Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

DOI article:
Benn, Joachim: Frankfurts Skulpturensammlung
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0388

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Frankfurts Skulpturensammlung.


Abb. 6. Stehende Heilige (Maria?). Umbro-siencsisch. 14. Iahrh.

Leben so gründlich zerstört
zu haben, um zum noch
schöneren zu kommen, die die
Größe des Wahnsinns hat.
Etwa gleichzeitig mit die-
sem beispiellosen Stück stehen
die burgundischen Arbeiten
nach der Art des Claus
Sluter, die in der Form noch
klumpig zusammengehalten
sind und doch innig und zart
wirken. Die Entwicklung
setzt sich, um nur die schön-
sten Stücke zu nennen, mit
dem statuarischen Jakobus
d. A. aus den Niederlanden
fort, der, nach Material und
Geist wirklich aus Kernholz
geschnitten, in der Paralleli-
tät der herabfallenden Ge-
wandfalten, der Gesichtsfalten
und des hohen Hutes, mit
der ornamentalen Muschel
am Hut und den fest an-
einandergelegten Fingern so
wunderbar statuarisch wirkt;
wie eine Umsetzung der grie-
chischen Tragsäule in den
germanischen Tragmenschen,
dann mit der Darstellung
Mariä Heimsuchung, wo den
vorgerundeten Leib, um den
die Röcke niederrauschen, eine
Hand schützt, so zart und
seelenvoll, daß man sie nicht
vergißt. Auch die bayrische
Pieta aus Lindenholz mit ih-
rer erstaunlichen Linienstrenge
und der sonoren Bemalung
muß genannt werden, wie
die bayrischen Figuren über-
haupt eine ganz eigene Gruppe
bilden: Sie sind größer als
das meiste andere, in lichte-
ren Farben mit eindrucks-
voller, ein wenig geisterhafter
Wirkung bemalt; der wei-
nende Johannes (Vollbild)
mit dem feurigen Rot um
die Hüfte, der, sichtlich auf
Wirkung aus der Höhe be-
rechnet, in seiner Komposition
von einem kleinen Toten-

talität in der Gesamthaltung jeder einzelnen Figur mit einer extremen, fast zeichnerischen Feinheit der Darstellung
seelischer Schmerzenszustände in den Gesichtern verbindet, die niemand in dieser Epoche erwartet hätte. Und doch
ist es fraglich, ob irgend eine Neuanschaffung je die rheinische Pieta aus der Zeit um I4OO (Vollbild) selbst
in den Schatten stellen wird,
die als eines der Hauptwerke
der Sammlung zugleich eines
der deutschen Kunst über-
haupt zu sein scheint und zu
der man noch wallfahren
wird. Es gibt vielleicht kein
Kunstwerk in deutschen Lan-
den, das mit gleich mysti-
scher Flamme brennt wie
dieses, in dem sich der ganze
dämonische Geist dieser Epoche
verdichte: hat: Der Aufbau
dieses Hügels von Leiden ist
ganz streng, die Körper der
Mutter und des toten Soh-
nes auf ihrem Schoß bilden
zwei gewellte Linien, die sich
kreuzen und rechts und links
in einem Toten köpf endigen,
auf dem der Bau ruht.
Totenbleiche, Wangenrosen,
Grün sind die Farben, mit
denen er bemalt ist; die steile
Linie von dem einen hän-
genden Arm Christi links oben
kehrt rechts unten wieder, be-
wundernswert ist in der
Komposition die Füllung der
leeren Stelle links unten
durch Falten. Aber alle diese
technischen Dinge gehen in
der gespenstischen seelischen
Wirkung des Werkes unter:
Dieses Gerippe mit dem ein-
gezogenen Bauch und dem
in katzenjämmerlichen, tie-
rischen Leiden vornüberge-
fallenen Haupt ist Tod und
Verwesung selber; ein geister-
haftes Leichenlicht geht von
ihm aus und scheint auch
den üppigen Leib der Mutter
und den tränenlosen Jammer-
blick anzustecken, wie in dieser
ganzen Epoche der Tod das
Leben ansteckte. Und doch
liegt in dieser Verwandlung
von sinnlichem Leben in un-
sichtbare Geistigkeit auch ein
Element unsäglichen Glücks-
empfindens, eine fast per-
verse Freude, das schöne
schädel neben dem einen Fuß zu dem riesig leidenden Haupt aufsteigt, steht mit seinem fast schon barocken Furioso
kaum viel tiefer als die rheinische Pieta. Er weist zu der ebenfalls schon barocken flämisch-spanischen Gruppe von
Figuren einer Leichenbeweinung (Vollbild) hinüber, der mit den gehäuften Wulsten der Kleidfalten um die Arme,

Zö8
 
Annotationen