Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1862 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Mai
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2810#0492

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
N 123


Dienstag, 27. Mai


1862.

X Frhr. I. Heinrich v.

sein Leben un- WLrken.

(Bon Dr. Ios. Birk, Großh. Bad. Geh. Hofrath.)

Weich' kin reiches, bedeutunqsvolles Leben
entfultet dikseS Buch vor unsern Anqen!
Welch' ein wichtiqcs Stück unserer Geschichte
spiegelt sich in Weffenberg's Leben und Wir-
ken, seinen Kämpsen und seinem Märtyrer-
thum ab! Welch' ein Mann! Welch' ein
Character! —

Möge es mir vergönnt sein, Jhnen den
Jnhalt des Buches nach der Auordnung, die
vom Herrn Versaffer selbst mit dem überrei.
chen Stoffe getroffen, vorzuführen.

Wessenberg's Iugend führt uns zu-
rück zum Ausgangspunkte der alten Zeit,
noch herrscht äußerlich Ruhe und Unterwersung
unter das zwiesache Ioch des kirchlichen und
politischen Despotismus; aber schon kreisen
die Ideen in den befferen Köpfen, die eine
neue Zeit herbeisühren, die abgelebte Form
der alten stürzen müssen. Schon beginnen die
Wiffenschaften auch auf das öffentliche Le-
ben ihre Lichtstrahlen zu wersen, die Zeit
der Unmündigkeit, der Bevormundung ber
Völker ist vorbei. Der junqe Weffenberg,
unter den Augen des menschenfreunblichen,
freisinnigen Vaters in naher Berührung mit
dcm Volk (auf dem väterlicheu Landqut Keld-
kirch) Frzogen, durch den Geist der Alten ge-
bildet, für das Hohe und Ewige beqeistert,
das Kleinliche und Zufälliqe verachtend, zeigt
hier schou den tiefen Beruf, dereinst bei ber
Umgestaltung der alten Zeit eine hervorragendc
Rolle zu spielen. Die Vorsehung hat ihn
zu etwas Bedeutendem erkoren und führt ihn
deshalb schon als Iünglinq in den Kreis
hervorragender Männer aus der gelehrten
und der staatsmännischeu Welt. Welche An-
regungen für den strebstunen, hochbegabten
Weffenberg! welche vortreffliche Schule sür
den künftigen Staatsmann und Kirchenfürsten!
— Wessenberg's Neforme'n im Bis-
thum Constanz bilden den ersten Abschnitt
seiner öffentlichen Wirksamkeit. Dieser Ab-
schnitt ist von dem Versaffer mit einer ge-
wiffen Vorliebe behandelt und es ist ihm
vortrefflich gelungen, uns in den Geist des
Mannes einzuführen, der qeräuschlos, durch
die Macht seiner Persönlichkeit, seiner Huma-
nität, und vor AUem durch sein Beispiel voll-
brachte, was von vielen denkenben und gut-
gesinnten Zeitgenoffen als sehr wünschens-
werth vielkicht als nothwendig, jedenfalls

aber als ziemlich unmöglich angesehen wutde:
den kothol. Clevus ous stumpfer Trägheit
und Uuwiffeuheil herauszureißen, aus haud-
werksmäßiqen, ungebildeteu Meßlesern eine
intelliqente Geistlrchkeit, sittlich-religiöse Lehrer
nnd Vorbilder des Volkes zu machen. In
Weffenberq's großer Seele ist der schöne Ge-
danke zur That gereift, und obgleich eine
spätere Zeit ihren Ruhm darin gesucht, sein
Werk zu vcrnichten — noch heute spricht die
christliche Welt mit Hochachtunq von den Geist-
lichen aus Weffenberg's Schule." —

Den zweiten Abschnitt seiner öffentlichen
Thätiqkeit bildet sein Wirkeu auf dem Wie-
ner Congreß (auf welchem W. den Fürst-
Primas v. Dalberg vertrat) für die Rege-
luuq der kirchlichen Anqelegenheiten Deutsch-
lands, eine Lösuog der kirchlichen Fragen im
einheitlich - nationalen Sinne. W. verfolgte
hierbei zwei Zwecke, eiuen religiösen und ei-
nen patriotischen; verfolgte sie mit bewun-
dernswerther ftaatsmännischer Umsicht und der
edelsten Freimüthigkeit; sein großer Plan schei-
terte an dem enq'herzigen Partikulartsmus
einiger deutscher Regierungen, und die deutsche
Kirche wurde von Neuem dem Römisch-Hierar-
chischen Reiche und seinen dunkeln Werkzeü-
qen unterthan. Wuth und Scham muß hier
das Gefsthl eines Ieden ergreifen, dem die
heiligen Intereffen seiner Nation, der Mensch-
heit — heilig sind. Der Kampf mirRom
schildert ebenso vortrefflich die schleichende,
herrschsüchtige Politik der jesuitischen Partei,
als Wessenberg's ächt deutschen, biederen,
überzeugungstrenen Charakter. Mit wahrer
Bewunderung erfüllt uns dieser Theil des
Buchs für den großen Reformatsr; wie
edel, wie erhaben steht er da, indem er dem
finstern weltbeherrschenden Iesuitismus unter-
liegt!. Außerbem zeigt uns dieser Abschnitt
W. als Mitglrcd dcr e^sten Kammer, in wel-
cher Stellung er ebenso tapfer für das ma-
terielle Woht des Volkes kämpfte, als ehedem
als Bischof für ihr geistiges.. — Das letzte
(5.) Buch führt uns in W's bescheidene
Privatwohnung ein, wo der edle Philosoph
nach dem Scheitern seiner großen Lebenspläne
in den Wiffenschaften Trost unv Ersatz findet;
seine Erholungsstunden widmete er der Kunft
und seinen Freunden; sein Vermögen den
Armeu. Die schöne Auswahl Wcffeuberg'-
scher Poesien, welche dieser Abschnitt enthält,
bildet in der That den passendsten Schluß zu
dessen LebenSqeschichte; in ihnen entfaltet sich
sein reiches, herrliches Gemüth, die giückliche
Harmonie seiner Seele, seine Begeisterung

für seines Volkes Necht und Freiheit, sein
Haß gegen Alles, was im Finstern schleicht
— letzterer zuweilen in unübertrefflichen Sa-
tiren. —

Möchte dies Buch recht Vielen das wer-
den, was es Iedem werben muß, der ein of.
fenes Herz mitbringt, um Wessenberg's Geist
in sich aufzunehmen, an ihm sich zü erwär-
men, sich zu stärken für die Kämpfe des Da-
seins. Dem verehrten Verfasser aber werden
Alle mit mir danken, daß er in dieser Zeit
uns ein solches Bild, so lebendig, so treu,
so warm voo Augen gestellt! Mag dies Bild
in vielen deutschen Herzen thronen fort und
fort! —

* Politische Umschau.

Der „Bad. L.-Z." wird aus Stuttgart ge-
schrieben: Das Neueste ist, daß hier eine preu-
ßische Note sehr starken Jnhalts eingelaufen
ist, worin unserer Regierung bedeutet wird,
daß sie dafür verantwortlich werde gemacht
werdtn, wenn^der deutsch-französische Han-
delsvertrag an den Kammern, hinter die man
sich stecken wolle, scheitern würde.

Die hefsische Frage beschäftigt freilich
auch in Berlin viele Gemüther, indeß keines-
weges in dem Maßc, als man wohl glauben
möchte. Wäre man überzeugt, daß wirklich
eine kräftige Action zu Gunsten des hessischen
Volkes stattfinden werde, so ständen die Dinqe
ganz anders; es ift indeß Thatsache, daß die
Briefangelegenheit den Kernpunkt aller Ver«
handlungen und Maßregeln bildet. Und auch
hier scheint man sich schwach zu zeigen. Es
wird nämlich behauptet, daß dem Ultimatum
ein Ultimatissimum nachgesendet worden sei,
des Inhalts, wenn man nicht das ganze Mi-
nisterium entlaffen wolle, sö möge man doch
mindestens die beiden Minister entlaffen, die
der Audienz beigewohnt hätten. Und zwar
soll dies Ultimatissimum beschlossen worden
sein, weil man sich vor seiner eigenen Action,
die als ein Bruch des Bundesrechts ange-
sehen werden könne, fürchtet und deshalb das
Nachgeben. des Kurfürsten möglichst erleichtern
möchte.

Die Fraction Bockum-Dolffs im preuß. Ab-
geordnelenhause hält daran sest, auch die hes-
sische Angelegenheit in der beabsichtigten Abreffe
zu besprechen, und zwar soll dies in der Weise
geschehen, daß zwar anerkannt wird, burch
das neueste Vorgehen der Regicrunq werde
die Ehre und Würde Preußeus gewahrt, in-
deß müffe auch daS Wahlqesetz von 1849 fest-

Dom Neckar, 19. Mai. Wenn wir den
Mittelpniikt des Fichte'schev Wesens, des großen
practischen Philosophen, welcker ebensowohl der
wissenschaftlichen, .wie dcr politischen Thätiakeit den
Stempel aufdrückte, und das Ziel ihres Strebens
anwics, mtt eir.cm Ausdrucke bezeichnen wollen,
so findet sich kcin befferer, als: der Trieb nach
Selbstftändigkeit und Sclbstbestimmung, nach Un-
abhängigkeit von jedem fremden Einfluffe, von jedcr
äußeren Autorität und Gewalt. Dies war der
Grundgedanke der Ftchie'schen Philosophie, die ihren
Urheber nicht bei der einseitig gclehrten oder über-
haupt nur der wiffenschaftlichen Forschung stehen
ließ, dre thn vielmehr unwiderstehlich vorwärts
drängte nach der Praris und dem Ernste des Le-
bens. Im Kampfe mit der Außenwelt — das war
Fichte's Ueberzeugung — bethätigt der Mensch seine
wahre Selbstständigkeit, erreicht er seine hbchste ir-
dische Beftimmung. Zur Außenwelt gehoren aber
nach Fichte auch scine Bcgierden, Neigungen und
Leidcnschaften, die aus dem sinnlichen Theile unserer
Natur stammen, und denen wir gleich riner fremdcn
Macht unterwprfen sind, wenn wir nicht trachten,
sie uns zu untcrmerfen. Sittliche Freiheit, Selbst-
beherrschung, Unabhängigkeit von unscrer sinnlichen
Natur — das ist'S, was Fichte vor Allem untcr
der Sclbstbestimmung vcrsteht. Der täuscht sich also

Freiheit/die sich m bloßer Willkür geltend mache,
sehcn möchte. Fichte's Grundansicht ist vielmehr
die,' daß, wie das Thun des Einzclnen nach cinem
unverbrüchlichen, Iedem in sein Gewiffen gkschrie-

benen Sittengesetze, so das Zusammenleben der
Menschcn in der Gesellschaft, im Staate sich nach
ebenso festcn, fur alle gletchen und über jede Will-
kühr des Höchsten, wie des Niedrigsten erhäbencn
Rechtsgesetzen richten müsse. Darrii beruht nach
Fichte die wahre und dauerhafte Staatsordnung,
darin das Wesen einer jeden freien Verfassung,
darin endlich im großen Ganzen die von Gott ein-
gerichtete moralische Weltordnung. An diesem fitt-
lichen und politischen Ideale Fichte's wird ebenso-
wohl jene falsche Demokratie zu Schanden,. welche
die rohe Leidenschaft, die Brutalität der Massen,
die Gesctzlosigkeit möchte zur Herrschaft erhcben
wollen, wie andetseits das nicht minder recht- und-
zuchtlose Treiben derjenigen, welche die Allgemein-
gültigkcit des Gcsetzes im Interesse eines Einzel-
willcns oder einer bevorzugten Minderheit beugen
möchten, eine Richtung,. die der große Weltweise
um so verwerflicher finvet, als sie, wie leider oft,
in dem mißbrauchten Namen menschlicher oder gar
göttlicher Autorität geschieht.

Mit dieser Anschauung stimmen die in eincm über
Fichte's Leben von deffen Sohn (in Tübingen)
herausgcgebenen Werke enthaltenen Aufschlüsse voll-

Fichte war hiernach nicht nur ein äußerst einfacher,
uneigennütziger und streng sittlicher, sondern in der
That auch wahrhaft rcligiöftr Charactcr, trotzdem
daß er aus Mißvcrständniß seiner Philosophie des
Atheismus beschuldigt wnrde.

Das soeben anqefuhrte Werk aus der Feder des
Lübingcr Profeffor Immanuel Hermann Fichte

ist zugleich die schönste und würdigste Festgabe,
die von^ keiner ^nder^ an Bedeutung übertroffen

deshalb ein überschwenglichc/Panegyrikus zu wer-
den. Untev Anderm sucht der Verfasser zu verdeut-
lichen, woher es kam, daß Fichte auf die Nation

Einftuß geübt habe. Wir^ ersehen ferner daraus,
daß er ein eigentlich deutscher Dcnker war. Der
tief sittliche Kern unftres Volks, bie Ehrlichkcit,
Gewiffenhaftigkeit, biedere Unbestechlichkeit scines
Wescns, wenn man in Urthcil und Handeln ihm
Geduld'läßt, das Rechte zu finden, oder wenn es
durch gewaltige Erschütterungen gewcckt, auf dicsen
Geist sich zurückbesinnt. . . alle jcne cinfachen und
schmucklosen aber ehrwürdigcn Eigenschaften ger-
manischen Wescns yatten in ihm ihren stärksten
Ausdruck erhalten. Unb sie ruhten nicht müssig
in ihm, sie brachen mit unwiderstehlichem Drange
Hes Handelns hervor und geboten ihm einen un-
ablässigen Kampf gegcn jedes Schlechte der Zeit,
in welcher Gestalt eo ihm auch erscheinen mochte.
Fichte selbst schrieb einmal unter Anderm: „Ich
will nickt blos deukcn, ich will handeln." Mit
diesen Anschauungen u. Eigen.schaften unter dem eng-
lischen oder einem andern vractischen Volke geboren,

philosophisches Syftem zu crfinden, aber er würde
wahrscheinlich Einer der größten Staatsmänner
ftiner Nation und seiner Zeit geworden sein.
 
Annotationen