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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

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1./2. Septemberheft
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Reiners, Heribert: Die große Schweizer Kunstausstellung in Karlsruhe
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0020

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^Jeben der rheinischen Jahrtausend-Ausstelluiig ist die
* ' Karlsruher Kunstschau eine der wichtig'sten Ver-
anstaltungen im künstlerischen Leben dieses jahres. Ein
solch zusammenfassender, klarer und systematischer
Ueberblick über die neue Schweizer Kunst ist bisher in
Deutschland nicht geboten worden, aber auch in der
Schweiz selber in keiner Sammlung zu gewinnen. Darin
liegt die hohe Bedeutung dieser Aussiellung und der
Grund zum aufrichtigen Dank an den Veranstalter, Dr.
F. W. Storck, den Direktor der Karlsruher Kunsthalle,
der in knapp zwei Monaten dieses umfangreiche Werk
mit über 1200 Objekten mustergültiJ aufzubauen wußte.

Vor dem Kriege wurden vor allem durch den Ver-
band der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein und
seinen weitblickenden geistigen Leiter, Wilhelm Schä-
fer, einzelne Proben neuerer Schweizer Kurist nach
Deutschland vermittelt. Aber fast nur nach dem Westen,
im übrigen Deutschland kannten die meisten viellcicht
nur Hodler. Daher wird der Karlsruher Ueberblick
für viele eine große Ueberraschung bieten, weil sie hier
ein Kunstgebiet kennen iernen, das an Urnfang und
Wert und charaktervoiler Geschlossenheit nicht viel
seinesgleichen hat. Und überrascht wird weiter mancher
sein, wie wenig fremd im Grunde diese Schweizer
Kunst der deutschen ist. Wer mit offenen Augen und
ein wenig historischer Kenntnis durch die Schweizer
Lande reist, wird immer wieder sehen, wie vielfach
die dortige Kultur der vergangenen Jahrhunderte mit
der deutschen verbunden ist, wie bis weit in Wallis
herein sich die Tätigkeit deutscher Künstler verfolgen
läßt, wie besonders ein Teii dieser Kunst mit der des
Oberrheines und des Elsaß eine große Einheit bildet.
Und wie früher so gilt dabei heute noch die alte Kultur-
und Sprachengrenze in der Westschweiz auch für die
Kunst. Die westlich dieser Grenze liegende Gruppe mit
dem Zentrum Genf ist, wie in der Vergangenheit, ganz
westlicher, französischer Art. In der Beobachtung
solcher Erscheinungen und dem Nachgehen dieser Pro-
bleme liegt ein besonderer Reiz der Karlsruher Kunst-
schau.

Es ist eine Art Schweizer Jahrhundert-Aussteliung,
wobei das Schwergewicht in der modernen Abteiluug
liegt. Es war ein guter Gedanke, der neuen Kunst eine
retrospektive Gruppe anzugliedern, um vor diesem
Hintergrund ihre Eigenart um so mehr hervorzuholen.
Die ältere Zeit soll aber durchaus nicht in erschöpfen-
dem Bild geboten werden, mehr einzelne Führer,
charakteristische oder zu wenig bekannte Persönlich-
keiten wollte man zeigen. B ö c k 1 i n und H o d 1 e r sind
die überragendsten Meister und Mittelpunkte. Beide ja
längst in Wert und Eigenart erkannt, und doch wlrd
diese Ausstellung, die von ilinen in selrr geschickter
Auswahl ein gutes Bild der Entwicklung bringt, sie im
großen Rahmen der Schweizer Kunst in mancher Hin-

sicht neu ersclieinen lassen. Glänzend wirkt die große
Gruppe der frühen Werke Hodlers, worin schon der
ganze Monumentalkünstler der Spätzeit beschlossen ist.
So wird man ihn in Deutschland wonl niclit mehr
wiedersehn. Und wie Böcklin, der sonst meist als
völlige ’Sondererscheinung genommen wird, liier sich
der schweizerisch-oberdeutschen Kunst einfügt! Nicht
nur inhaltlich, sondern auch formal. Eine interessante
Ergänzung zur Müncheiier Ausstellung des vergangenen
jahres, die Böcklin im Rahmen der deutschen Kunst
zeigte. Und neben ihm, dem mehr heroisch-roman-
tischen, der idyllisch freundiiche, innigere Malerpoet
W e 11 i. Man denkt an Beharn und andere deutsche
Meister der Vergangenheit.

Neben diesen Sternen erscheint eine Anzahl weni-
ger Bekannter in trefflich gelungenen Sondergruppen:
Biedermann mit seinen sauber und sorgfältigst ge-
zeichneten Landschaften, F ü ß 1 i, schmissig im Linien-
zug und der Phantasie. Weiter der origiuelle D i s t e 1 i,
bei dem man an Schwind und Richter denkt, die er aber
übertrifft durch größere Spannweite seiner Phantasie,
ohne ihnen an zeichnerischem Können nachzustehen.
Politische Satiren, witzige Karrikaturen wechseln bei
ihm init reizvoll intimen Kalenderillustrationen.

Diese Sonderübersichten in Einzelkabinetten, die
als angenehme Ruhepunkte der großen, wechselreichen
Bilderfolge eingeschoben sind, werden durch eine Reihe
Einzelwerke anderer Meister geschickt ergänzt. Man
sieht B u c h s e r , einen der kühnsten und kraftvollsten,
die die Schweiz im vergangenen Jahrhundert hatte, bald
von einer unerhörten Breite des Vortrages, bald von
einer Monumentalität des Konturs und des Aufbaues,
wie man sie erst bei Hodler wiederfindet. Sodann
Calame, K o 11 e r , breit und malerisch, über ihn
hinausgehend S c h i d e r , aus dem Leiblkreise, dessen
Werke so selten sind und der nach vielversprechendem
Beginn sein Talent fast ganz verkümmern ließ. In
manchen seiner Bilder rückt er gleichwertig rieben Ma-
net. Auch S e g a n t i n i fehit nicht in seiner strahlen-
den Reinheit und Kraft. Als besonders malerisch kulti-
viert hebt sich in der alten Generation vom Anfang des
19. Jahrhunderts Agasse heraus. Weiter zu nennen
der fruchtbare ältere T ö p f e r und sein Sohn, der mehr
als Zeichner zur Geltung kommt. Besonderen Reiz hat
ein liebevoll gemaltes Bildchen von Gottfried
K e 11 e r. Er hätte eben so gut Maler wie Dichter wer-
den können, die Fähigkeit fehlte ilnn sicher nicht.

Unmerklich fast geht die alte Kunst in die neue
über, zahlreiche Fäden innerer Art spinnen sich hin und
her. Aber die neue interessiert uns fast mehr als jene,
weil sie die Kräfte zeigt, die jetzt noch in der Schweiz
wirksam sind und eine reiche Zukunft garantieren. Alle,
die etwas bedeuten und eine eigene Note haben, sind zur
Stelle, und so ist diese Ausstellung ein vorzüglicher

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