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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, Joachim: Frankfurts Skulpturensammlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0384

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Abb. 2. Torso des Doryphoros. Griechische Originalarbeit. 5. Jahrh.

einem Raffinement des
Schmuckgefühls, das pa-
riserisch ist. Das Relief
mit dem Totenopfer zu
Ehren des Königs Sahurs
(Vollbild), eine Kompo-
sition mit vielen Menschen
und Tieren, zeigt eine
Fähigkeit zu ornamentaler
Verwendung absolut be-
herrschter Körperformen
mittels Parallelismen, die
aus der bildenden Kunst
Musik macht. Und der
entzückende Kopf einer
Königsstatuette aus dem
7. Jahrhundert beweist-
in der Wirklichkeit viel
besser, als in der zu sehr
aus der Höhe aufgenom-
menen Photographie —
ganz dasselbe für die ku-
bische Durchbildung (Ab-
bild. I).
Es gibt griechische Ar-
beiten aus der gleichen
Zeit wie dieses Köpfchen,
wenn sie der Sammlung
auch noch nicht eingcfügt
sind, deren Verwandt-
schaft mit dem Ägyptischen
sich dem ersteir Blick auf-
drängt: Die gleiche Sche-
matik in der Gesamtfor-
mung dcö Körperlichen
bei der gleichen steifen
Frontalität, dazu eine
eigentümliche rein lineare
Durchbildung gewisser For-
men, die innerhalb des
Rabmens der Silhouette

Frankfurts Skulpturrnsammlung.
unserer Kunst anstreben, wie ihnen: Die Ägypter sind für uns das Volk, von dem die Grundlagen der Mathe-
matik und die Pyramiden auf uns gekommen sind; zwischen beiden besteht insofern ein Zusammenhang, als nicht
nur zur Fortbewegung der Pyramidenblöcke große technisch-mathematische Kenntnisse nötig waren, sondern die
Pyramide an sich gleichsam das mathematische Schema eines Gebäudes, eines raumumspannenden Werkes nämlich
darstellt, das unten breit aufsteht und sich verjüngend in die Luft steigt. Als Grundtrieb des Ägypters ergibt
sich danach der Wunsch, Monumente in der einfachsten, abstraktesten Schematik der Form zu hinterlassen; und
damit ist das Wesen der ägyptischen Kunst während ihrer jahrtausendelangen Entwicklung bezeichnet. Die Absicht
des ägyptischen Menschen ist niemals gewesen, wirkliche Körperlichkeit nachzubilden; sein Grundvermögen lag, wo
es sich um räumlich große, überhaupt kubische Aufgaben handelte, im Monumentalen, wo eS sich um kleinere Auf-
gaben handelte, wie um
die Flächenfüllung beim
Relief, im Ornamentalen.
Wenn cr auS einem na-
türlich nicht ganz fehlen-
den Interesse an der Wirk-
lichkeit in seiner Kunst den
menschlichen oder tierischen
Körper benutzte, so war
er ihm immer nur Mittel
zum Zweck: Er hat ihn
ohne Rücksicht auf die
Wahrheit in schematischster
Haltung möglichst raum-
umfassend bingerammt,
er hat ibm, wo es die
Flächenfüllungwünschens-
wert machte, im Relief
mit dem Oberkörper fron-
tal, mit dem Unterkörper
seitlich gestellt, was nie-
mals durch Unfähigkeit,
sondern durch stilistische Ab-
sicht erklärt werden muß.
Studiert inan die Stein-
reliefs und die Königs-
statuettcn, die hier die
Wände des Vorraums
umstehen, so spürt man
das mit einem seltsam
geistigen Erstaunen: Wie
ail der Blendtür einer
Grabkammer, die auS der
IV. Dynastie und also
aus der Zeit 28OO v. Ehr.
stammt, in erste glatte leere
Fläche ganz dünn herauS-
gehauen eine menschliche
Figur mit Schriftzeichen
gesetzt ist, zeugt bei aller
archaischen Strenge von
fallen, wie sie an das ägyptische Relief erinnert. Doch ist von vornherein ein Unterschied zu spüren: Was dem
Ägypter nie mehr als Mittel zum Zweck war, ist dein Griechen stets Selbstzweck gewesen. In einem rauschhaften
Glückszustand, der in der ganzen griechischen Kunst zu spüren ist, hat der sinnlichere Grieche mit der tastenden Hand,
die in wachsender Bewußtheit zuerst am eigener:, dann auch am fremden entlangfuhr, sich das Geheimnis des
organischen, besonders des irr feinsten Muskeln schwellender: menschlichen Körpers entdeckt. Mit dem Griechen ist
der Mittelmeermensch aus den seltsam abstrakten Träumen, die dein Ägypter das Leben ganz unmittelbar in ein
Netz mathematischer Beziehungen verwandelten, zum Sinneswissen erwacht. Freilich war auch er noch so geistig
bestimmt, noch so sehr auf die Idee gestellt, so sehr auf das Systematische und Allgemeine jenseits des Einzelnen
aus, daß er niemals in reinem Naturalismus versank, sondern in dem verehrten Einzelkörper ganz unmittelbar


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