
obenauf kommen sollte, so kann Preußen Dinge
erleben, bei denen ihm die armselige Einbil-
dung des Sichselbstgenügens schnell abhanden
kommen wird. Dann könnte das Motto der
Schwarzenberg und Rechberg zur Wahrheit
werden, ohne daß sich außerhalb Preußens
eine Hand oder nur ein frommer Wunsch da-
gegen rührte; — deun Dienst um Dienst, nicht
anders! und wehe über die, welchtz sich von
ihrem Äolke unter was immer für gleißneri-
schen Vorwänden lossagen."

* Politische Umschau.

Die „Kreuzztg." hört, die Antwort Preu-
ßens auf die österreichische Note sei bereits
festgestellt und möglicherweise schon nach Wien
abgegangen. Soviel die Kreuzztg. äußerlich
vernommen hat, dürfte die Verwahrung Oester-
reichs zurückgewiesen, und auch die Einladung
zur Theilnahme an einer Berachung über die
Reform des Bundes in Rücksicht auf die be-
reits zurückgewiesene Triasidee abgelehnt
werden.

In der nächsten Woche soll eine Versamm-
lung der Berliner Gastwirthe stattfinden, um
darüber zu berathen, welche Maßregeln zu

ergreifen sind, um ferneren Ercessen der Sol-
daten in den öffentlichen Localen vorzubeugen.
Es ist der Antrag gestellt worden, Militärper-'
sonen in Uniform den Eintritt in die öffent-
lichen Locale überhaupt nicht mehr zu ge-
st atten.

Die Fraction Grabow hat, wie wir ver-
nehmen, bereits heute in der deutschen Frage
beim Abgeordnetenhause einen Antrag einge-
bracht und sich also auch in dieser Angelegen-
heit schließlich beeilt, der deutschen Fortschritts-
partei, wie ein anderes hiesiges Blatt sich
ausdrückt, um ihre Nasenlänge zuvor zu kom-
men. Das ist also das Resultat der gepflo-
genen Vcrhandlungen. So sehr wir immer-
dar wünschen werden, daß das Abgeordneten-
haus in grvßen politischen Fragen seine Be-
schlüffe mit Einhelligkeit fasse, so sehr werden
wir es aber auch stets als einen politifchen
Fehler ansehen, wenn man sich zu einem Pac-
tiren unter Parteien entschließt, zwischen wel-
chen jede Vereinigung unnatürlich ist.

Aus Schleswig-Holftein wird der „Magd.
Ztg." geschriebcn: „Nach dem neuesten Be-
schluß des Kopenhagener Rumpf-Reichsraths
ist für Preußen jetzt die Lage die, daß es nun
entweder euergisch wird vorgehen müssen, um
mit Ehren weiter zu führen, was es vor
Iahren angefangen und stels als eine „na-
tionale Pflicht anerkannt hat, oder es muß sich
zu einem schimpfllchen Rückzuge entschließen.
Nichts ist sicherer alS dieß. Preußen kann
vielleicht noch etwa drei bis vier Monate
mit Depeschenschreiben vertrödeln, aber mit
aller diplomatischen Kunst wird es dem „Ent-
weder-Oder" sich nicht länger entziehen kön-
nen. Dem nußlosen Hin- und Herreden ein
Ende zu machen, wird vielleicht dem Berliner
Cabinet schwer genug werden, aber es gibt
denn doch eine Gränze, wo schließlich auch der
Redseligste, der Ehre wegen, aufhören muß,
zu sprechen."

Die sranzösischen Journale sind, wie „Opin.
nat." bemerkt, durch ein neuliches Urtheil, wel-
ches die Unterschrift ihrer Artikel durch den
Redactionssecretär als nicht genügend erklärt,
in der üblen Lage, von Nom und Petersburg
nichts mittheilen zu können, denn Niemand
werde sich dort Kerkerstrafe oder Verweisung
nach Sibirien aussetzen wollen, wcnn sein
Name unter der Correspondenz eines Pariser
Blattes erschiene.

Der kaiserliche Gerichtshof von Paris hat
das Urtheil des Handelsgerichts gegen Pon-
talba, welches denselben zum Ersatz von
1,700,000 Franken an die Liquidatoren dex

Proceß Dumollard.

Eröffnet zu Bourg am 29. Ianuar.

(Fortsetzung.)

Wir sind an Ort und Stelle, antwortete der Un-
vekannte, und streckt im nämlichen Augenblick den
Arm nach seinem Opfer aus; dieses sieht einen Strick
nnt einer Schlinge über seinem Haupte schweben;
durch eme instinctartige Bewegung erhebt die Be-
drohte beide Hände, um sich zu schützen, läßt ihren
Schlrm und ihren Carton fallen und stößt ihren
Angreifer kräftig zurück. Im Niederfallen aufge-
halten, hatte das mörderische Werkzeug nur ihre
Haube ergnffen und vom Kopfe geriffen. Augen-
blicklich ergreift nun Marie Pichon dre Flucht, in-
dem sie Hülferufe ausstößt; sie stürzt, verletzt sich
bedeutend im Gesicht und am Handgelenk, allein
die Verzweiflung gibt ihr Kraft, sich zu erheben,
als sie die nahcnden Schritte des Mörders hört.
Außer sich rennt sie auf's Geradewohl mitten durch
die Finsterniß, gelangt an die Menbahnbarriere,
übersteigt sie und rettet sich endlich, geleitet von fer-
nem Lichtschimmer, nach dem Dorfe Ballau, wo ihre
Er^ählung Angst undbSchrecken^v^rbreitet.

suchung nach ihrem Koffcr und den anderen Wecten,
allein fruchtlos. Das Verschwinden dieser Sachen,
so kurz nach Verübung des Verbrechens, schien an-
zuzeigen, daß der Schlupswinkel des Missethäters

nicht weit zu suchen sei. Anderkrsetts verrieth der
rur Nachtzeit verfolgte Weg eine vollständige Orts-
kenntniß. Endlich und hauptsächlich führte der an
der Pichon gemachte Versuch die Erinnerung an
rahlreiche Attentate ganz gleicher Art herbei, die
seit mehreren Iahren unter den nämlichen Umstän-
dcn in der Umgegend vorgekommen waren. Die
Gleichheit des Standes der Opfer, welche sämmt-
lich dcr dienenden Claffe angehörten; die Aehnlich-
keit des Manövers, durch welche sie verlockt worden,
vie Identität der Personalbeschreibung des Thäters
endlich, stets mit derselben Kleidung, demselben
Wuchs, derselben Entftellung an der Oberlippe —,
Alles bewies, daß der Versuch, welchem Marie Pi-
chon glücklich entronncn, nur die Fortsetzung einer
Reihe von Verbrechen war, welche für thren Ur-
heber zu einer wahren Jndustrie geworden sein
mußten.

Die Augen der Justiz wurden bald auf die Be-
wohner eines Hauses im Weiler du Mollard (gleich-
lautend mit dem Namen des später Anaeklagten),
zur Gemeinde Dagneur gehörig, hingelentt, in deffen
Umgegend sich die Orte befinden, an welchen bie
Pichon in jener Nacht vorüberkam. Die Nächbarn
dieser Behausung sprachen mit Argwohn von dem
Geheimniß und dem verdächtigen Schweigen, wel-
ches dort herrsche. Der schlechte Ruf, in welchem
dieser Haushalt stand, das versteckte, mürrische und
heuchlerische Benehmen der Frau; die unaufgeklär-
ten nächtlichen Gänge des Mannes, - Alles dies,

ments, vereinigte sich, um den dringendsten Verdacht
auf Dumollard zu lenken, der überdies schon zwei-
mal wegen Diebstahls bestraft war. Daraufhin
zögerte der Friedensrichter nicht länger, gegen ihn
einzuschreiten und über sein Verwerlen am Tage
und in der Nacht vom 26. Mai Rechenschaft zu
fordern. Die verlegene Haltung des Ehepaars,
rhre ausweichenden und widersprechenden Antwor-
ten, das Vorfinden einiger verdächtigen Geräth-
schaften im Hause, Alles schien anzudeuten, daß die
Iustiz nicht irre gegangen sei. Dumollard wurde
sofort verhaftet, der Pichon vorgestellt ünd von
dieser mit vollster Bestimmtheit als ihr Führer in
jener Nacht anerkannt. Mehrere Personen, welche
beiden begegnet waren, bestätigten diese Anerken-
nung. Das beharrliche und sinnlose Leugnen, wel-
'ches Dumollard diesen Zeugniffen entgegensetzte,
wäre ntcht zu erklären, hätte nrcht dte Verfolgung
der Untersuchung den wahren Beweggrund dieser
Hartnäckigkeit aufgedeckt. Indem er den Mordver-
such gegen dte Pichon leugnete, hatte der Angeklagte
weniger diesen einzelnen Fall, als vtelmehr die
graucnhaften Enthullungen vor Augen, zu welchen
die Erwiesenheit jener Thatsache die Iustiz leiten
mußte.

Inzwischen war auch seine Frau, welche mehrere
verdächttge Gegenstände zu beseitigen gesucht, ver-
haftet worden. Genaue und wiederholte Haussu-
chungen ergaben enormeQuantitätenvynKleidungs-
 
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