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Heidelberger Zeitung — 1862 (Januar bis Juni)

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Januar
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Wdtlbtrgtr Ieitung.

N 18


Donnerstag, 23. Zanuar 18«2.

Ucber Kammcranflösungen.

Die Verfassungcn der „constitiitionillkii Mo-
norchie" rämnen dem StniitSobkrhaiipte die
Befugniß ein, die Abgeordiietenknmmer aufzu-
lösen. Der Zwcck dieser Einrichtung kann iin
RepräseNtativstaate kein anderer als dcr sein,
dem Volkc Gelcgenheit zu geben, sich darübcr
auSzusprcchen, ob cs die Ansicht dcr biSherigen
Deputirten über eine besonderS hervorgetretene
Frage theile, wclche Frage zur Zeit der vorigen
Wahl entwedcr noch ganz gefchluminert haben
kann, oder in Beziehung auf wclche neuc Ge-
staltungen erfolgt, neue Gründe vorgebracht
worden sein mögen. Dteses Motiv läßt an
sich schon keinen Zweifcl zu, daß die Auflösung
tn einer und dcrselben Angelkgenheit, nach bem
Geiste dcr Verfaffmig, nur rin einzigeS-
ma> und nicht öster zulässig ist, Wollte man
es.anderS, so hätte geradezu bestimmi werden
müssen, daß im Fali eines Conflictes die Re-
gierung nach ihrem Belicben und Gutdünken
verfahren könne, — eS wärc Aufhcbung der
Verfaffung, Herstellung dcS Absolutisinns!
Dazu müßtc eS insbesondere fnhren, wenn dre
Regierung die ihr unlicbsamcn Vertretungen
in alle Ewigkcit immer auf'S Neuc austvsen
könnte; wenn ste nur gehalten wäre, eine
neue Kaunucr pro lormu wählen zu laffen,
wenn glcich mit der von vvrn hcrein feftste-
henden Absicht einer Austösung, wohl sogar
ohnc eine Vertretung nnr eimnal anzu-
hören I

Jn der Geschichte wahrer Repräsentativ-
staaten kommt es denn auch uicht vor, daß
mau die Kammcr einer und derselben Ange-
legenheit wegen Ihatsächlich jc öfter alS ein-
mal aufgelöst hättf. Am ncnercn England
hat gar kein entgegcngesetztcr Versuch stattgc-
funden; i« alten England cndigtcn die Auf-
lösungen und Nichtberufuiigen dcs Unterhauses
mit dcr Revolution, und in Frankreiai führte
ein ähnlicheS Bcginnen im Jahre 1830 zum
Sturze der Dpnastie.

Nur die Gcschichte der Reactionszeiten in
Deutschland brachte Beispielc wiederholter
Kammerauflösungen. Wir erinnern an die
Vorgänge nach 1830 und nach 1848. Es
sind im Allgcmeinen die schmachvvllstcn Pcrio-
den unserer neuern politischen Erlebniffe. Alles
was abcr in dicser Beziehung damals vorge-
kominen, ist bereiiS.überboten dnrch das Ver-
fahren in Kurheffen, wo man schon dreimal
die Abgeorducten auflöste und zwar daS letzte
Mal sogar ohne ihre Versammlung nur zur
Erössnung gelangcn zu laffen.

Die öffentlichc Meinung in ganz Deutsch-
land hat über diescS Verfahrcn mit solcher
Einhelligkcit ihr Urtheil gesprochen, baß jkdes
wkitcre Worr übcrflüffig erscheint.

Aber — dic Rcactionsmänner fragen nicht
nach demRechtc, sondcrn nur nach dcm Er-
folge! Wohlan! gcrade iu diescr Beziehung
konnte stch die kurhessische Regierung bcrcits
überzcugen, daß alle ihre Anstrengungen ver-
geblich sind, — und cs bleiben werden. Wann
haben Auflösungswiederholuiigcn zum Zicle ge-
führl? Nur in solchen Zeiten, in dcnen der
Ungeist der Reaction nicht bl°S die Fürsten,
sondcrn auch die Völker ergristcn hattc, nach
dcmVorangchengroßer alIgemcinerKämpfe
und der darauf eingetretencn allgein-e incn
Erschlaffung. Wenn das Volk nicht selbst
reactionär gewordcn, müffen jene Künste zu
Schanden werden!

Kann man sich in Kassel darüber täuschcn,
ob in dcr Jetztzcit einc vorangchcnbe ober eine
rückläufige Ströuinng durch die Welt geht?
Jene mchrfachcn Kainiiierauflöslliigen nach 1830
unb nach 1848 hatten stets zur Folgc, daß die
RegicrungSpärtei in den Kammern jedeSmal
stärker als zuvor wurbc, und spätcstenS bei der
drittcn Vcrsammlung die Majvrität bcsaß. —
Dic kurhessische Regicrung hat cntgcgeiigesetzlc
Erfahrungcn gcmachl, und damit ist ihr dic
„Probc" auch bczüglich deS ErfolgeS, abge-
sehe» vom Rechte, geliesert.

Wohin aber wollcn, fragt hiernach die F.
Hdzg., die andern Rcgieruugen bie Dinge noch
gclangen laffen? Kann es iheem Jntereffe ent-
sprcchen, daß man zu Kaffel iu der bisherigen
Weise fortfahre?

* Politischc Umschau.

Unter den vom König von Preußen bei der
Feier des OrdensfesteS Decorirten, wclche die-
ses Mal nur 3 Spalten süllen, befindet sich
auch Nechtsanwalt Süpfle zu GernSbach, be-
kannt wegen seines bei dem Badener Attentat
bezeigten Muthes. Derselbe erhielt den Kro-
nenorden 4ter Classe.

Als die wesentlichsten Grundzüge des neuen
preußischen Ministerverantworllichkeitsgesetzes
werdcn bezeichnet, daß die Anklage nnr in
Uebcreinstimmung beider Häuser erhoben wer-
den kann, und vaß das Begnadigungsrecht der
Krone vorbehalten bleibt.

Das neue in Wien erscheinende Blatt:
„Der Botschafter" beantwortet die Frage,
wie dem „Scandal in Kurheffen" ein Cnde
zu machen sei, in folgender Weise: „Es gibt

unserer Ansicht nach kein geeigneteres Mittel
zur Lösung der hessischen Wirren, als wenn,
nachdem in Wien und Berlin setbst die Man-
teuffel und Bach vom Schaüplatz abtraten,
Oesterreich und Preußen den Kurfürsten mit-
telst verständlicher Noten zum Nachgeben auf-
forderten, unb falls oieser Aufforderung kein
Gehör geschenkt würde, ihre Gesandten von
Kassel abriefen. Diese Maßregel würde ganz
gewiß die gewünschte Wirkung hervorbringen."

Frankrcich hat eine weitere Brigade nach
Merico gesandt.

Verschiedene bisher in türkischen Diensten
beschäftigte Offiziere, worunter auch einige
Preußen, wie es heißt, sind von Jefferson
Davis fstr die Südarmee angeworben wordev.
Sie befinden sich eben auf der Duvchreise von
Konstantinopel in Paris, um sich in England
einzuschiffen.

In Bergamo wurde der Priester Bravi von
dem Bischof seincr Diöcese von den kirchlichen
Handlungen, einzig und allein, weil er Depu-
tirter ist, ausgeschloffen. Das Verhalten der
höheren Priester ist ein unausgesetzter Krieg
gegeu unsere Institutionen. Der Minister muß
Alles aufbieten, um diesem Scandal ein Ende
zu machen.

Jn den Bureaur deS Ministeriums des In-
nern in Frankreich ist man jetzt mitPrüfung eines
Telegraphenbeschäftigt, welcher den Morse'schen
Telegraphen verdrängenffoll; er schreibt näm-
lich die Dcpeschen glcich in Buchstaben nieder.
Auch der Telegraph des Abbate Caselli, wel-
cher die Handschrift des Telkgraphirenden ge-
nau wiedergibt, bildet den Gegeustand einer
Prüfung.

Zu Neapel hat sich ein gräco-slavisches Co-
mitee gebildet, wclches in einem kürzlich crlas-
senen Aufrufe seine in Italien wohnenden LandS-
lcure auffordert, für Italiens Befreiung thätig
zu sein, um dadurch für die dereinstige Be-
freiung ihres Vaterlaudes zu wirken.

„Le Temps" berichtct, der von dem berüch-
tigten Ali Pascha vou Iam'na vergrabcne
Schatz sei durch eine alte Frau, die ehemals
im Harem des Pascha's gewesen ^ angezeigt
worden, und man mache sich daran, nachzu-
graben. Man wird vie! finden müssen, wenn
der Schatz ausreichen soll, die leeren Kassen
der Pforte auszufüllen.

Gerüchte, die Glanbwürdigkeit verdienen,
erzählen von einer im Süden Amerikas entdeck-
ten Sclavenverschwörung und von der Hin-
richtung der Nädelssührer. Zu bestätigen
scheint sich vorerst, daß die Neger auf meh-

Ein Frauenherz.

(Fortsetzung.).

„Gnädigste Frau", lautete der Brief, „Sie wer-
den kaum überrasckt sein, von mir, dem Sie Ihr
Vertrauen geschenkt, ein Schreiben zu erhalten;
denn ich bin überzeugt, daß Jhr Fräulein Tochter
Ihnen die Ursache mitgetheilt hat, weshalb es mir
gestern nicht möglich war, länger aus dem Balle
zu verweilen und Ihnen mein Compliment zu
machen.

„Ihre wohlwollende Güte hatte mir die Hoff-
nung gegeben, Jhnen einst durch Ihr Fräulein
Tochter näher zu treten, wenn ich mich nicht in der
Ueberzeugung täuschtc, daß diesekbe meine Gefühle
erwidern könne.

„Sie wissen es, wie glücklich ich an dieser Ueber-
zeugung festhielt, trotzdem daß Fräulein Albertine
mir oft Gelegenheit gab, an ihr irre zu werden.
Ihr gütiger Trost war es, dcr mich veranlaßte,
mich für glücklicher zu halten, als ich es bin.

„Ich habe gestern, verehrte Frau, die Ueberzeu-
guug gcwonnen, daß Sic sich ebcnso wie ich über

Ihr Fräulein Tochter getäuscht haben; ich habe ein
fiüchtiges Wohlwollen für ein tieferes Gefühl ge-
haltcn und finde, daß es Fräulein Albertine ganz
unmöglich ist, mein Gefühl zu erwidern, ja sogar
das eitle Hoffen meines'Herzens mit Schonung zu-
rückzuweisen.

„Wenn ich daher heute den Ort verlasse, in wel-
chem ich Stunden seliger Hoffnung verlebt habe,
so glaube ich Ihnen, gnädigste Frau, eine Erklä-
rung dieses Schrittes schuldig zu sein. Verzeihen
Sie, daß ich es versäumte, Ihnen meincn herzlich-
sten Dank für Ihre wohlwollende Güte mündlich
auszusprechen; ich fühle, daß ich um meiner Ruhe
i willen mich losreißen und einen Ort fliehen muß,

! wo meine Kraft auf eine zu gefährliche Probe ge-
l stellt wird.

! „Jch habe durch meinc citle Selbstüberschätzung,

! die einen Wink nicht beachtete, es verdient, daß
! Ihr Fräulein Tochter mir deutltcher, als sie cs
! vielleicht selbst wollte, dieäLitelkeit meiner Hoffnüng
zu erkennen gab.

! „Unb dennoch bin ich zu schwach, dem Herzen
! Ruhe zu gebieten, ein Gefühl zu beherrschen, wel-
chcs mrinc, gauze Seelc cingenommen! Sagcn Sie

Ihrem Fräulctn Tochter, daß ich mitdem Wunsche
scheide, derjenige, welcher einst das Glück hat, ihr
Herz zu gewinnen, möge so warm für sie sühlen,
als ich es gethan und noch thue. Sie aber, gnä-
digste Frau, bitte ich, mich auch ferner nennen zu
dürfen in achtungsvoller Verehrung und Dankbar-
keit Ihren Freund Graf Lindcnau."

Wir unterlaffen es, deii Eindruck zu schildern,
welchen dieses Schreiben auf Albertinen machte, als
ihre Blicke es zuerst hastig überfiogen, um der Angst
des Herzens zu genügen. Die Gewißheit, daß ihre
Ahnung sie nicht betrogen, legte stch etskalt auf ihre
Seele, und das Gefühl der L)ede durchfröstelte däs
zitternde Herz, aber die Gewißheit, so tödtlich sie
auch die letzte Hoffnung traf, befreite sie doch von
den beängstigenden Zweifeln, und das war schon
eine Linderung.

Albertinen's Character war einer von denen,
welche ein Gefühl durch das andere beherrschen,
bei denen das eine auflodert, während das andere
erbebt. Die Sonne des Augenblicks läßt die Far-
ben in diesem Prtsma wechseln.

Albertine sah sich von der Mutter beobachtet, und
während das Auge den Brief noch einyial überlaS,
 
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