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Heidelberger Zeitung — 1862 (Januar bis Juni)

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April
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Mdelbtrgrr Irilung



Zur Situarion rn Preußen.

Wenn wir diese in einer Art von Total-
anschauung zusammenfaffen, so finden wir,
daß das gute Einvernehmen zwischen Negie-
rung und Lolk seit 1858 hauptsächlich durch
zwei Ursachen getrübt worden ist. — Die
erstere hiervon war der hartnäckige Wider-
stanv des Herrenhauses gegen zettgemäße Re-
gierungsmaßregeln, wovon eine gewiffe soli-
darische Mitschuld auf die Regierung selbst
fiel, weil sie diesem Wiverstreben nicht durch
einen Pairsschub ein Ende machte. Der zweite
Grund zur Unzufriedenheit war die Heeres-
umwandlung, durch die das mit dem preußi-
schen Volksbewußtsein verwachsene Landwehr-
system über Bord geworfen und der Steuer-
kraft des Landes, die auch bisher nicht be-
svnbers geschont worden war, eine auf die
Dauer unerträgliche Last aufgebürdet wurde.
Besonders der zwetle Grund erhob sich in der
drohenden Gestalr einer Klippe, an der das
bisherige gute Einvernehmen zwischen Lolk
und Regierung scheitern sollte. Hterzu kam
noch die beutsche Fragc, welche mil ber Mili-
tärfrage von der Fortschrittspartei in nahe
Verbindung gebracht wurbe. Dieselbe setzte
nämlich als Folge der Entscheidung dieser
Frage in ihrem Sinne große Ersparniffe im
Heerwesen in Aussicht. Stehl nämlichPreußen,
so raisonnirte sie, erst an der Spitze von Deutsch-
land, so würden die Armeekosten zum großen
Theil auf die übrigen deutschen Staaten über-
tragen. Bekanntermaßen brach der erst bei
Berathung des Militärbudgets erwartete Con-
flict mit der zweiten Kammer schon früher,
in Folge des vielbesprochenen Hagen'fchen An-
trags aus. Wenn damals schon, in Folge einer
bloß secundären Frage, die Krone sich zu einer
Kammerauflösung entschloß, so wird man nicht
sehr fehlgehen, wenn man die eigentliche Ur-
sache hiervon darin sucht, daß jene von ihrem
Stanbpunkte aus durch eine solche antieipirte
Maßregel überhaupt jeden folgenden, ihr un-
angenehmen Anlaß zu weiteren Erörterungen
in den obschwebenden Cardinalfragen abschnei-
den wollle. Nach constitutionellen Principien
war entweder eine Auflösung der Kammern,
oder die Eutlassung des Ministeriums zu er-
warten. Auf beides zugleich war Niemand
gefaßt; und doch erfolgte noch ferner bie
Entlaffung des Ministeriums. Ueber die we-
sentlichen Motive des Ministerwechsels kann
man nun selbst nicht mit Sicherheit sprechen,
da officielle Aufklärungen noch nicht vorliegen.
Doch beruht glücklicherweise dasjenige, was

Mittwoch, 28. April

über reactionäre Entschlüffe gesprochen wurde,
mehr oder weniger auf unerwiesenen Voraus-
setzungen. So viel steht jetzt schon sest, daß
der König von einem Theile seiner Rathgeber
sich nicht deshälb getrennt hat, um einen völ-
ligen Systemwechsel im Sinne der Kreuzzei-
tung zu vollziehen. Seine Intention bei die-
sem Schritte scheint vielmehr hauptsächlich die
gewesen zu sein, sich zu Rathgebern solche
Männer zu wählen, die mehr seine per-
sönliche Politik vertretfn.. Nach Allem,
was bis jetzt vorliegt, scheint dieses das
Motiv des Ministerwechsels gewesen zu sein.
Hierin liegt nun freilich eine schmerzliche Ent-
täuschung für alle Diejenigen, welche von der
neuen preußischen Aera die unverzügliche Ent-
stehuttgkinerregelrechtenconstitutloneUenPraris
erwarteten. Dcr Gedanke, Preußen im Laufe
von einigen wenigen Jahren in einen beutschen
Musterstaat verwandelt zri sehen, ist zu einem
schönen Traume gewordeu. Auf dem rauhen
Boden der Wirklpchkeit vollziehen sich, nach
allen bisher gemachten geschichtlichen Erfah-
rungen, aber solche Umwandlungen nicht so
rasch und ohne Anstand. In einem jungen
constitutionellen Staate vergeht immer eine
gewiffe Zeit, bis die verschiedenen Fqctoren
der Staatsgewalt sich in das nölhige Gleich-
gewicht setzen. Nur längere Erfahrung vermag
den richtigen Tact zu verleih'en, der hierzu
gehört. In der ersten Zeit genügt es am Eude,
wenn sowohl die Regierung als das Volk die
Verfassuug achten. Nun haben freilich die
jetzigen Minister gleich nach ihrem AmtSan-
tritte den Beweis gegeben, daß ste das con-
stitutionelle Leben, um einen milden Ausdruck
zu gebrauchen, in einem sehr büreaukratischen
Sinne auffaffen, nämlich durch ihren bekannten
Erlaß über bie Wahlen, durch welchen bie
Wahlfreiheit in ungehöriger Weise befchränkt
und ver Einmischung reactionärer Verwal-
tungsbeamlen der weiteste Spielraum gestattet
wird. Im Uebrigen haben sie aber doch be-
reits, selbst abgesehen von dem berüchtigten
Heidl'schen Schreiben, die Absicht an den Tag
gelegt, den eigentlichen Streitpunkt, die Kosten
der Heerorganisatiön, vermittelnd zu bcsei-
tigen.

Daß der Trieb der Selbsterhaltung diese
Concessionen abgenöthigt hat, hierauf kommt
es zunächst nicht an. Das Volk erfennt hierin
einen Fortschritt unv Sieg, und fühlt sich dem
Minister'um deshalb durchaus nichtverpflichtet.
Ueber den Ausfall der bevorstehenden Wahlen
läßt sich schon jetzt eine Wahrscheinlichkeitsbe-
rechnung aufstellen, dr'eWarnungen und Wahl-

JasertionSgebühreir für die Zspalti^e Petit-

befehle der neuen Minister werden allem An-
schein nach nicht ganz ohne Wirkung sein, und
es werden die Junkerpartei und die willfähri-
gen Beamten dem Ministerium eine Anzahl
Stimmen in den Landeskörper zu werben wis-
sen. Wenn mau die Erfahrungen früherer
Jahrezu Rathe zieht, sowird man schwerlich ei-
nen bedeutenven Rechnungsfehler machen, wenn
man den Gewinn des Ministeriuzns auf etwa
30 Stimlnen anschlägt, die oft aber ein theuer
erkaufter und unfruchtbarer Gewinn. Denn
diese 30 Stimmen sind ungenügend, um dem
Ministerium eine Hilfe zü gewähren, und —
was noch mißlicher für die Regierung ist —
dieselben werden nicht der Fortschrittspartei,
sonbern den Altliberalen verloren gehen. Diese
erstere Fraction, welche auch in der vorletzten
Sitzung die Majorität in der Hand hielt,
wirb daher voraussichtlich zu einer Minder-
zahl zusammenschmelzen, welche auch bei ir-
gend einer glücklichen Combination von Zu-
fällen schwcrlich im Stande wäre, einem Mi-
nisterium eine Stütze zu geben, oder.selbst ein
lebensfähiges Ministerium aus den Talenten
ihrer Mitte zu besetzen. Wenn daher nicht
alles trügt, wird die Zukunft in der zweiten
Kammer ber Fortschrittspartei gehören, jedoch
nicht in der Weise, daß sie in der nächsten
Zeit irgend einen entscheidenben Einfluß auf
den Gang der Regierung ausüben kann. Ebenso
wenig wird, wie es allen Anschein hat, das
Ministerium dieser Partei schroff gegenüber-
treten, oder gar einen Conflict absichtlich vom
Zaun zu brechen suchen. Vielmehr wird es
sich derfelben nicht unfreundlich gegenüber-
stellen, in den obgenannten innern materieüen
Landesfragen selbst nachgiebig zeigen, jedoch
. jedes Eingehen auf eigentliche politische Fra-
gen thunlichst zu bermeiden suchen. Unter
diesen Unrständen erscheint es uns sehr wahr-
scheinlich, daß man ' um jede Gelegenheir
zu dem Letztern zu vermeiden— annqlog dem
bei dem Hagen'schen Antrag eingehaltenen
Verfahren — den Landtag möglichst abkürzt,
mithin dse Kammer nach Erledigung der wich-
tigern innern materiellen Punkte in Gnaden
entläßt, oder auf unbestimmte Zeit vertagt.
Hiedurch würde der Siege der Fortschritts-
partei in den eigentlich politischen Belangen
fruchtlos bleiben, ohne daß die Regierung
nöthig hat, einen Conflict hervorzurufen und
zu offenbarem Staatsstreiche oder andern ge-
hässigen Maßregeln ihre Zuflucht zu nehmen.
— Dies scheint uns der wohlüberdachte Gang
des Heidt'schen Systems zu werden, zu dem
die Anfänge jetzt bereits gelegt sind. Eine

Ein lebendig Vegrabener.

(Schluß.)

Eine Ahnung meines furchtbaren Zustandes kam
über mich und erfüllte mich mit namenloser Angst.
Fortwährend machte ich verzweifelte Versuche zu
sprechen oder mich zu bcwegen, aber sie waren ver-
gebens. In dieser gräßlichen Lage brachte ich den
Tag und die Nacht zu.

Den andern Tag kleidete man mich in das Leichen-
hemd. Drei Tage blieb ich ausgestellt. Während
dieser Zeit kamen die Freunde meiner Familie,
machten ihre Condolenzvisiten und ließen ihrer mehr
oder minder tief gefühlten Trauer an meinem Lei-
chenbette freicn Lauf. Ich hörte, ich begriff Alles,
was um mich her vorging, und von Minute zu
Minute hoffte ich, aber immer vergebens, daß der
Zauber brechen werde, der mich gefesselt hielt.

Ant Morgcn des viei ten Tages wurde der Sarg
gebracht. Meine Familie hatte sich' zurückgezogen,
ich war den Leichenmännern überantwortet. Ein
furchtbarer Schreck durchrieselte mich, als sie mich
ergriffen, um mich auf das letzte Lager zu legen.
Jedes Wort hörte ich, das fie dabei sprachen. Sie

unterhielten sich über ganz gleichgültige Dinge und
machten rohe Scherze. Dabei behandelten sie mich
mit der größten Brutalität. Es war eben bet ihnen
Handwerkssache und sie suchten so schnell wie mög-
lich davon los zu kommen. Der Sarg war etwas
enge ausgefallen, ich fand nicht recht Platz darin.
Die beiden Leichenmänner suchten mich mit Gewalt
Hinabzudrücken und, da das nicht recht gehen wollte,
setzte der Eine sein Knie auf meine Brust und preßte
mich auf diese Weise in den engen Sarg. Die Qual,
die ich dabei empfand, war ungeheuer. Ia ich hoffte,
ihre Heftigkcit werde mir die Kraft geben, ihr Aus-
druck zu verleihen. Aber ich hoffte vergebens.

Der Deckel des Sarges wurde geschlossen und bald
hörte ich, wie die Nägel in das Holz getrieben wur-
den. Den Schrecken, die Verzwetflung, die mich
dabei ergriffen, kann ich nicht schildern. Hierfehlen.

das sich ein'Mensch denken kann, oder besser, es ist
grauenhßfter, viel graurnhafter, als es ein mensch-
liches Herz nachzuempfinden vermag. Ieder Schlag
durchschauerte meinen ganzen Körper, mit jedem
Schlage stand es klarer vor metner schreckenerfüllten
Seele, das Schicksal, das meiner warlete.

Wenn ich noch hätte fchreien können, wenn ich,
selbst ohne die Hoffnung gehört zu werden, nur

nein, stumm mußte ich es ertragen, keine Klage
wollte über meine Lippen kommen. Meine Schul-
tern und meine Brust waren in dem engen Raume
zusammen gequetscht, meine Glieder hielt der furcht-
bare Bann gefessellt, klar stand es vor meiner Seele,
daß man mich lebendig begraben werde, und ich
mußte regungslos liegen, mußte alles erdulden und
konnte durch kemen Laut, durch keine Bewegung es
anzeigen, daß ich lebe, daß man einen Lebendigen
im Grabe verscharren wolle.

Bald wurde der Sarg aufgehoben. Man trug
ihn aus dem Hause und schob ihn in den Leichen-
wagen. Der Zug setzte sich in Bewegung. Merne
Angst ftieg auf das Höchste. Seither hatte ich immer
noch gehofft. Ietzt sollte sich erfüllen, was ich zu
fürchten kaum gewagt hatte. Das Entsetzliche war
in gräßlicher Nähe. Man kam auf dem Kirchhof
an. Als der Wagen hielt, war es mir, als müßte
jetzt meine rasende Angst die Fesseln brechen. Ich
machte einen gewaltsamen Versuch, zu schreien. Er
war vergeblich. Man hob den Sarg vvn dem Wa-
 
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