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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, Joachim: Frankfurts Skulpturensammlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0386

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Frankfurts^Skulpturensammlung.


Leibe war, war immer und immer die Seele selbst

tativen Schöpfungen das
Zentrum des künstlerischen
Schaffens in Europa weiter
nach Norden verlegte, durch
seine Einfälle in die südlichen
Lande aber auch dort zugleich
Einfluß gewann, nahm an
dein Körperlichen im Sinne
organisch entwickelter Natur,
insbesondere am Menschen-
körper ursprünglich gar kein
Interesse. Wie er als Ma-
ler sich lange Zeit hindurch
ganz auf das freie Ornament
beschränkte, indem er die
Sprache seiner seltsam un-
klassischen, gequälten, sehn-
süchtigen und problematischen
Seele ohne den Umweg über
das Bild der äußeren Wirk-
lichkeit direkt niederschrieb,
bat er als Bildhauer für
die ornamentalen Meißel-
arbeiten seiner Frühzeit höch-
stens den Tierkörper und
zwar in einer Reduktion aus
ein primitives Linienschema
benutzt. Später hat er die
menschliche Figur in seine
Darstellung hereingezogen,
aber nun auch nicht so, daß
das Kleid den organischen
Körper hervorhob, sondern
daß eö mit seinen Falten und
Umrissen eine eigene Form
von ornamentaler Selbstän-
digkeit bekam; denn der
eigentliche Gegenstand der
Kunst, deren Hauptthemen
das leidende Antlitz und der
schmerzverzerrte Leib des ge-
kreuzigten Christus, das den:
inneren Mysterium zuge-
wandte Gesicht der Gottes-
in einer Reihe prononzicrter

Abb. 4. Werkstatt des Giov. Pisano: Verkündigungsengel.
Marmor (1250- 1Z20).

freilich sonderbar genug von dem griechischen unterschied: Für den Griechen war auch beim Porträt das eigentliche
Ziel das ganz künstlerische, einen künstlerischen Organismus zu schaffen, in dem das natürliche Vorbild gleichsam zur
Idee geklärt war, sodaß der erste Blick notwendig der künstlerischen Arbeit als solcher galt, und auch der Porträt-
kopf das Tempelhaste aller griechischen Kunst bekam. Das Volk der größten Realpolitiker aller Zeiten hat sich in
den großen Porträts seiner Kaiserzeit mit einem wahren wüsten, an Selbstaufhebung grenzenden Fatalismus in
das Individuellste der menschlichen Köpfe gedrängt, sodaß auch die Bewunderung zunächst und eigentlich ganz der
unglaublichen skeptischen Psychologie daran gilt: Trajans massiger Schädel mit dem groben Maul, Cäsars merk-
würdig weichlich - weibischer,
selbstbespieglerischer Kopf hat
etwas alphaft Bedrückendes,
und wenn sie in ihrer Monu-
mentalität noch gewisse Rest-
züge eines sozialen Realis-
mus besitzen, so sind die
jedenfalls mit einem voll-
kommen gottfernen indivi-
dualistischen Fatalismus ver-
bunden, der sich künstlerisch
als krasser Naturalismus
offenbart. —
Es zeigt sich ein ganz
neues, ganz eigen gewandtes
seelisch-künstlerisches Wollen,
was, wie alle neue Forschung
zeigt, wesentlich unter dem
Einfluß nordischen Geistes
als mittelalterliche, auf der
Höhe der Entwicklung speziell
als 'gotische Kunst auf die
griechische Antike folgt. Der
Ägypter hatte den Körper als
Mittel für die monumentalen
und ornamentalen Aufgaben
benutzt, die ihm seine Lebens-
aufgabe stellte, und dazu
nicht mehr als das Schema
des Körperlichen benötigt,
jedenfalls nie mehr als den
Typus gegeben; der Grieche
hatte sich den Einzelkörper
als Ziel und Selbstzweck
seiner Darstellung erobert,
dabei mit seiner ganzen Ver-
ehrung umgeben, indem er
in ihm die Verkörperung
einer organisch-entwickelten,
restlos in den Körper auf-
gegangenen Seele erblickte
und gleichsam zum Tempel
erhöhte. Der Nordländer,
der danach mit repräsen-
mutter mit den: gesegneten
Erregungszustände. Das gewählte Thema wurde im Gesicht des Dargestellten jedesmal gleichsam psychologisch
angegeben und durch das ornamentale Gebärdenspiel der Glieder und Kleider musikalisch, sugenartig weiter aus-
geführt. Technisch betrachtet sind der Gegenstand der mittelalterlichen Kunst deshalb auch nicht die sanften Über-
gänge von Licht und Schatten, aus denen sich ein organischer Körper ausbaut, sondern die abrupten, verstärkten
von ornamentaler Eigenmusik, womit die mittelalterliche Kunst etwas besonders Malerisches bekommt. Man ist
versucht zu sagen, das Thema der gotischen Kunst sei nickt eigentlich der Körper, sondern wie er in die Atmo-
sphäre um ihn herum aufgeht, sich in sie auflöst, wie der gotische Dom eine Auslösung des architektonischen Körpers,

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